Präsident Putins Entscheidung für eine großangelegte Invasion der Ukraine stellt den Westen vor große Herausforderungen. Über die Frage, welche militärischen, diplomatischen und wirtschaftlichen Gegenmaßnahmen angemessen und zielführend sind, zerbricht man sich derzeit die Köpfe. Bei allen damit verbundenen Schwierigkeiten muss dafür Sorge getragen werden, dass politische Maßnahmen auf einer soliden wirtschaftlichen Analyse der Situation beruhen.

Leider ist das oft nicht der Fall. So wird derzeit beispielsweise behauptet, der russische Staat stehe kurz vor dem Bankrott. Dem aktuellen Wertverfall des Rubels wird eine unangemessen große Bedeutung zugeschrieben. In den sozialen Medien heißt es immer wieder, westliche Zahlungen für russische Energieexporte würden die Zerstörung der Ukraine mitfinanzieren. Das gipfelt darin, dass einige prominente Persönlichkeiten in Deutschland einen vollständigen EU-Energieimportstopp fordern: „Schluss mit unserem Geld für Putins Krieg!“, heißt es. Diese Forderung ist angesichts der Kriegsschrecken zwar verständlich, basiert allerdings auf einer Reihe schwerwiegender Missverständnisse.

Die Forderung nach einem Stopp der Energieimporte ist angesichts der Kriegsschrecken zwar verständlich, basiert allerdings auf einer Reihe schwerwiegender Missverständnisse.

Fangen wir beim Grundsätzlichen an. Es ist zu unterscheiden zwischen Transaktionen, die in Rubel abgewickelt werden, und solchen in ausländischen Währungen wie Dollar oder Euro. Eine ähnliche, aber nicht identische Unterscheidung ist die zwischen Waren, die aktuell in Russland oder verbündeten Partnerländern produziert werden können (oder es relativ zeitnah könnten), und solchen, die Russland aus „feindlichen“ Ländern importieren muss.

Der Rubel ist eine Währung, die die russische Regierung beziehungsweise die Zentralbank selbst in Umlauf bringt. Die Regierung kann Steuern erhöhen, Staatsanleihen ausgeben oder einfach neues Geld „drucken“ lassen – wie es die westlichen Zentralbanken im Rahmen des Quantitative Easing ebenfalls getan haben. Die erste Falschannahme ist daher, rubelbasierte Transaktionen könnten zu einem russischen „Staatsbankrott“ führen. (Das Land könnte durchaus seinen Verpflichtungen bei Anleihen in Fremdwährungen nicht nachkommen, aber das steht auf einem anderen Blatt.)

Die Verfügung über Devisen hingegen beschränkt sich im Wesentlichen auf vorherige und aktuelle Exporte (abzüglich der Importe), die eingepreist oder zuvor in ausländische Währung umgerechnet wurden, und so einen Bestand beziehungsweise einen Zustrom an Devisen darstellen.

Die Sanktionen, die bereits als Reaktion auf Russlands Angriffskrieg verhängt wurden, und die daraus resultierende Unfähigkeit oder Unwilligkeit der wichtigsten Partner, mit Russland Handel zu treiben, sind das Hauptproblem für Moskau – nicht die Devisenströme aus weiterhin laufenden Exporten.

Man liest des Öfteren, der Krieg koste Putin x Millionen Dollar oder Euro pro Tag, während der Westen/Europa y Millionen Dollar oder Euro überwiesen, um vor allem russische Energie einzukaufen. Das legt nahe: die Energiekäufe zu stoppen hieße Putins Kriegsfinanzierung den Hahn abzudrehen. Bei ersterem handelt es sich jedoch um einen (geschätzten) Betrag der Militärausgaben in Rubel, der dann mit einem angenommenen Wechselkurs in Dollar- oder Euro-Beträge umgerechnet wird. Die russische Regierung bezahlt ihre Soldaten und Soldatinnen, ihre Auftragnehmer und Zulieferer allerdings überwiegend direkt in Rubel.

Richtig ist, dass (höhere) Militärausgaben den Spielraum für die zivile Produktion und den Konsum verringern – durch eine Mischung aus (gegebenenfalls sehr starker) Inflation und niedrigeren Einkommen nach Steuern, je nachdem, wie die Militärausgaben finanziert werden. Vereinfacht gesagt: Mehr Waffen, weniger Butter. Das ist das bekannte Dilemma für Staaten im Krieg.

Doch das hängt nicht direkt mit der Frage der Devisen zusammen. Russland hat offensichtlich einen fast unerschöpflichen Vorrat an Treibstoffen, muss keine ausländischen Söldner bezahlen und setzt überwiegend im eigenen Land produzierte militärische Ausrüstung ein, von der es sicherlich noch erheblichen Nachschub gibt. Allerdings müssen einige militärische Güter – beispielsweise Bauteile – möglicherweise importiert werden, wofür wahrscheinlich Devisen benötigt würden. Kurz- und mittelfristig ist das aber kaum ein Hindernis. Und selbst in diesem begrenzten Bereich ist die Annahme, dass ein aktueller Devisen-Zufluss notwendig sei, um das russische Militär zu finanzieren, aus einem anderen Grund fehlgeleitet.

Die große Bedeutung, die dem Einbruch des externen Werts des Rubels beigemessen wird, ist irreführend.

