Kaum jemandem werden die Bilder der indonesischen Proteste, die seit letzter Woche durch die Medien gehen, entgangen sein. Im ganzen Land gehen Menschen auf die Straßen, um gegen die wahrgenommene Ungleichheit und die wirtschaftliche Rückständigkeit des Landes zu demonstrieren. Doch bereits vor den jüngsten Protesten sorgte ein ungewöhnliches Symbol für Aufmerksamkeit.
Während den Vorbereitungen zum 80. Jahrestag der indonesischen Unabhängigkeit Mitte August, zu dem traditionell die rotweiße Nationalflagge gehisst wird, verbreitete sich dieses Jahr noch eine andere Fahne und löste Diskussionen in der Regierung aus: Ein weißer Totenkopf mit gekreuzten Knochen auf schwarzem Untergrund – eine klassische Piratenflagge. Mit einem Unterschied: Der Totenkopf auf den Fahnen trägt einen gelben Strohhut mit rotem Band.
Die Fahne gehört den „Strohhutpiraten“, einer Piratenbande aus der japanischen Manga-Serie One Piece. Unter ihrem Anführer Monkey D. Luffy sucht die Bande einen Schatz und kämpft dabei gegen eine übermächtige, korrupte und unbarmherzige Weltregierung. In dem Manga steht ihre Flagge für Freiheit, Freundschaft und Widerstand gegen Unterdrückung. Und eben diese Fahne hat in den letzten Wochen die indonesische Regierung gespalten. Während einige Minister die Strohhutflagge als legitime Kritik verstanden, sah Sufmi Dasco Ahmad, der stellvertretende Sprecher des Repräsentantenhauses, in ihr den Versuch, die Nation zu spalten. Dass eine Piratenflagge für solche Aufregung sorgt, scheint auf den ersten Blick überraschend. Doch Indonesien ist kein Einzelfall.
Seit Jahren schon greifen Demonstrierende weltweit auf Symbolik aus Filmen und Serien zurück, um damit einfach verständliche Parallelen zur realen Welt und zu komplexen Konzepten wie Freiheitskampf, Demokratie und Solidarität zu ziehen. Popkulturelle Symbole sind damit inzwischen zu einer globalen Protestsprache geworden und funktionieren als universeller Code über Sprach- und Kulturgrenzen hinweg. In einer global vernetzten Welt werden sie damit zu wirkungsvollen Werkzeugen in Protestbewegungen. Tatsächlich zeigen Studien, dass Anspielungen auf Filme oder Serien – sowie andere popkulturelle Symbole – die performative Wirkung von Protesten erhöhen und gleichzeitig Identität und Solidarität innerhalb einer Bewegung schaffen.
Das Internet und besonders die Sozialen Medien spielen dabei eine essentielle Rolle: Symbolische Protestbotschaften können schnell verbreitet werden und einem internationalen Publikum mit einem einzigen Bild verständlich machen, wofür gekämpft wird – ohne dass der spezifische Kontext bekannt sein muss. Dadurch wird zugleich eine niedrigere Eintrittsschwelle geschaffen, die es vielen Menschen ermöglicht, sich mit einem Protest zu identifizieren und an ihm teilzunehmen. Gleichzeitig trägt der hohe Wiedererkennungswert von popkulturellen Anspielungen dazu bei, größere Aufmerksamkeit zu erzeugen. Er fördert die traditionelle Medienberichterstattung und steigert die Reichweite in den Sozialen Medien.
Popkulturelle Symbole sind damit inzwischen zu einer globalen Protestsprache geworden und funktionieren als universeller Code über Sprach- und Kulturgrenzen hinweg.
Besonders junge Menschen werden so direkt angesprochen und verstehen intuitiv, worum es geht. Das zeigt auch ein Artikel im Guardian, in dem britische Teenager erklären, dass sie Realitäten aus Die Tribute von Panem – Ungleichheit, eine eigennützige Elite sowie eine fügsame Öffentlichkeit – sehr wohl begreifen, auch wenn Erwachsene meinen, sie seien zu jung dafür. Gerade der Bezug zu vertrauter Popkultur im Zusammenhang mit realen Problematiken erleichtert es also, komplexe Konzepte zu vermitteln.
Aufgrund ihres oft humorvollen und harmlos wirkenden Charakter sind Anspielungen auf Popkultur außerdem besonders aufsehenerregend und ermöglichen es Protestierenden, die Ernsthaftigkeit ihres Anliegens mit einem spielerischen Deckmantel zu tarnen. Besonders in autoritären Staaten und Ländern mit eingeschränkter Meinungsfreiheit ist das subtile Verstecken in popkultureller Symbolik attraktiv, weil Demonstrierende auf diese Weise relativ frei von Zensur Kritik am Regime äußern können, ohne sich selbst zu gefährden. Sogar autoritäre Regierungen tun sich schwer, Festnahmen allein wegen eines harmlosen Film- oder Serienmotivs zu rechtfertigen. Doch die Stärke solcher Symbole liegt nicht nur in der Tarnung, die sie bieten.
