Das höchste Entscheidungsgremium, das sich mit der bisher größten existenziellen Bedrohung der Menschheit befasst, trifft sich demnächst auf einem der Kontinente, die am stärksten von der globalen Umweltkatastrophe betroffen sind. Es ist das fünfte Mal, dass die Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (COP) in Afrika gastiert. Politiker aus allen Ländern, die für historisch hohe CO2-Emissionen verantwortlich sind, kommen nach Ägypten. Es besteht die Hoffnung, dass die ernüchternde Situation in Afrika, das besonders hart mit den Auswirkungen des Klimawandels zu kämpfen hat, den wahnhaften Glauben brechen kann, dass Lösungen für den Klimawandel mit Geld und Geldtransfers erkauft werden können – oder schlimmer noch – erkauft werden müssen. Afrika befindet sich in einem Zwiespalt zwischen Klimaschutz und wirtschaftlicher Entwicklung. Es muss aber endlich eingesehen werden, dass Gerechtigkeit keine Wohltätigkeitsveranstaltung ist, sondern ein grundlegendes Prinzip des internationalen Rechts.

Doch auch die afrikanischen Vertreter müssen ihre Rhetorik anpassen. Samih Schukri, der designierte Vorsitzende der COP27, wäre gut beraten, weniger „Bla, Bla, Bla“ (Greta Thunberg) zu verbreiten – beispielsweise sein wenig sagender Kommentar, die Vorverhandlungen zur COP27 hätten es Politikern ermöglicht, „Bereiche der Annäherung und auch mögliche Divergenzen“ auszuloten. Derartige Aussagen spiegeln eine gewisse globale politische Kultur und Haltung wider. Es ist eine Kultur, die Teenager verständlicherweise verärgert, wenn diese sich gegen eine Sache einsetzen, die nicht weniger als die gesamte Menschheit bedroht. Wie es das Schicksal so will, kann zumindest Boris Johnson – der grinsend spottete, dass „alle Versprechen nichts als ‚Bla, Bla, Bla‘ sein werden, um es mal so auszudrücken“ – bei den nächsten Klimagesprächen nicht mehr sticheln.

Die Menschen in Afrika brauchen keine weiteren leeren Worte.

Aus Afrika kam bis zur (und inklusive der) letzten COP in Glasgow ebenfalls nicht viel mehr als „Bla“. Gebrochene Versprechen, Verweigerung in Form von Untätigkeit und Vertuschung seitens derer, die skrupellos den Blick für die Misere verloren zu haben scheinen, die ihre historisch hohen CO2-Emissionen auf dem afrikanischen Kontinent verursachen. Wie Klimakatastrophen in Afrika – Dürren, Überschwemmungen und Hitzewellen – zeigen, hat sich das Klima bereits verändert und die Menschen in Afrika sind diesen Auswirkungen gegenüber besonders gefährdet. Dennoch versäumen es die Industrieländer immer und immer wieder, etwas gegen die daraus resultierenden Schäden zu unternehmen. Es scheint, dass Vereinbarungen wie der Warschauer Internationale Mechanismus für Schäden und Verluste aus dem Jahr 2003, in dem anerkannt wird, dass Entwicklungsländer „besonders anfällig für die negativen Auswirkungen des Klimawandels sind“, nur ein weiteres „Bla“ sind. Darüber hinaus ist es überaus unfair, wenn die USA andere Industrieländer dazu veranlassen, den Begriff „Notfall“ aus dem Vorschlag des Glasgower Klima-Notfallabkommens zur Finanzierung von Klimakatastrophen zu streichen. Wenn Schukri sicherstellen kann, dass derartige skandalöse Aktionen in Scharm El-Scheich nicht wiederholt werden, würde er bereits Leben retten.

Die Menschen in Afrika brauchen keine weiteren leeren Worte oder Zusagen, die über das rein rhetorische Versprechen nicht hinausgehen. Erinnert sei an den sogenannten Finance Delivery Plan – ein nicht eingelöstes Versprechen aus dem Jahr 2009, „100 MilliardenUS-Dollar pro Jahr bis 2020“ bereitzustellen. Dies wurde sogar noch auf der letzten COP als Fortschritt verkauft. Das ist unfair und zynisch gegenüber den Millionen Menschen, die am Horn von Afrika gerade unter einer Hungersnot leiden. Hunger hemmt jede Art von Entwicklung, denn ein Geist, der Hunger erleiden muss, kann einfach nicht gut funktionieren. Politiker der Industrieländer haben jetzt die einmalige und symbolisch wichtige Chance, ihrer moralischen Pflicht gerecht zu werden, indem sie dieses Geld endlich zur Verfügung stellen, anstatt es den Afrikanern lediglich zu leihen. Dies vor allem, weil „die Klimafinanzierung eine entscheidende Rolle bei der Unterstützung der Entwicklungsländer bei der Bewältigung des Klimawandels spielt“, den diese Länder bekanntlich nicht verursacht haben, unter dem sie aber am meisten leiden.

Politiker der Industrieländer haben jetzt die einmalige und symbolisch wichtige Chance, ihrer moralischen Pflicht gerecht zu werden.

