Nach den Parlamentswahlen am 5. März 2016 bleiben die Sozialdemokraten von Ministerpräsident Robert Fico stärkste Kraft in der Slowakei. Allerdings schnitt seine Smer-SD-Partei mit 28,3 Prozent deutlich schlechter ab als bei den letzten Wahlen 2012 (44,4 Prozent) und büßte ihre Regierungsmehrheit ein. Was sind die Gründe dafür?

Dafür gibt es mehrere Gründe. Zum einen ist eine Einparteienregierung die Ausnahme. Die letzte Regierung war die erste Einparteienregierung überhaupt. Absolute Mehrheit bedeutet auch absolute Verantwortung für das, was in den letzten vier Jahren geschah. Einige Wähler haben Fico vielleicht dafür abgestraft, dass er beim Streik der Krankenschwestern und Lehrer hart geblieben ist. Zum zweiten waren die vier Jahre überschattet von Korruptionsskandalen, was seine Wähler sehr kritisch gesehen haben. Diese beiden Gruppen haben ihn also nicht gewählt. Zum dritten konnte Fico kein überzeugendes Narrativ dafür anbieten, warum er vier weitere Jahre im Amt sein sollte. Anstatt sich auf soziale Fragen oder eine faire Wirtschaft zu konzentrieren, baute er seinen Wahlkampf auf das Thema Migration mit starker Anti-Migrations-Rhetorik auf. Doch damit erreichte er auch nicht mehr Wähler, denn jene, die ihm zustimmten, wählten lieber die noch radikaleren Parteien. Insgesamt ist Smer-SD auch nur zu den Prozentzahlen zurückgekehrt, bei denen sie vorher war, bei knapp 30 Prozent. Damit hätte man normalerweise eine Koalitionsregierung mit nur einem Partner bilden können, aber nicht bei der Zersplitterung, die wir jetzt nach der Wahl sehen.

Welche Parteien kommen als Koalitionspartner in Frage?

Jede Kombination ist denkbar, außer mit der faschistischen Partei Kotleba (Unsere Slowakei). Der wahrscheinlichste Partner ist die Slowakische Nationalpartei (SNS), die in letzter Zeit versucht, etwas moderater zu werden. Aber auch alle Mitte-Rechts-Parteien sind bereit, mit Smer zu koalieren, was im Jahr 2012 nicht der Fall war. Aber das wäre nicht ausreichend. Fico braucht mindestens zwei Partner. Der zweite Partner könnte daher die Partei der ungarischen Minderheit (Most-Hid) sein. Das mag merkwürdig klingen: die Slowakische Nationalpartei zusammen mit der Partei der ungarischen Minderheit. Es wäre auch eine wirkliche Ausnahme, aber durchaus denkbar. Fico wäre auch bereit, eine Koalition aus vier Parteien zu schmieden, aber lieber wäre ihm eine Koalition aus möglichst wenigen Parteien.

Erstmals zieht die rechtsextremistische Partei „Unsere Slowakei“ mit acht Prozent Stimmenanteil ins Parlament ein. Wie ist das zu bewerten?

Sie wird isoliert sein. Wer auch immer in der Opposition sein wird, wird nicht mit ihr zusammenarbeiten wollen. Dennoch wird sie weiterhin in der slowakischen Bevölkerung Unterstützung finden. Der Erfolg der faschistischen Partei ist ein Symptom für ein tiefer liegendes Problem in der Gesellschaft: die wachsende Intoleranz gegenüber Minderheiten. Daran tragen auch die Mainstream-Parteien eine Mitschuld. Wie sie über sozial benachteiligte Gruppen wie Roma gesprochen haben und wie über das Thema Migration, hat mit zur Akzeptanz dieser radikalen Positionen beigetragen. Zum anderen ist der Erfolg der faschistischen Partei als Folge einer Protestwahl zu sehen. Protest gegen ein Regime, in dem die Politik von semi-oligarchischen Gruppen entschieden wird. Viele Leute sehen die Politiker nur als deren Marionetten. Ob sie nun rechts oder links wählen – das Ergebnis ist dasselbe. Das war also eine Protestwahl gegen das System. Es gab noch zwei andere Parteien, die von Protestwählern profitierten: Olano und SaS (Freiheit und Solidarität). SaS mit ihrer Anti-Flüchtlingsrhetorik, ihrem Euroskeptizismus und ihrer harten Regierungskritik sind Teil dieser systemkritischen Bewegung. Und Kotleba (L’SNS) ist auf jeden Fall der gefährlichste Teil davon.

Wie erklären Sie sich die intolerante Haltung gegenüber Flüchtlingen in der Slowakei, obwohl dort so gut wie keine Flüchtlinge aufgenommen wurden und es keine Aussichten gibt, dass es deutlich mehr werden?

Die slowakische Gesellschaft ist grundsätzlich konservativ, nach innen gewandt und nicht besonders tolerant. Aber das sind andere Bevölkerungen in Europa auch. Das erklärt es nicht. Im Sommer 2015 beschloss aber die Regierung, aus wahltaktischen Gründen auf diese Anti-Flüchtlingsrhetorik zu setzen. Fico sagte zum Beispiel, dass der Islam mit der slowakischen Kultur nicht vereinbar wäre. Er spielte mit diesem nicht gerade sanften Rassismus und mit der Ausländerfeindlichkeit und schuf damit eine Atmosphäre der Angst und des Misstrauens.

Was ist eigentlich sozialdemokratisch an der Smer-SD?