Russland hat große Währungsreserven aus vorherigen Exportüberschüssen (der besagte „Bestand“), die auf rund 630 Milliarden US-Dollar geschätzt werden. Die bestehenden Sanktionen, insbesondere gegen die russische Zentralbank – ein beispielloser Schritt, der einer Konfiszierung von Finanzvermögen gleichkommt – bedeuten jedoch, dass dieser Notgroschen nicht ohne weiteres für den Kauf von Importen verwendet werden kann. Dies zeigt, dass die Sanktionen, die bereits als Reaktion auf Russlands Angriffskrieg verhängt wurden, und die daraus resultierende Unfähigkeit oder Unwilligkeit der wichtigsten Partner, mit Russland Handel zu treiben, das Hauptproblem für Moskau sind – und nicht die Devisenströme aus weiterhin laufenden Exporten.

Ebenso ist die große Bedeutung, die dem Einbruch des externen Werts des Rubels beigemessen wird, irreführend: Der Wechselkurs ist nicht sonderlich relevant, wenn der Handel aus anderen Gründen ohnehin blockiert und die Konvertibilität eingeschränkt ist. Die russische Zentralbank braucht die Einnahmen aus den laufenden Nettoexporten nicht, um ihre Währung zu stützen.

Die bereits beschlossenen Sanktionen schränken die russischen Finanzierungsmöglichkeiten für Importe aus Ländern, die keine Zahlungen in Rubel akzeptieren, stark ein. Für russische Verbraucher und Hersteller wird es daher sehr viel schwieriger, an End- und Zwischenprodukte aus dem Ausland zu kommen. Dies wird sich direkt auf den Lebensstandard auswirken, vor allem in der Mittel- und Oberschicht. Ebenso dürfte dies die russische Industrie mit der Zeit vor ernsthafte Probleme stellen, wenn sie keine Inputs und Vorprodukte aus anderen ausländischen oder inländischen Quellen beziehen kann.

Die Sanktionen des Westens lassen sich daher nicht mit direkten Auswirkungen auf die russische Kriegsmaschinerie rechtfertigen, sondern dadurch, dass sie wirtschaftliches Leiden in Russland verursachen und somit den Widerstand der allgemeinen Bevölkerung und der Eliten gegen Putin provozieren sollen. Unklar bleibt zum jetzigen Zeitpunkt freilich, ob die Massen oder die Oligarchen tatsächlich so reagieren, wenn ihr Zugang zu High-End-Konsumgütern oder ihre Gewinne eingeschränkt werden – oder ob die Situation dem Autokraten im Kreml eher hilft, eine Wagenburg-Mentalität zu schaffen und sein Regime sogar zu stärken.

Neben der Frage, ob Russland seine Importe durch heimische Produktion ersetzen kann, ist ein entscheidender Faktor für die wirtschaftlichen Auswirkungen der Sanktionen die Bereitschaft Chinas, Indiens und einiger kleinerer Länder, mit Russland weiterhin Handel zu treiben – sei es aus politischem Kalkül oder aus wirtschaftlicher Notwendigkeit. China und Belarus waren vor der aktuellen Krise die größten beziehungsweise drittgrößten Ursprungsländer für Importe nach Russland waren. Einige Länder könnten in Zukunft auf Zahlungen in Dollar bestehen: Ein Stopp der Devisenzuflüsse nach Russland würde die Position des Landes in dieser Hinsicht schwächen. Dazu muss es aber nicht zwangsläufig kommen. Wenn der politische Wille vorhanden ist und der Handel für beide Seiten als vorteilhaft angesehen wird, wird der Warenaustausch nicht daran scheitern, dass es keine passende Verrechnungseinheit gibt. Notfalls würde eine gemeinsame Exceltabelle in den jeweiligen nationalen Finanzministerien schon ausreichen.

Die politischen Entscheidungsträger müssen in ihre Beschlüsse auf Grundlage einer fundierten Einschätzung der wirtschaftlichen Realitäten fassen.

Letztlich ist die Entscheidung über Wirtschaftssanktionen – einschließlich des vorgeschlagenen absoluten Importstopps – Teil eines größeren „Spiels“ aus Bedrohung und Gegenbedrohung, Eskalation – und möglicher Deeskalation. Es ist ein Spiel, das alle Bereiche, inklusive den militärischen, umfasst. Die Folgen der einen oder anderen Maßnahme abzuschätzen, ist äußerst schwierig. Der Westen muss der Ukraine beistehen. Aber wie er dies am besten tut, wie man Putin dazu zwingt oder überredet, den Krieg zu beenden, ist alles andere als offensichtlich. Die politischen Entscheidungsträger müssen in jedem Fall ihre Beschlüsse auf Grundlage einer fundierten Einschätzung der wirtschaftlichen Realitäten fassen.

Klar ist: Die laufenden Energieeinkäufe des Westens finanzieren Putins Krieg nicht in nennenswertem Umfang. Klar ist auch: Russland leidet wirtschaftlich unter den Sanktionen, und zwar sehr stark. Aber der Staat wird aufgrund ausbleibender Devisenzuflüsse nicht bankrottgehen. Die Kosten eines sofortigen Stopps der Energieimporte wären für Europa hoch – und würden den Bezug zusätzlicher Energie von anderen unliebsamen Regimen erfordern. Daher muss die Umstellung auf alternative und vor allem erneuerbare Energiequellen mit Höchstgeschwindigkeit vorangetrieben werden.

Es bleibt zu hoffen, dass die Politik einen Weg findet, der das Blutvergießen beendet, den ukrainischen Bürgerinnen und Bürgern ein Leben in Sicherheit und Würde ermöglicht, und gleichzeitig die negativen wirtschaftlichen Effekte so schnell wie möglich eindämmt.

Aus dem Englischen von Tim Steins