Die globale Pandemie, die galoppierende Inflation und ein Krieg, der nahe Westeuropa wütet, haben sich weltweit auf die Klimaschutzmaßnahmen ausgewirkt. Die schlimmsten Auswirkungen – sei es durch Covid-19 oder durch Inflation – sind aber in Afrika zu spüren. Doch wie bei einem schönen Weihnachtslied, bei dem man nicht allzu sehr auf die Tonlage oder den Text achtet, werden die COPs immer mehr zu einem netten, traditionellen Treffen für diejenigen, die eigentlich über die Mittel verfügen, Leben zu retten. Gleichzeitig verwandeln Dürren einst lebendige Gegenden in Leichenfelder. Wenn in Scharm El-Scheich tatsächlich ein weiteres Abkommen geschlossen werden sollte, dann muss dies eines klar und deutlich einräumen: Das Unvermögen, den globalen Temperaturanstieg auf 1,5 Grad zu begrenzen, wird sich in Verbindung mit den katastrophalen Bedingungen in Afrika von einer ökologischen Katastrophe in die schwerste humanitäre Krise seit dem Zweiten Weltkrieg weiterentwickeln.

Afrikas doppelte Herausforderung, sich an den Klimawandel anzupassen und ihn abzuschwächen sowie gleichzeitig die wirtschaftliche und soziale Entwicklung voranzutreiben, muss in Scharm El-Scheich besonders betont werden. Derzeit leben 1,152 Milliarden Menschen in Afrika; im Vergleich zu allen anderen Regionen der Welt hat der Kontinent die am schnellsten wachsende Bevölkerung. Derweil ist innerhalb eines Jahrzehnts (2008 bis 2018) die Zahl der in extremer Armut lebenden Menschen deutlich schneller (109 Prozent) gestiegen als die Bevölkerungszahl insgesamt (44 Prozent). Es ist absolut klar, dass Afrika eine grüne Revolution braucht!

Afrika braucht eine grüne Revolution.

Im Westen entwickelte Klimalösungen müssen dieser Realität angepasst werden. Dies würde unter anderem beinhalten, dass die afrikanischen Länder ihre natürlichen Ressourcen auf eine Art und Weise nutzen, die nicht immer mit den westlichen Vorstellungen und Lösungen übereinstimmt. Das Recht eines Staates auf Entwicklung ist im UN-Völkerrecht und in der Afrikanischen Charta der Menschenrechte und Rechte der Völker als „unveräußerliches Menschenrecht“ auf „wirtschaftliche, soziale, kulturelle und politische Entwicklung“ garantiert. Dazu gehört auch das Recht, den Reichtum an natürlichen Ressourcen zu nutzen. Die jeweiligen Staaten haben die Souveränität über diese Ressourcen. Es ist daher nur logisch und konsequent, dass die afrikanischen Staaten in ihrer Entwicklungsagenda 2063 „politischen Spielraum für national zugeschnittene Maßnahmen und Programme auf dem Kontinent selbst“ fordern. Und dass sie die internationale Gemeinschaft aufrufen, diese Visionen und Bestrebungen Afrikas, einschließlich des Rechts auf Entwicklung und Gerechtigkeit, zu respektieren. Die UNO schätzt, dass bis 2050 bis zu 500 Milliarden US-Dollar benötigt werden, um Menschenleben auf dem afrikanischen Kontinent vor den Auswirkungen des Klimawandels zu retten. Wenn die Industrieländer ihren moralischen und finanziellen Verpflichtungen bei der Klimafinanzierung nachkommen, könnte dieser Balanceakt zwischen Recht und Verantwortung gelingen.

Deswegen: Schluss mit den leeren Worten, mit den gebrochenen Versprechen, mit Bestreiten und Verschweigen. Inmitten des ganzen Bla-Blas auf den COPs ist Afrikas schwere Klima-Notlage nahezu untergegangen – bisher. Scharm El-Scheich muss die Politik aus ihrem Dornröschenschlaf rütteln und in die Realität katapultieren. Die Realität ist, dass sich die Gespräche endlich auf das Retten und Schützen von gefährdetem Leben fokussieren sollten. Diese Gespräche müssen auf den Grundsätzen von Gerechtigkeit und Fairness beruhen, und nicht auf der Fähigkeit, Kredite zur Klimafinanzierung zurückzuzahlen. Sie müssen von der Wertschätzung menschlichen Lebens geleitet sein, und nicht von politischen und wirtschaftlichen Machtunterschieden auf der Welt.

Jedes Jahr, wenn der Regen ausbleibt, verhungern wieder und wieder Millionen Menschen. Scharm El-Scheich sollte deswegen einen neuen Standard setzen: die Feststellung und Bestätigung, dass menschlichem Leben in Afrika der gleiche Wert und die gleiche Qualität beigemessen wird wie jedem Leben anderswo. Politiker, die in den SDG-Entwicklungszielen die „grundlegende Würde des Menschen“ bekräftigt haben, müssen jetzt ihre moralische Standfestigkeit beweisen und Entscheidungen treffen, die diese Würde bewahren und schützen. Sie müssen Anerkennung und Respekt vor dem universalen Wert des menschlichen Lebens zeigen.