Weizen, Mais, Sonnenblumen, Sonnenblumenöl, Soja oder Sojamehl: Vor der großangelegten russischen Invasion war die Ukraine, insbesondere ihre südlichen Regionen, ein führendes Exportland von Nahrungsmitteln in den Nahen und Mittleren Osten, nach Asien, Afrika und Europa. Beispielsweise kam in Europa jeder zehnte Maiskolben und die Zutaten für jede dritte Portion Chips oder Pommes aus der Ukraine. Das Land versorgte die Welt mit 47 Prozent aller Sonnenblumen, für zwölf Länder gehörte die Ukraine zu den zehn größten Produktlieferanten. Der größte Teil der Exporte ging in den Libanon, nach Pakistan und Libyen.

Beim Gemüseanbau war die Region Cherson die mit Abstand führende unter allen ukrainischen Regionen und eine der drei Regionen mit dem größten Anbau von Weintrauben, Sonnenblumen, Melonen und Weizen. Doch das letzte Jahr war ein schwarzes Jahr für die Landwirtschaft der Region: Laut der ukrainischen Statistikbehörde fiel die Ernte aller normalerweise in der Region angebauten Feldfrüchte zu 100 Prozent aus, weil die Region während der gesamten Saat- und Erntezeit unter russischer Besatzung stand. Eine wichtige Rolle dabei spielten sowohl die starke Verminung der Felder als auch der Unwille der Landwirte, mit der Besatzungsverwaltung zu kooperieren, und nicht zuletzt auch die Tatsache, dass russische Soldaten die Arbeit auf den Feldern behinderten.

Im November 2022 wurde das rechts vom Fluss Dnipro liegende Gebiet der Region Cherson befreit und es schien, als könnten die Landwirte dieses Jahr ihre Tätigkeit wieder aufnehmen. Aber die Situation im Süden der Ukraine ist nach wie vor schwierig: zerstörte oder gestohlene landwirtschaftliche Geräte, aufgrund des Nutzungsausfalls brachliegende Felder und das Problem, dass die Landwirte die für die Aussaat von 2022 aufgenommenen Kredite nicht zurückzahlen können. Die Situation wird durch die ständigen Raketenangriffe und Stromausfälle weiter erschwert. Und nach dem Terroranschlag auf das Wasserkraftwerk Kachowka kommen auch noch Wasserprobleme dazu. Auch die Vereinten Nationen stellten fest, dass dieser Angriff der Russen neue Schwierigkeiten zu den schon bestehenden Problemen in der Nahrungsmittelversorgung hinzufügen und zu Preissteigerungen führen werde. Die Sprengung des Kachowka-Staudamms ist daher ein weiteres Verbrechen Russlands gegen die Welternährungssicherheit. Satellitenbilder zeigen, dass im Gebiet links des Flusses über 7 000 Hektar Land überflutet wurden, aber das ukrainische Ministerium für Agrarpolitik schätzt, dass ein weit größerer Landstrich betroffen ist: 25 000 Hektar. Am rechten Flussufer wurden in der Region Cherson hunderttausende Tonnen an Erntegut vernichtet. In der Region Mikolajiw standen über tausend Äcker unter Wasser und die wirtschaftlichen Schäden belaufen sich auf fast 500 000 Euro.

In den nächsten drei bis fünf Jahren wird die Ukraine jährlich etwa zwei Millionen Tonnen landwirtschaftlicher Produkte verlieren, was einem Verlust von annähernd 1,5 Milliarden Euro entspricht.

Aber das ist erst der Anfang der Folgen dieser Katastrophe. In den nächsten drei bis fünf Jahren wird die Ukraine jährlich etwa zwei Millionen Tonnen landwirtschaftlicher Produkte verlieren, was einem Verlust von annähernd 1,5 Milliarden Euro entspricht. Aufgrund der Zerstörung des Staudamms gibt es auf einem Drittel der Felder in Dnipropetrowsk, in 94 Prozent des Gebiets von Cherson und in 74 Prozent der Region Saporischschja kein Wasser. Zuvor ermöglichte das Wasser aus dem Stausee bis zu 80 Prozent des gesamten ukrainischen Gemüseanbaus sowie einen Großteil des Obst- und Weinanbaus. Auch die Felder aller wärmeliebenden Obstsorten und die meisten Gewächshäuser, die den Menschen in der Ukraine und in Moldawien erschwingliches Gemüse liefern, wurden über das Kachowka-Bewässerungssystem mit Wasser versorgt.

Aber selbst die Felder, die nicht direkt auf Bewässerung angewiesen sind, könnten leer bleiben. Früher machten sich die Landwirte das bewässerte Land zunutze und ließen anderes, unproduktives Ackerland für einen Fruchtwechsel brachliegen. Nachdem ihnen nun für drei bis fünf Jahre die Möglichkeit genommen ist, das Land zu bewässern, wird auf 1,5 Millionen Hektar Land, auf dem schon zu hohen Kosten ausgesät wurde, nichts wachsen.

