Im Vorfeld der US-Präsidentschaftswahlen von 2016 überschlugen sich die Verschwörungstheorien. Laut einer von ihnen hatte die Kandidatin Hillary Clinton die Absicht, mit Hilfe der voreingenommenen Medien die Wahl zu manipulieren. Einer weiteren, hartnäckigen Theorie zufolge, die zu dieser Zeit wieder auftauchte, war Barack Obama gar kein rechtmäßiger US-Präsident, da er in Kenia geboren ist. Und bei der vielleicht ausgefeiltesten Verschwörungstheorie mit dem Namen „Pizzagate“ ging es um Anschuldigungen, Hillary Clinton und andere bedeutende Demokraten seien in Wirklichkeit ein geheimer Ring von Pädophilen, der von einer Pizzeria in Washington DC aus geleitet werde. Der prominenteste Unterstützer solcher Theorien war niemand anderes als Donald Trump. Er ging so sehr in entsprechenden Anschuldigungen auf, dass er „Verschwörungskandidat“ genannt wurde. Seit seinem Wahlsieg hingegen wirft er selbst seinen politischen Gegnern regelmäßig vor, sich gegen ihn zu verschwören. Er behauptete unter anderem, während der Präsidentschaftskampagne von 2016 von Barack Obama systematisch abgehört worden zu sein.

Auch andere politische Ereignisse der jüngsten Zeit waren mit Verschwörungstheorien durchsetzt. Das britische EU-Referendum von 2016 war dabei keine Ausnahme. Politiker, die während der Kampagne die Seiten wechselten, wurden als „Schläfer“ des „Remain“-Lagers bezeichnet, das sich für den Verbleib in der EU einsetzte. Auch hatte die „Remain“-Kampagne angeblich die Webseite zur Registrierung der Wähler zum Absturz gebracht, um selbst mehr Wähler eintragen zu können. Ebenso wurde behauptet, sie habe Wahlzettel an Nichtbriten versandt, um mehr Stimmen zu bekommen. Natürlich ist es nicht neu, dass sich Politiker durch Klatsch und Gerüchte Vorteile über ihre Gegner verschaffen wollen. Im Jahr 2016 aber nahm dies immer mehr die Form von Verschwörungstheorien an, und dies wirft eine wichtige Frage auf: Beeinflussen solche Theorien die Einstellungen der Menschen so sehr, dass sie wahlentscheidend wirken?

Natürlich ist es nicht neu, dass sich Politiker durch Klatsch und Gerüchte Vorteile über ihre Gegner verschaffen wollen. Im Jahr 2016 aber nahm dies immer mehr die Form von Verschwörungstheorien an.

 

Ergebnisse aktueller Experimente legen nahe, dass Verschwörungstheorien die Art, auf die die Menschen über soziale Themen denken, tatsächlich verändern können. Beispielsweise kam eine Studie zu dem Ergebnis, dass Bürger, nachdem sie unbegründete verschwörungstheoretische Behauptungen gelesen hatten, tatsächlich an Verschwörungstheorien über den Tod von Prinzessin Diana glaubten, sich gleichzeitig aber nicht dessen bewusst waren, dass sie ihre Einstellung geändert hatten. Mit anderen Worten, durch die unhaltbaren Verschwörungstheorien wurden ihre Ansichten über die Todesursache von Prinzessin Diana verändert, ohne dass sie dies selbst bemerkten. Dies deutet darauf hin, dass Verschwörungstheorien durchaus in der Lage sind, die Einstellungen und das Verhalten der Menschen auf heimtückische Weise zu beeinflussen.

Zu diesem Thema gibt es noch weitere Untersuchungen, bei denen es mehr um den Einfluss geht, den Verschwörungstheorien auf politische Bestrebungen haben. In einer Studie wurden den Versuchspersonen Verschwörungstheorien über die angebliche Verstrickung der Regierung in finstere Pläne und Machenschaften zu lesen gegeben (z.B. darüber, dass Prinzessin Diana durch die britische Regierung ermordet oder die Anschläge vom 11. September von der Regierung der USA veranlasst worden seien). Danach wurden sie gefragt, wie sie sich bei einer kommenden Wahl verhalten würden. Dabei kam heraus, dass die Versuchspersonen im Vergleich zu einer Kontrollgruppe, die eher verschwörungskritisches Material zu lesen bekam, deutlich weniger Wahlbereitschaft zeigten. Genauer gesagt, die Menschen waren wahlmüde geworden, weil sie sich durch die Verschwörungstheorien politisch machtlos fühlten. Andere Studien, die ähnlich vorgingen, haben gezeigt, dass Verschwörungstheorien auch das Engagement der Menschen bei Themen wie Klimawandel, Impfungen und Arbeitsplätzen verringern.

