Umweltthemen bleiben ein wichtiges Feld für zivilgesellschaftliche Akteure in Russland – auch während des Krieges in der Ukraine und dem Versuch des Regimes, zivilgesellschaftliche Strukturen einzuschränken und zu kontrollieren, indem es internationalen Umwelt-NGOs die Arbeit im Land verbietet und regional tätige Aktivisten drangsaliert. Lokale „grüne“ Gruppen sind durchaus erfolgreich dabei, gewisse Umweltprobleme anzusprechen und zu lösen. Vor allem aber sind sie wichtig für die Stärkung der zerrütteten zivilgesellschaftlichen Strukturen des Landes. Der russische Staat reagiert darauf, indem er die größten Bewegungen unterdrückt oder versucht, ihre Interessen zu übernehmen und zu instrumentalisieren.

Im Russland der Vorkriegszeit spielten Umweltaktivismus und Stadtpolitik eine wichtige Rolle. Die entsprechenden Bewegungen weckten die Hoffnung, dass sie zu einer Basis für einen wirklich erfolgreichen demokratischen Übergang des Landes werden könnten. Nach dem Beginn der vollumfänglichen russischen Invasion in der Ukraine im Februar 2022 legten die meisten Umweltgruppen ihre Aktivitäten zunächst auf Eis. Doch nach einigen Monaten wurden viele regionale und nationale Umweltkampagnen wieder aufgenommen – und es entstanden neue. Dafür gibt es mehrere Gründe.

Dennoch scheint es auch im heutigen Russland Raum für Protest zu geben – wenn dieser sich auf nicht-kriegsbezogene Themen bezieht.

Seit Beginn des Krieges sind nahezu alle öffentlichen Antikriegsäußerungen und Proteste höchst gefährlich geworden. Mehr als 1 000 Menschen wurden rechtlich belangt und mehr als 300 inhaftiert, so die Beobachtungsstelle OVD-Info. Dennoch scheint es auch im heutigen Russland Raum für Protest zu geben – wenn dieser sich auf nicht-kriegsbezogene Themen bezieht. In vielen Fällen geht es dabei um lokale Umweltprobleme, die schon vor dem Krieg meist als „unpolitisch“ angesehen wurden: Luft- und Wasserverschmutzung, Zugang zu Informationen über die lokale Umweltsituation, Abriss von Stadtparks und anderen Grünflächen, Schutz von Naturschutzgebieten, Abfallwirtschaft (einschließlich Verschmutzung durch Mülldeponien oder Pläne zum Bau von Verbrennungsanlagen) und umweltschädigende Unternehmen.

Gleichzeitig wirkt das Befassen mit lokalen Umweltproblemen in den meisten Teilen Russlands wie eine Form der (vermeintlichen) Normalisierung im Alltagsleben. Dies verstärkt das Gefühl, der Krieg finde „weit weg“ statt. Gruppen mit unterschiedlichen politischen Ansichten (diejenigen, die die Maßnahmen der Regierung unterstützen; diejenigen, die klandestin gegen sie protestieren; oder auch diejenigen, die es vorziehen, überhaupt nicht über den Krieg nachzudenken) müssen immer noch ihrem täglichen Leben nachgehen – und sie zeigen sich häufig besorgt über die unmittelbare Umweltsituation in ihrer unmittelbaren Umgebung. Viele der lokalen Kampagnen richten sich direkt gegen korrupte Regierungsbeamte oder umweltverschmutzende Unternehmen. Die Aktivistinnen und Aktivisten appellieren an den Präsidenten oder an Parlamentsabgeordnete und fordern Unterstützung für ihre Sache. Diese Aktionen werden von den Behörden oft als „echte“ russische Basisbewegungen betrachtet, die nicht von „ausländischen Kräften“ beeinflusst werden und daher unpolitisch sind.

Umweltaktivisten werden aber auch wegen ihres Antikriegs- oder sonstigen politischen Engagements belangt.

