Als sich zum Ende des 19. Jahrhunderts die ersten Naturschützer für den Erhalt von alten Baumbeständen, urtümlichen Mooren und artenreichen Wiesengründen einsetzten, ging es nicht nur um das zunehmende Aussterben von Pflanzen und Tieren aufgrund der Vernichtung ihres Lebensraums. Auf dem Spiel stand auch das uralte Vertrauen in die natürliche Ordnung, die im Jahrhundert des Fortschritts und der großen Industrie zunehmend in Frage gestellt wurde. Denn aufgrund der enormen demografischen Schübe wurde eine deutliche Intensivierung der Landwirtschaft nötig, die nur um den Preis von massiven Eingriffen in die natürlichen Lebensgrundlagen zu haben war. Im Zuge einer umfassenden Flurbereinigung und einer tiefgreifenden Agrarreform wurden gemeinschaftliche Nutzungsrechte abgeschafft und kleinteilige Parzellen aufgelöst. Es entstanden die großflächigen und geometrischen Felder, die wir heute noch kennen und die der Logik der industriellen Produktion entsprechen. Damit war das Ende der agrarischen Lebensweise aus dem vorindustriellen Zeitalter besiegelt.

Vor diesem Hintergrund begann der frühe Naturschutz zunächst als Heimatschutz. Sein zentrales Anliegen war die Erhaltung einer vertrauten Landschaft, die es vor den Zumutungen der Moderne zu bewahren galt. Er stemmte sich gegen die Kräfte des Kapitals, die alles in Bewegung setzten und dem entstehenden Weltmarkt zuführten. Mit dem Naturschutz war daher zugleich das Versprechen eines idyllischen Landlebens verbunden. Als Gegenwelt zur industriellen Revolution und den dynamisch wachsenden Metropolen stellte die Imagination einer intakten ländlichen Gemeinschaft eine kritische Ablehnung der neuen Verhältnisse dar. Zwischen der Arbeiterbewegung und der Naturschutzbewegung gab es aus diesem Grund nur wenige Berührungspunkte. Inspiriert durch eine alte romantische Tradition waren es überwiegend Städter aus dem Bürgertum, die sich für den Naturschutz engagierten.

Auch wenn wir es heute gewohnt sind, ökologische Politik als ein linkes und emanzipatorisches Anliegen anzusehen, ist das historisch gesehen keineswegs selbstverständlich. In der ersten Umweltbewegung des 20. Jahrhunderts tummelten sich Lebensreformer, Wandervögel, Vitalisten und Neuheiden. Sie alle verband eine Zivilisationskritik, die sich aus liberalen und konservativen, aber zunehmend auch aus rechten Strömungen speiste. Der natürliche Lebensraum wurde zur Projektionsfläche für einen ökologischen Antikapitalismus, der sich gegen die Globalisierung und die Massengesellschaft richtete.

Der natürliche Lebensraum wurde zur Projektionsfläche für einen ökologischen Antikapitalismus.

Dass es zwischen der ersten Umweltbewegung und der Arbeiterbewegung kaum Überschneidungen gab, lag allerdings nicht nur an unterschiedlichen ökonomischen Interessen. Die sozialistischen und sozialdemokratischen Positionen waren in einer Sozialphilosophie begründet, in deren Zentrum der Begriff der Arbeit stand. Damit war nicht allein die menschliche Arbeitskraft gemeint, sondern auch das moderne Selbstbewusstsein, die Welt nach menschlichen Maßstäben gestalten zu können. Dagegen ging es im Naturschutz darum, die Abhängigkeit von einer ökologischen Ordnung anzuerkennen, die sich von selbst einstellt und vor allem ohne Menschen auskommt. Während die menschliche Arbeitskraft in der großen Industrie ihre Triumphe feierte, sind deren Schlote für den Naturschutz zum Inbegriff des Übels geworden.

