Riskiert man dieser Tage einen Besuch in Kanada, muss man aufpassen. Missachtet man dort bei der Einreise die Test- und Quarantäneregeln, drohen sechs Monate Gefängnis und bis zu 750 000 Dollar Strafe. In Großbritannien warnte das Gesundheitsministerium, Reisende aus dem Ausland könnten, wenn sie auf dem Einreiseformular ihre vorherigen Aufenthaltsorte nicht richtig angeben, für zehn Jahre eingesperrt werden. Und die Biden-Regierung hat kürzlich das Verbot verlängert, das die meisten Nichtamerikaner aus Europa an der Einreise in die Vereinigten Staaten hindert. Auch hier wird bei Zuwiderhandlung mit Strafen und Ausweisung gedroht.

Diese sich ständig ändernden Einschränkungen lassen viele vor Auslandsreisen zurückschrecken. Immer noch sterben Menschen, ohne dass sie von ihren Verwandten besucht werden können. Eltern sind weiterhin von ihren Kindern getrennt, und in der Reisebranche gibt es immer weniger Arbeitsplätze. Es ist Zeit, diese Regeln auf verantwortliche Weise zu lockern.

Durch die fortschreitenden Impfkampagnen sinken die Risiken durch Covid-19 deutlich. Alle Impfstoffe, die von der US-Arzneimittelbehörde Food and Drug Administration genehmigt wurden, haben sich – auch gegen die ansteckendere Delta-Variante – als so effektiv erwiesen, dass sie über 95 Prozent der Todesfälle und über 90 Prozent der schweren Krankheitsverläufe verhindern. Die Impfung senkt die allgemeine Infektionssterberate, die die Todesfälle unter Infizierten wiedergibt, von 0,41 Prozent auf etwa 0,02 Prozent.

Die sich ständig ändernden Einschränkungen lassen viele vor Auslandsreisen zurückschrecken.

Die Covid-19-Impfstoffe können die Infektionen nicht völlig stoppen, verhindern aber zuverlässig schwere Erkrankungen. Laut Schätzungen der US-Behörde Centers for Disease Control and Prevention hat die Influenzasaison 2019/2020 zu 38 Millionen Infektionen geführt, in deren Folge 18 Millionen Menschen ambulant und 400 000 stationär behandelt werden mussten und 22 000 starben. Dies entspricht einer Infektionssterberate von 0,06 Prozent für die Grippe. Sie liegt damit mehr als doppelt so hoch als die für Covid-19 nach der Impfung der Risikogruppen. Zwar sind immer noch wichtige Fragen offen, zum Beispiel nach dem Anteil der Menschen, die unter Long-Covid-Symptomen leiden. Aber die Gefahren ähneln nun jenen Krankheiten, mit denen wir bereits umzugehen wissen.

Epidemiologen haben gezeigt, dass Masken zu tragen, Abstand zu halten und engen persönlichen Kontakt allgemein zu vermeiden die Übertragung von Seuchen verringern kann. Diese Tatsache wird durch internationale Einreisen überhaupt nicht beeinflusst. Haben wir die Ausbreitung der Pandemie gestoppt, so machen Reisende, die unsere Regeln befolgen, kaum einen Unterschied.

Im Jahr 2019 gab es 241 Millionen Flugpassagiere, die in die USA kamen oder sie verließen. Täglich reisten somit etwa 330 000 Menschen ins Land ein. Kämen diese 330 000 alle aus Ländern, die sich am Höhepunkt eines Infektionszyklus befinden, und gingen alle symptomatischen Passagiere trotzdem mit an Bord, wäre etwa ein Prozent von ihnen, also 3 300 Menschen, infiziert. In den etwa 500 Tagen seit Beginn der Pandemie wurden in den USA fast 35 Millionen Infektionen registriert, was durchschnittlich etwa 70 000 Neuinfektionen pro Tag entspricht. Bezieht man unerkannte asymptomatische Infektionen mit ein, ist die tatsächliche Anzahl wahrscheinlich doppelt so hoch. Bei einer realistischen Schätzung von etwa 140 000 täglichen Neuinfektionen im Land machen 3 300 weitere kaum einen Unterschied.

Haben wir die Ausbreitung der Pandemie gestoppt, machen Reisende, die unsere Regeln befolgen, kaum einen Unterschied.

Flugzeugpassagiere sind – im Verhältnis zur Bevölkerungszahl großer Länder – nur relativ selten infiziert. Dennoch könnte man argumentieren, Flugreisen seien eine Brutstätte für Infektionen und sollten deshalb verboten werden. Das Reisen in engen Verkehrsmitteln ist zweifellos riskant, aber das trifft auch auf viele andere Aktivitäten zu: das Essen in Restaurants, das Schwimmen im Hallenbad, die Einladung von Freunden nach Hause oder der Besuch einer Kunstausstellung. Es gibt keinen Grund dafür, Flugreisen als einzige Aktivität so streng einzuschränken. Viel vernünftiger wären Maßnahmen, die solche Reisen sicherer machen.

Das Bedürfnis, mögliche neue Virusvarianten fernzuhalten, ist verständlich, aber unrealistisch. Es gibt nur wenige Länder, die es geschafft haben, Covid fast auf null zu bringen – darunter vor allem Inselstaaten wie Neuseeland oder Australien. Die meisten Grenzen sind viel zu durchlässig. Dass sich die Varianten verbreiten, liegt nicht an Verwandtenbesuchen, sondern an unserer Lust auf französischen Wein, griechische Oliven, kanadischen Ahornsirup oder illegale Drogen. Jeden Tag wird die Grenze zwischen Kanada und den USA von 30 000 Lastwagen überquert. Weitere 18 000 sind zwischen den USA und Mexiko unterwegs. Über die britische Grenze fahren täglich etwa 10 000 Lkws. Auch Luftfracht und Schiffsverkehr sorgen für zusätzliche Kontakte. Eine Nullvariantenpolitik würde bedeuten, alle Fahrer, Pilotinnen und ähnliche Beschäftigte in Quarantäne zu schicken. Außerdem müssten wir den Fußgänger-, Pkw- und sonstigen Verkehr anhalten. Dies hätte weitere Störungen der Lieferketten, höhere Preise – etwa für Nahrungsmittel, Baumaterialien und Autos – und Arbeitsplatzverluste zur Folge. Für solche Maßnahmen gibt es keine politische Unterstützung.

Es gibt keinen Grund, Flugreisen als einzige Aktivität so streng einzuschränken. Vernünftiger wären Maßnahmen, die solche Reisen sicherer machen.

Wir sollten aufhören so zu tun, als seien internationale Reisen das Problem. Impfstoffe und Therapeutika halten die Virusvarianten in Schach. Und die Arbeit an Auffrischern, neuen Impfstoffen, Behandlungsmethoden und möglichen Heilmitteln sollten wir weiterhin finanzieren. Es ist unerlässlich, auf die Ratschläge zur öffentlichen Gesundheit zu hören. Aber unsere Politikerinnen und Politiker müssen sich auch auf das konzentrieren, was wirklich wichtig ist.

Aus dem Englischen von Harald Eckhoff

(c) Project Syndicate