Ein weiterer Faktor, der Protesten besondere Wirkung verleiht, ist die emotionale Aufladung, die durch die Anspielung auf beliebte Filme und Serien hervorgerufen wird. Filme und Serien verfügen über die einzigartige Fähigkeit, Zuschauer in das Leben der Figuren eintauchen und eine Bindung zu ihnen aufzubauen zu lassen. Das wiederum kann Einzelpersonen zum Handeln anregen und erleichtert so deren Mobilisierung. Die Beispiele hierfür sind zahlreich:
Bereits 2014 sah man in Thailand bei Demonstrationen, die auf den dortigen Militärstreich folgten, erstmals den „Drei-Finger-Gruß“ aus der Buch- und Filmreihe Die Tribute von Panem. In der Filmreihe symbolisiert der Gruß Solidarität und Rebellion und war damit bei den realen Protesten visuell stark und einfach verständlich. Die thailändische Militärregierung verbot die Geste daraufhin umgehend. Trotzdem verbreitete sie sich über Landesgrenzen hinweg im asiatischen Raum, wo sie bei zahlreichen Protesten in der Region auftauchte. 2021 war der Gruß auf den Straßen von Myanmar zu sehen, wo sich – ebenfalls nach einem Militärstreich – Tausende auf den Straßen sammelten, um für Demokratie zu demonstrieren.
In ähnlicher Manier versammelten sich 2021 tausende Arbeitnehmer in Seoul und anderen südkoreanischen Städten, um bessere Arbeitsbedingungen einzufordern. Aufmerksamkeitswirksam verkleideten sich einige von ihnen dafür mit den roten und schwarzen Ganzkörperanzügen samt Gesichtsbedeckungen der populären Serie Squid Game, in der verzweifelte Menschen – in der Hoffnung, viel Geld zu gewinnen – in einer Reihe brutaler Spiele bis auf den Tod konkurrieren. Die Kostüme der Demonstranten spiegelten ihre ökonomische Ausbeutung wider und stellten so einen direkten Bezug zwischen Fiktion und Realität her.
Sogar autoritäre Regierungen tun sich schwer, Festnahmen allein wegen eines harmlosen Film- oder Serienmotivs zu rechtfertigen.
Ebenso waren 2017, während der ersten Amtszeit Trumps, Gruppen von Frauen in roten Umhängen und weißen Hauben in amerikanischen Städten zu sehen. In Anspielung auf das 1985 erschienene Buch The Handmaid’s Tale von Margaret Atwood und die 2017 erschienene gleichnamige Serie zogen die Demonstrantinnen mit ihren Kostümen eindrucksvolle Vergleiche zwischen den Versuchen der Republikaner, die reproduktiven Rechte einzuschränken, und dem fiktiven Staat Gilead, in dem Frauen gewaltsam unterdrückt und auf ihre Fruchtbarkeit reduziert werden. Die symbolträchtigen „Mägde“ verbreiteten sich von Irland bis Argentinien, wo zahlreiche Frauen kostümiert für ihre Rechte demonstrierten. In den USA kann man sie auch heute noch auf den Straßen sehen, wo sie – zuletzt bei den No Kings-Protesten – gegen den schleichenden Abbau demokratischer Strukturen im Land demonstrieren.
Was all diese Beispiele verbindet: Popkultur wird zur Protestsprache einer globalen Öffentlichkeit. Filme und Serien sind tief in der Kultur verankert und werden von vielen Menschen konsumiert. Daher können Anspielungen auf bekannte Werke eine sofortige Verbindung zum Publikum herstellen und komplexe Themen leichter zugänglich machen. Demonstrierende auf der ganzen Welt haben damit längst verstanden: Ein Bild sagt mehr als tausend Worte.
Während die Nutzung von popkulturellen Symbolen den politischen Kampf nicht ersetzen kann, vermag sie ihn doch voranzutreiben. In unserer global vernetzten Welt sind Anspielungen auf weithin bekannte Serien und Filme ein mächtiges Werkzeug, um die Sichtbarkeit von Protesten zu erhöhen und Solidarität mit ihnen zu schaffen.
Letztendlich zeigt sich: Serien und Filme liefern eine gemeinsame Symbolbibliothek, aus der Bewegungen sich einfach bedienen können – leicht verständlich, emotional einnehmend, einfach teilbar. Zwar reicht manchmal schon ein Strohhut, um eine Regierung nervös zu machen – doch vor dem Hintergrund der jüngsten Proteste in Indonesien werden auch die Grenzen popkultureller Symbolik im politischen Kampf sichtbar. Anders als im Manga lassen sich politische Herausforderungen leider nicht in wenigen Kapiteln lösen.