Meiner Meinung nach ist sie keine sozialdemokratische Partei. Bei Menschenrechten und Minderheiten ist sie zutiefst konservativ. Es mag zwar Gründe geben, warum sie Mitglied in der Sozialdemokratischen Partei Europas (PES) ist, aber diese Gründe haben wenig mit Ideologie zu tun. Smer ist eine sozialkonservative Partei mit einem Sozialprogramm, das ganz bestimmte Bevölkerungsgruppen anspricht. Das sind nicht unbedingt die Gewerkschaften, wenn dann nur das Gewerkschaftsestablishment. Fico hat nicht mit den Lehrern und Krankenschwestern gesprochen als sie streikten. Auch die SNS und sogar die faschistische Partei sagen, sie hätten ein Sozialprogramm.

Wird Fico seine Rhetorik nun ändern, da er damit nicht erfolgreich war?

Nein, ich glaube nicht, dass er viel ändern wird. Er mag vielleicht einsehen, dass die Anti-Flüchtlingsrhetorik ihm nicht geholfen hat, aber er wird annehmen, dass das Abrücken davon, ihm schaden würde. Er sitzt daher in einer Falle. Zum anderen sind die Parteien – angesichts der instabilen Lage derzeit – schon wieder in einer Art Vorwahlstimmung. Niemand glaubt, dass eine wie auch immer zusammengesetzte Regierung vier Jahre halten wird. Neuwahlen scheinen nach der EU-Präsidentschaft möglich oder sogar schon davor. Alle werden sich auf Wahlen vorbereiten.

Ab Juli 2016 wird die Slowakei die halbjährliche Präsidentschaft des Europäischen Rates übernehmen. Was werden die Schwerpunkte sein?

Die neue Regierung, besonders wenn Smer-SD nicht daran beteiligt sin sollte, wird die Themensetzung beeinflussen. Wahrscheinlich ist aber, dass sie kein allzu kontroverses Thema als Hauptthema auf die Agenda setzen wird. Etwa Energiesicherheit. Bei einer breit gefächerten Regierungskoalition können sich natürlich interne Konflikte leicht auf die EU-Politik des Landes auswirken. Das könnte die Ausübung der Präsidentschaft erschweren. Wenn die Regierung das Personal, das den Vorsitz vorbereitet und durchführt, insbesondere das des Außenministeriums, beibehält, könnte ein größerer Schaden verhindert werden.

Wenn für die Flüchtlingsfrage bis Juli keine europäische Lösung gefunden wird, wird sie unter slowakischer Führung gelöst werden oder ungelöst bleiben?

Ich hoffe, die Slowakei wird nicht versuchen, die EU in die Richtung ihrer eigenen Position in der Flüchtlingsfrage drängen. Denn das wird nicht möglich sein. Ich denke nicht, dass die Position der Hauptakteure sich so sehr wandeln wird. Ich glaube nicht, dass die Slowakei die Rolle des ehrlichen Maklers spielen kann, die der Vorsitz spielen sollte. Mit so einer Position geht das schlicht nicht. Vielleicht können andere diese Rolle übernehmen, etwa Ratspräsident Donald Tusk. Sie werden wahrscheinlich versuchen, dieser Thematik fernzubleiben.

War oder ist die Slowakei ein eher proeuropäisches Land oder eher ein europaskeptisches?

Etwas vereinfachend kann man sagen, dass die Maxime der Slowakei gegenüber der EU immer war, so viel wie möglich zu nehmen und so wenig wie möglich zu geben. Manche Leute sagten, die EU sei ein Geldautomat. Slowakische Regierungen haben zum Beispiel einerseits dafür plädiert, eine Art der Solidarität in der EU zu praktizieren, etwa unterentwickelte Regionen in der EU zu unterstützen und eine starke Regionalpolitik zu haben. Andererseits, als die Slowakei gebeten wurde, in bestimmten Bereichen solidarisch zu sein, was Kosten wirtschaftlicher oder politischer Art implizierte, dann war sie sehr zurückhaltend und tat dies nur auf Druck von außen. Seit einigen Jahren versucht die Slowakei, im Mainstream der EU-Politik zu bleiben. Bei der Euro-Krise und den Problemen in Staaten wie Griechenland und Spanien war die Slowakei „deutscher“ als die Deutschen.

Das ändert sich nun, insbesondere mit Blick auf die Flüchtlingsfrage. Wenn SaS, die sehr europaskeptisch ist, Teil der neuen Regierung wird, dann wird sich die Politik vom Mainstream nach rechts verlagern. Robert Fico hat zum Beispiel nach seiner Rückkehr vom EU-Gipfel in Brüssel am 7. März gesagt, egal was die EU und die Türkei beschließen in Bezug auf die Umverteilung von Flüchtlingen, es würde nicht die Slowakei betreffen. Rechtlich gesehen ist das Unsinn, aber es ist ein Signal für die Zukunft. Und Richard Sulík von der SaS, der zweitstärksten Partei, und zweiter Kandidat für das Amt des Ministerpräsidenten, sagte am selben Tag im deutschen Fernsehen, dass die slowakische Obergrenze für die Aufnahme von Flüchtlingen null sei. Er hat versucht, das später etwas zu glätten, aber in dem Moment kam es wohl vom Herzen. Daher kann man sagen, dass die slowakische EU-Politik sich nicht mehr im Mainstream befindet, was zwar typisch für die Staaten Mitteleuropas geworden ist. Aber es bedeutet, dass es eine problematische Gruppe von Staaten in der EU gibt.

 

Wie sollten die anderen europäischen sozialdemokratischen Parteien mit Smer-SD umgehen?

Sie sollten anfangen, richtig starken Druck auf Smer-SD auszuüben und gleichzeitig mit den wenigen übrig gebliebenen Sozialdemokraten in der Partei reden.

Die Fragen stellte Anja Papenfuß.