Vermutlich kann jetzt keine Rede mehr von Gemüseanbau sein, aber zum Glück wird einem umfangreichen Modell zufolge der Anbau von Getreide und Ölsaaten möglich sein – wenn auch mit geringen Erträgen. Der Süden der Ukraine ist eine trockene Region mit den niedrigsten Niederschlagsmengen im Land. Die meisten Feldfrüchte können hier nicht ohne künstliche Bewässerung angebaut werden. Viele Landwirte in halbwüsten- oder wüstenartigen Gegenden – wie in Südkasachstan und Armenien – betreiben jedoch Regenfeldbau. Dieser Ackerbau kommt ohne künstliche Bewässerung aus und basiert auf dem Anbau von dürreresistenten Pflanzen wie Weizen, Futtermittel und Melonen. Ukrainische Landwirte ziehen dies schon als eine vielversprechende Möglichkeit in Erwägung, da es mehrere Feldfrüchte gibt, die im Süden „auf Regenfeldern“ angebaut werden könnten: Sonnenblumen, Winterweizen, Winterraps und Sommergerste. Und der Markt passt sich allmählich den neuen Gegebenheiten an. Dieses Jahr wird die Ukraine mit Gemüse aus der Region Odessa versorgt (die jetzt die Region mit der größten bewässerten Anbaufläche ist). Die dort ansässigen Landwirte zeigen immer größeres Interesse, die Auswahl ihrer bisherigen Feldfrüchte zu ändern.

In der Ukraine werden bereits Wassernutzergemeinschaften eingerichtet, die den gemeinsamen Besitz von Bewässerungsanlagen ermöglichen.

Zudem werden in der Ukraine bereits Wassernutzergemeinschaften (WNG) eingerichtet, die den gemeinsamen Besitz von Bewässerungsanlagen ermöglichen. Die Gründung von WNG ist eine der Lösungen, die dazu beitragen, dass landwirtschaftliche Betriebe die Staudamm-Explosion und die Zerstörung des Wasserkraftwerks von Kachowka überleben. Derzeit fehlt es den ukrainischen Landwirten an Mitteln für den Wiederaufbau des Bewässerungssystems. Aber das Unterfangen ist nicht aussichtslos. Unter anderem investiert die Stiftung des US-Geschäftsmanns Howard Buffett in der Ukraine in Bewässerungssysteme. Buffett hält die ukrainische Landwirtschaft für die wichtigste Wirtschaftskomponente und hatte schon vor Beendigung des Getreideabkommens durch Russland betont, dass in Einrichtungen für den Getreidetransport investiert werden müsse.

Auch die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE) arbeitet mit dieser Ausrichtung. Im Jahr 2022 entwickelte die Bank zusammen mit dem ukrainischen Ministerium für Agrarpolitik ein Projekt für den Aufbau eines Bewässerungssystems, das aus dem Fluss Dnister gespeist wird. Und für 2023 bewilligte die EBWE weitere Gelder für eine Machbarkeitsstudie des Projekts und für den Ausbau der Wassernutzergemeinschaften.

Der russische Angriffskrieg wird nicht nur gegen die Ukraine geführt, sondern reicht viel weiter.

Es ist völlig klar, dass der russische Angriffskrieg nicht nur gegen die Ukraine geführt wird, sondern viel weiter reicht. Die Preise auf den Weltmärkten steigen und die Probleme mit der Ernährungssicherheit werden sich bald verschärfen. Während sich Länder mit breit gefächerten Importkanälen anpassen können und dies als einen „positiven Schock“ erachten, wird es in stark importabhängigen Ländern weiterhin zu Unterversorgung kommen, die Fachleuten zufolge durch geopolitische Konflikte und Hungersnöte rund um die Welt zu politischer Instabilität führen wird.

Während Raketen in Odessa tausende Tonnen Getreide zerstören, das eigentlich durch den Getreidekorridor exportiert werden sollte, werden diejenigen, die das Getreide am dringendsten brauchen, Hunger leiden und weiter verarmen – die Bevölkerungen von Ländern in Afrika und Südostasien. In der Folge werden Menschen dazu gezwungen sein, Rettung in Industrieländern zu suchen, was zu neuen Migrationskrisen führen wird. Deshalb sollte das Programm der internationalen Gemeinschaft zur Unterstützung der Ukraine aktive und umfassende Hilfen für die ukrainischen Landwirte beinhalten, die unbedingt auch unter Kriegsbedingungen vor Ort ihre Äcker bestellen müssen.