Doch auch solche Gruppen werden hin und wieder bekämpft, ihre Anführer aus der Region oder dem Land vertrieben und rechtlich verfolgt. Fachleute der Environmental Crisis Group schätzen, dass es im Jahr 2023 in 36 Regionen Russlands mindestens 156 Repressionsfälle gegen Umweltschützer gegeben habe: „Insgesamt wurden dabei im Laufe des Jahres über 174 Öko-Aktivisten und 29 Umweltverbände (15 Organisationen und 14 Initiativgruppen) unter Druck gesetzt, 32 Aktivisten wurden körperlich angegriffen, zehn neue Strafverfahren wurden eingeleitet, fünf Aktivisten wurden zu Strafen verurteilt (eine Geldstrafe und vier Bewährungsstrafen).“ In diesen Statistiken ist allerdings nur der reine Umweltaktivismus enthalten. Umweltaktivisten werden aber auch wegen ihres Antikriegs- oder sonstigen politischen Engagements belangt. Weitere Daten des Medienprojekts Important Stories zeigen, dass in den zwei Jahren des Krieges fast 500 Umweltfachleute und -aktivisten strafrechtlich verfolgt wurden, mehr als 70 ausdrücklich wegen ihrer Antikriegsposition. Fünf Personen mussten für längere Zeiträume in Haft.

Doch die Umweltgruppen können auch Erfolge verzeichnen: Die Environmental Crisis Group zählte im Jahr 2023 mehr als 70 erfolgreiche Kampagnen in ganz Russland. In einigen Fällen haben lokale Umweltproteste sogar zu Veränderungen in den Regionalregierungen geführt. Schon vor dem vollumfänglichen Krieg gab es Kritik an diesen Kampagnen. Demnach würden viele Gruppen von der Regierung als „Ventil“ geduldet, um den „Druck der Unzufriedenen abzulassen“. Die Protest-Energie verpuffe vielerorts und werde nicht in politische Aktionen umgewandelt. Diese Kritik gilt auch heute noch. Wenn diese Basisbewegungen sich wirklich professionalisieren und eine größere politische und soziale Wirkung entfalten wollen – die möglicherweise sogar die Grundlage für den dringend benötigten politischen Wandel bilden kann –, müssen sie ihre Aktionen politisieren. Unter den gegenwärtigen restriktiven Bedingungen in Russland kann dies natürlich überaus schwierig sein.

In den vergangenen Jahren gab es zahlreiche Versuche staatlicher Akteure, die Umweltthematik zu instrumentalisieren und zu kapern.

Eine weitere Professionalisierung wird auch dadurch erschwert, dass viele professionelle Akteure, darunter internationale NGOs wie Greenpeace, der WWF und Bellona, als „unerwünschte“ Organisationen eingestuft wurden und ihre Tätigkeit in Russland einstellen mussten (auch wenn ihre Ex-Angestellten in Russland in einigen Fällen neue Umweltorganisationen gegründet haben). In den Vorkriegsjahren halfen professionelle Fachleute, Anwälte und Kommunikationsspezialisten der internationalen Groß-NGOs oft den lokalen russischen Basisbewegungen, indem sie kostenlose Rechtshilfe leisteten, Medien- und öffentliche Informationskampagnen organisierten sowie Lobbyarbeit auf unterschiedlichen politischen Ebenen betrieben. Diese Unterstützung ist nun weg. Es gibt nur noch sehr wenige kritische unabhängige Anwälte, die bereit sind, (insbesondere kostenlos) Umweltaktivisten zu unterstützen, oder unabhängige Medien, die sich trauen, über die jeweiligen Fälle zu berichten.

Es gibt freilich Ausnahmen. So versuchen einige russische Umweltexperten und Anwälte (sowohl in Russland als auch im Ausland) immer noch, Gruppen in den Bereichen zivilgesellschaftliche Umweltexpertise, Umweltkampagnen oder bei Gerichtsverfahren zu unterstützen. Derzeit gibt es beispielsweise eine Sammelklage von Klimaaktivisten und Fachleuten, einschließlich Vertretern einiger indigenen Communitys, gegen die russischen Behörden sowohl vor russischen als auch vor internationalen Gerichten. Die Klägerinnen und Kläger kritisieren, die aktuelle Klimapolitik des Landes entspreche nicht den Vorgaben des Pariser Klimaabkommens, dem Russland nach wie vor angehört. Russlands Klimagesetzgebung stehe daher nicht im Einklang mit den internationalen Klimaschutzzielen und dem Wohlergehen der eigenen Bevölkerung.