Die beiden wichtigen Ergebnisse dieser Untersuchungen sind, dass Verschwörungstheorien die Menschen davon abhalten, sich für wichtige soziale Systeme – wie die Regierung – einzusetzen. Weiterhin verstärken sie das Gefühl der Bürger, machtlos zu sein. Die Betroffenen neigen verstärkt zu der Ansicht, ihr Handeln mache keinen Unterschied. Einige dieser Studien ergaben auch, dass die Menschen durch solche Theorien verunsichert und desillusioniert werden. Also tragen Verschwörungstheorien offensichtlich nicht dazu bei, dass die Bürger aktiv sind und sich gegen Ungerechtigkeiten wehren. Stattdessen sinkt ihr Engagement, ihr Vertrauen in Politiker und Institutionen wird untergraben, und sie werden passiv oder apathisch. Warum sollten sie auch ein politisches System durch Wahlen unterstützen, von dem sie glauben, es beginge Verbrechen oder halte der Öffentlichkeit Informationen vor?

Die Menschen werden durch Verschwörungstheorien offensichtlich nicht dazu ermutigt, aktiv zu sein und sich gegen Ungerechtigkeiten zu wehren. Stattdessen sinkt ihr Engagement, und sie werden apathisch.

 

Aber die Menschen können auch anders mit Informationen umzugehen, die sie als Ungerechtigkeiten wahrnehmen. Wollen sie beispielsweise ein System, das sie für unfair halten, nicht durch ihre Stimmabgabe unterstützen, können sie sich stattdessen für nonkonformes Verhalten entscheiden oder sich für die Änderung des Systems einsetzen. Eine Studie nach der Katastrophe von Fukushima zeigte, dass Menschen, die dazu neigen, Verschwörungstheorien – unabhängig von deren Inhalt – zuzustimmen, auch eher bereit waren, auf eine der folgenden Arten zu reagieren: durch individuellen Protest (indem sie z.B. ihre private Energieversorgung auf erneuerbare Energien umstellten), durch die Teilnahme an gesetzeskonformen Aktionen (z.B. an Demonstrationen), oder durch die Beteiligung an nichtkonformen kollektiven Protesten (z.B. der Blockade der Schienen vor einem Atommülltransport als Akt zivilen Ungehorsams). Vielleicht bedeutet dies also, dass Verschwörungstheorien die Neigung verringern, ein angeblich korruptes System durch Wählen zu unterstützen, und stattdessen die Tendenz fördern, den bestehenden Zustand durch das Mittel der Systembekämpfung zu verändern. Um zu verstehen, wann solche Theorien zu Apathie führen und wann sie stattdessen systemverändernde Handlungen auslösen, sind sicherlich weitere Forschungen nötig.

Eine weitere wichtige Frage besteht darin, welche Rolle Verschwörungstheorien in der Politik spielen. Ist es möglich, dass Politiker absichtlich zu solchen Theorien greifen, um damit an die Macht zu kommen oder diese zu verteidigen? Sicherlich könnte es sein, dass sie sich über die Macht der Verschwörungstheorien, menschliche Ansichten zu verändern, durchaus im Klaren sind. Das Beispiel Donald Trumps und seiner ständigen Verbreitung von Verschwörungstheorien im Vorfeld der US-Wahlen lässt vermuten, dass er diese Theorien gezielt einsetzte, um damit die Wähler zu manipulieren. Immer wieder kam er auf Ideen zurück, die das bereits vorhandene Misstrauen der einfachen Menschen bestätigten (z.B. dass Obama und seine Regierung den Terrorismus gar nicht bekämpft oder den IS sogar aktiv unterstützt hätten). Natürlich ist es schwer zu erkennen, ob Verschwörungstheorien mit Absicht verbreitet werden. Fest steht aber, dass das Jahr 2016 nicht nur politisch entscheidend, sondern auch ungewöhnlich stark durch politische Verschwörungstheorien geprägt war. Ob Politiker solche Theorien also dazu verwenden, mehr Stimmen zu bekommen oder die Massen dadurch unter Kontrolle zu halten, dass sie ihre Wachsamkeit und ihr politisches Engagement untergraben, bleibt auch in Zukunft ein wichtiges Forschungsthema.