Die weitgehende Fusion zwischen der zweiten Umweltbewegung und den neuen sozialen Bewegungen im 20. Jahrhundert wurde erst aufgrund einer neuen Linken mit einem neuen ideologischen Fundament möglich. Deren Protagonisten stammten überwiegend aus der Bürgerbewegung und der Studentenrevolte. Ihre sozialphilosophischen Grundlagen bestanden nicht mehr in einer Anthropologie der Arbeit, sondern in nonkonformistischen Programmen individueller Selbstverwirklichung und basisdemokratischer Selbstbestimmung. In der Tradition einer kritischen Antimoderne stehend, verband aber auch die zweite Umweltbewegung mit dem Naturschutz die Bewahrung einer ganzheitlichen Sozialstruktur und blieb der frühen Antithese zur Logik industrieller Produktion treu.

An die Stelle landwirtschaftlicher Großbetriebe sollte dieses Mal die ländliche Idylle eines Biobauernhofs treten. Obwohl sich die politischen Vorzeichen der zweiten Umweltbewegung geändert hatten, unterschied sich deren Zivilisationskritik nicht grundsätzlich von früheren Phasen, einschließlich einer ökologischen Esoterik und dem Wunsch nach einem authentischen Leben. Die politische Zielvorstellung, vollständig aus der Logik industrieller Produktion auszusteigen, war jedoch weder auf die moderne Gesellschaft insgesamt übertragbar noch mit einer stark zunehmenden Weltbevölkerung vereinbar.

Von daher ist es nachvollziehbar, dass die ökologischen Bewegungen mit dem Vorwurf der Naivität zu kämpfen hatten. Aber neben dem wachsenden Problemdruck war es gerade die Koppelung von sozialem Versprechen und Umweltschutz, die ihren Erfolg ausmachten. Den etablierten Parteien blieb häufig nichts anderes übrig, als ökologische Positionen zu übernehmen, ohne jedoch mit dem imaginären Kern der Umweltbewegung und ihrer Suche nach einem alternativen Leben verbunden zu sein. Vor allem die Sozialdemokratie hatte es versäumt, ein eigenes ökologisches Narrativ auszuarbeiten, das auf die Massengesellschaft und ihre Konsumbedürfnisse ausgerichtet war. Doch gerade angesichts sich erschöpfender sozialistischer Utopien wäre das dringend geboten gewesen.

Den etablierten Parteien blieb häufig nichts anderes übrig, als ökologische Positionen zu übernehmen.

So blieb das ökologische Projekt auf ein bestimmtes bürgerliches Milieu begrenzt und musste zwangsläufig elitär wirken. Dabei gab es im Verlauf des 20. Jahrhunderts einige Beispiele für das Zusammenwirken von sozialdemokratischen und ökologischen Anliegen. Unter anderem ist es etwa dem frühen Kampf der Arbeiter im Ruhrgebiet für saubere Atemluft zu verdanken, dass heute natürliche Ressourcen als öffentliche Güter verstanden werden. Im Gesundheitsschutz ergänzten sich die Sozialphilosophie der Arbeit und die Idee des Umweltschutzes gegenseitig. Zur stetigen Verbesserung der Arbeitsbedingungen gehörten jetzt nicht nur betriebliche, sondern ebenso ökologische Voraussetzungen.

Als erfolgreich erwiesen haben sich jedoch vor allem marktliberale Maßnahmen zum ökologischen Umbau der Gesellschaft. Denn am effektivsten lässt sich ein komplexes Sozialsystem dort gestalten, wo es ohnehin bereits permanenten Veränderungen ausgesetzt ist. Instrumente wie der Handel mit Verschmutzungsrechten versuchen, die Eigendynamik der modernen Gesellschaft zu nutzen, um ihre ökologische Transformation voranzutreiben. Die hohe Taktung der Konsumgesellschaft, bei der ständig Altes durch Neues ersetzt wird, erscheint so als der entscheidende Schlüssel zu einer ökologischen Zukunft, weil das neue Produkt stets etwas umweltverträglicher ist als sein Vorgänger.