In den vergangenen Jahren gab es zahlreiche Versuche staatlicher Akteure, die Umweltthematik zu instrumentalisieren und zu kapern. Dies geschieht oft in Form der Schaffung von eigenen (man könnte sagen: falschen) „Nichtregierungsorganisationen“ oder der Unterstützung von Gruppierungen, die einen regierungsfreundlichen Standpunkt vertreten. Dazu gehören Arbeitsgruppen wie die Narodni Front, die Umweltbewegung Ökosystem, der sogenannte Club der jungen Naturschützer im Rahmen der auf Initiative von Präsident Putin gegründeten Jugendbewegung Dwishenije perwych, die Eko-molodeschka (Öko-Jugend) und Stiftungen wie Kompas oder Natur und Mensch. Auch wenn es den meisten dieser Organisationen an der Professionalität und dem Fachwissen unabhängiger Umweltexperten mangelt, so haben sie doch den Wettbewerbsvorteil, dass sie einfachen Zugriff auf Tausende Menschen und vor allem Jugendliche haben, bei denen sie für einen „sicheren, staatlich anerkannten Umweltaktivismus“ werben können. Das führt sogar dazu, dass diese Art von Aktivismus von vielen Menschen in diversen Regionen Russlands durchaus auch als Einstiegsmöglichkeit gesehen wird, um im Staatssystem Karriere zu machen. Einige der Regierung nahestehende Berater haben darüber hinaus empfohlen, regionale Behörden sollten mit den „echten“ Basis-Umweltbewegungen zusammenarbeiten, sie somit einhegen und kooptieren, statt sie zu bekämpfen.

Innerhalb des Landes hat sich in den meisten Basis-Umweltgruppen und -kampagnen eine unausgesprochene Übereinkunft herausgebildet, nicht über die politische Situation im Land zu diskutieren.

Nach dem Beginn der Invasion in der Ukraine haben viele Umwelt- und Klimaexperten, Aktivisten und Journalisten Russland verlassen. Die Umweltbewegung ist somit gespalten in diejenigen, die im Land geblieben sind, und diejenigen, die ihre Arbeit von außerhalb Russlands aus fortsetzen. Innerhalb des Landes hat sich in den meisten Basis-Umweltgruppen und -kampagnen eine unausgesprochene Übereinkunft herausgebildet, nicht über die politische Situation im Land zu diskutieren, auch wenn es von Zeit zu Zeit immer noch zu hitzigen internen politischen Debatten kommen mag. Insgesamt halten die Gruppen im Exil und in Russland Kontakt zueinander, treffen sich manchmal (meist online, sehr viel seltener offline in Drittländern), organisieren (teils geheime) Schulungen und Veranstaltungen zum Kompetenzaufbau, tauschen Informationen aus und versuchen generell, sich gegenseitig zu unterstützen. Die Fachleute und Aktivisten außerhalb Russlands führen (auch in Zusammenarbeit mit internationalen NGOs) Recherchen durch, betreiben Lobbyarbeit und pflegen internationale Kontakte. Einige Gruppen befassen sich auch speziell mit den Umwelt- und Klimaauswirkungen des Krieges in der Ukraine. Diejenigen, die in Russland tätig sind, arbeiten weiterhin mit der breiten Öffentlichkeit zusammen, engagieren sich in der Umwelt-Lobbyarbeit, stellen vor Ort Expertise zur Verfügung und unterstützen Aktivisten in Gerichtsverfahren.

„Die von Alexej Nawalny ins Leben gerufene und geleitete politische Bewegung hat dazu beigetragen, Umweltfragen in Russland in den Vordergrund zu rücken – und hätte eine Schlüsselrolle für künftigen Fortschritt spielen können, wenn der Oppositionspolitiker nicht gestorben wäre,“ kommentierten russische Experten und Aktivisten im Exil nach dem Tod des Politikers Mitte Februar 2024. Allerdings sehen die meisten politischen Oppositionsgruppen, die außerhalb Russlands tätig sind, die Umweltagenda nicht als vordringlich an und integrieren sie nicht in ihre Programme oder Visionen für ein zukünftiges Nachkriegsrussland.

Der Aufbau einer politischen Opposition oder die Entwicklung politischer Kräfte aus regionalen Basisbewegungen heraus ist unter den derzeitigen repressiven Bedingungen in Russland äußerst schwierig. Ob lokale Protestgruppen eine Professionalisierung und Institutionalisierung vorantreiben und somit den Grundstein für künftige starke zivilgesellschaftliche und (potenziell) politische Strukturen legen können, bleibt vorerst eine offene Frage. Es ist trotzdem weiterhin von entscheidender Bedeutung, diese Entwicklungen zu beobachten, internationale Kontakte und Interaktionen zu pflegen sowie kritische Stimmen inner- und außerhalb Russlands zu unterstützen.

Aus dem Englischen von Tim Steins