Seit dem Amoklauf von München reden alle über das „Darknet“, wo der Täter sich seine Waffe besorgte. Was ist das eigentlich genau?
Die Definitionen des Darknets reichen von: alles, was nicht mit Google auffindbar ist – so auch verschlüsselte Firmennetzwerke – bis zu Tor, einem Anonymisierungsnetzwerk. Das Tor-Netz ist quasi ein Netz innerhalb des Internets. Es gibt zwei Möglichkeiten, dieses zu benutzen. Erstens als Tunnel, um sich im normalen Internet anonym zu bewegen, beispielsweise um unerkannt etwas auf Facebook zu posten. Der Trick dabei geht so: eine Nachricht wird mehrfach verschlüsselt über mehrere Computer hin- und hergeleitet. Am Ende lässt sich nicht mehr nachvollziehen, wo das Paket ursprünglich herkam, weil jeder beteiligte Computer sofort ‚vergisst‘, von welcher Stelle er das Paket empfing. Selbst wenn man versucht, den Ursprung einer Nachricht herauszufinden, müsste man viele Rechner unter Kontrolle bringen und nachprüfen, wo das Paket langgelaufen ist. Die zweite Möglichkeit, um das Tor-Netzwerk zu verwenden, sind versteckte Dienstleistungen, wie etwa ein Onlineshop innerhalb des Netzwerkes. Vom offenen Internet aus hat man keinen Zugang dazu. Benötigt werden das passende Instrument, also der Tor-Browser, und eine lange Adresse, um Zugang zu den versteckten Seiten zu bekommen.
Ursprünglich ist der Tor-Browser ein Mittel, das vom US-Verteidigungsministerium unterstützt wurde, um in unfreien Ländern eine Möglichkeit zur sicheren und anonymen Kommunikation aufzubauen. Und so wird es auch hauptsächlich benutzt, wie etwa jetzt in der Türkei, wo es einen deutlichen Anstieg an Menschen gibt, die sich für Tor interessieren und Tor benutzen möchten, um ohne Angst kommunizieren zu können.
Anonyme Kommunikation ermöglicht auch illegales Verhalten. Wie lässt sich dieses Problem bekämpfen, ohne dabei die anonyme Kommunikation zu gefährden?
Anonymität ist nicht das Problem. Es gibt genügend Menschen, die kriminelle Handlungen auch ohne Anonymität begehen. Der Markt für Illegales ist außerhalb des Darknets wesentlich größer, als innerhalb des Tor-Netzwerkes. Drogen an einer Straßenecke zu kaufen findet häufiger statt, als über das Darknet. Auch strafrechtlich relevante Hasskommentare werden häufig unter dem richtigen Namen verbreitet.
Was lässt sich gegen illegales Verhalten im Darknet tun?
Es ist wichtig zu verstehen, dass das Darknet nur ein Medium ist. Es ist keine Sache an sich, die es zu bekämpfen gilt, sondern ein Transportweg wie das Telefon, eine Email oder die Briefpost. Die Waffen, die im Darknet gekauft werden, kommen etwa per DHL zur Packstation des Empfängers. Niemand käme auf die Idee, die Post zu schließen, um sich dieses Problems zu entledigen.
Gibt es im Darknet so etwas wie „Selbstheilungskräfte“, also Bestrebungen der Benutzer, gemeingefährdende Vorkommnisse an Strafverfolgungsorgane zu melden?
Es existieren Bewegungen, die versuchen, gewisse Dinge zu unterbinden. Das sieht man am Beispiel der Kinderpornographie. Es gibt Leute, die versuchen herauszufinden, wie die Verantwortlichen deanonymisiert werden können, um ihre Daten bei den zuständigen Behörden zu melden. Eine andere Position herrscht aber beim Thema Drogenkonsum. Dieser wird vor allem als Privatangelegenheit verstanden. Dadurch sinkt bei dieser Frage die Bereitschaft zur Offenlegung.
Wenn es eine politische Forderung danach gäbe, bestünde technisch überhaupt die Möglichkeit, das Darknet einzuschränken?
Es ist nicht unmöglich, aber es gibt eine hohe technische Barriere. Das Tor-Netzwerk wurde explizit darauf angelegt Zensur, Unterdrückung und Verbot zu umgehen. Man sieht das sehr gut in China, wo das gleiche Netzwerk von Dissidenten zur Kommunikation benutzt wird. Es findet ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen der Regierung und einer weltweit sehr aktiven Community von Tor-Entwicklern statt. Erstere versuchen, die Tor-Verbindung zu unterbrechen und letztere finden immer wieder neue Methoden, um die chinesische Firewall doch irgendwie zu umgehen.
Wie sieht die Hacker-Community das Darknet?
Es wird als ein Bestandteil der Demokratie verstanden. Wir müssen solche Mittel in der Welt zur Verfügung haben, um in Notfällen kommunizieren zu können. Es sollte nicht als etwas Verpöntes gelten, sondern breitere Akzeptanz finden. Wir dürfen auch Bargeld benutzen, um anonym Dinge zu bezahlen. Das Darknet ist wie ein Küchenmesser – in 98 Prozent der Fälle wird damit kein Schaden angerichtet. Und doch kommt es vor, dass es missbraucht wird. Wir müssen die Güterabwägung machen und klar sagen: der positive Effekt solcher Netzwerke ist viel größer, als der negative Effekt.
Welche Politikempfehlungen haben Sie mit Blick auf das Darknet?
Zwei Dinge: erstens sollten keine Scheindebatten geführt und Symptome bekämpft werden. Die Probleme, die wir mit Terrorismus haben, werden sich nicht im Darknet lösen lassen. Zweitens: es gibt derzeit zu wenig ausgebildetes Personal für den Bereich Cybercrime bei den Kriminalämtern. Um dem illegalen Markt im Internet effektiv nachgehen zu können, wäre eine Personalaufstockung dringend nötig.
Die Fragen stellte Johann Ivanov.
2 Leserbriefe
Der Vergleich mit dem Küchenmesser bezüglich der Nutzen- / Schadenrelation erscheint mir jedoch nicht plausibel, insbesondere nicht, wenn eine jüngere Untersuchung des King's College London zu dem Ergebnis kommt, dass 63 Prozent der Inhalte des Damknet illegaler Natur sind.