Das bedeutet aber auch, dass der gewaltige Energiefluss, der die moderne Gesellschaft seit der intensiven Nutzung fossiler Brennstoffe kennzeichnet, nicht nur erhalten, sondern vermutlich sogar gesteigert werden muss, wenn der ökologische Umbau gelingen soll. Obwohl dieser Ansatz den idyllischen Imaginationen des Naturschutzes entgegengesetzt ist, kommt derzeit keine Werbung für Produkte des postfossilen Zeitalters ohne einen Verweis auf dessen Harmonie zwischen Menschen und Natur aus, mit dem entscheidenden Unterschied allerdings, dass der Einsatz effizienter Technik die neue Eintracht nicht mehr bedroht, sondern im Gegenteil erst möglich macht. Die Harmonieerwartung an eine ökologische Zukunft betrifft dabei keineswegs nur das Verhältnis der Menschen zur Natur, sondern zugleich auch die Gesellschaft selbst.

Wir erleben gerade den Anfang einer neuen industriellen Revolution.

Auch wenn die Legitimation des ökologischen Umbaus längst nicht mehr in der Bewahrung der Heimat, sondern in der des globalen Lebensraums besteht, ist dieser Umbau nach wie vor auf eine ökologische Avantgarde angewiesen, die sich vor allem moralisch von der Massengesellschaft absetzt. Dem müsste die Sozialdemokratie mit einem eigenen ökologischen Narrativ begegnen, in dessen Zentrum die Natur nicht als Idylle, sondern als Produktivkraft steht, die nicht nur erhalten, sondern in weiten Teilen überhaupt erst noch entdeckt werden muss. Die Pflanzen und Tiere dieser Erde produzieren die wichtigsten Ressourcen, die sie selbst und die Menschen zum Leben brauchen. Ohne sie gäbe es keine ausreichende Menge an Sauerstoff in der Biosphäre, sie sorgen für den Erhalt der Bodenfruchtbarkeit und die richtige Konzentration von Mineralien in den Gewässern. Auch die Natur arbeitet und gestaltet ihr eigenes Leben ebenso wie die Menschen. Auf diese natürliche Produktivität, die in einem gigantischen Stoffwechsel besteht, an dem alle Lebewesen von den Mikroorganismen bis zu den höheren Säugetieren beteiligt sind, muss eine ökologische Wirtschaft aufbauen, die mit der Logik industrieller Produktion kompatibel sein soll.

Dabei geht es nicht nur um die Bewahrung der natürlichen Leistungen, sondern um eine neue Kooperation der Lebewesen auf diesem Planeten. Wer den ökologischen Haushalt der Natur versteht und zu nutzen weiß, dem gehört die Prosperität der Zukunft. Denn eine ökologische Wirtschaft beschränkt nicht die Produktivkräfte, sondern im Gegenteil, sie erweitert deren Basis um ein Vielfaches. Das muss der Ausgangspunkt eines sozialdemokratischen Narrativs der ökologischen Transformation unserer Gesellschaft sein.

Wir erleben gerade den Anfang einer neuen industriellen Revolution, die einen Wohlstand erzeugen kann, der weit über den des fossilen Zeitalters hinausgeht. So hat im Gegensatz zur traditionellen Gewinnung von Energie die regenerative Energie deutlich geringere Schranken. Um den visionären Blick auf eine zukunftsfähige Koordinierung von industrieller und natürlicher Produktivität freizugeben, ist eine neue Auffassung des Verhältnisses von Arbeit und Natur vonnöten. Denn weder ist die Natur idyllisch noch ist die Arbeit ein exklusives Merkmal des Menschen.

Saubere Atemluft und das Erdklima gelten heute als typische Beispiele für öffentliche Güter, die für alle verfügbar sein sollen. Unter der Bedingung einer in den natürlichen Stoffwechsel eingebetteten Wirtschaft ließe sich vorstellen, die Auffassung und die Bereitstellung von öffentlichen Gütern deutlich zu erweitern und den regenerativen Energiefluss insgesamt dazuzuzählen. In diesem Sinne wäre eine ökologische Nutzung der natürlichen Produktivität auch eine Aktualisierung älterer Modelle gemeinschaftlicher Nutzung, wie sie aus der agrarischen Zeit der Allmende bekannt sind. Ein Beispiel auf dem Weg dorthin ist der Ansatz, dass die Kommunen, in denen regenerative Energien gewonnen werden, auch davon profitieren. Aus New Labour kann so Green Labour werden.