Fünfzehn Minuten lang darf eine Stellungnahme vor den Vereinten Nationen sein. US-Präsident Donald Trump zeigte sich von dieser Vorgabe reichlich unbeeindruckt: Fast eine Stunde lang dauerte die Rede, die er diesen Dienstag vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen in New York hielt. Wie so oft, wenn sich der amerikanische Präsident öffentlich äußert, sorgte er auch diesmal wieder für Schlagzeilen. Schon seine Ankunft war von Schwierigkeiten geprägt: Die Rolltreppe war ausgefallen und der Präsident musste samt First Lady plötzlich eigenständig Treppe laufen. Das nahm er persönlich und warf der UN Sabotage vor. In seiner Rede deckte er jedoch noch viele weitere Themen ab. 

So warf er der UN vor, eine „Invasion“ von Einwanderern zu finanzieren, zweifelte wieder einmal die Existenz des Klimawandels an und bezeichnete den Klimaschutz als den „größten Betrug aller Zeiten“. Darüber hinaus kritisierte Trump die UN scharf und warf ihr vor, als Friedensstifterin versagt zu haben. In diesem Zusammenhang stellte er sich selbst als erfolgreichen „Peacemaker“ dar und behauptete, er habe innerhalb von sieben Monaten insgesamt sieben Konflikte beendet: Zwischen Kambodscha und Thailand, Kosovo und Serbien, Kongo und Ruanda, Pakistan und Indien, Israel und Iran, Ägypten und Äthiopien sowie schließlich zwischen Armenien und Aserbaidschan. Aufgrund dieser angeblichen Leistungen sieht Trump sich als würdigen Kandidaten für den Friedensnobelpreis und betonte in seiner Rede, „jeder“ fände, ihm stehe diese Auszeichnung zu. Zugleich beteuerte er, es gehe ihm natürlich nicht um den Preis, sondern lediglich um die geretteten Leben. Entgegen dieser Beteuerung bringt sich Trump seit längerem immer wieder als möglichen Preisträger ins Gespräch und legt sich dafür mächtig ins Zeug. So rief er im Juli den norwegischen Finanzminister und ehemaligen NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg an, um sich unter anderem nach einer Nominierung für den Preis zu erkundigen.

Und nicht nur Trump selbst sieht sich als vielversprechenden Nobelpreiskandidaten. Inzwischen wurde der amerikanische Präsident bereits von mehreren Regierungschefs vorgeschlagen, darunter von dem armenischen Regierungschef Nikol Paschinjan, dem aserbaidschanischem Staatschef Ilham Alijew sowie von Israels Premier Benjamin Netanjahu. Sogar Trumps ehemalige Konkurrentin im Wahlkampf um die amerikanische Präsidentschaft, Hillary Clinton, erklärte kürzlich, sie würde Trump für den Preis vorschlagen, sollte er es schaffen, einen Frieden für die Ukraine auszuhandeln.

Der Friedensnobelpreis ist die weltweit wichtigste Auszeichnung für außergewöhnliche Verdienste um Frieden und Menschenrechte und wird seit 1901 jährlich am 10. Dezember, dem Todestag des schwedischen Erfinders Alfred Nobel, vom norwegischen Nobelkomitee in Oslo verliehen. Unter den Preisträgern befinden sich Organisationen und Einzelpersonen, darunter das Internationale Rote Kreuz für dessen humanitäre Arbeit während den zwei Weltkriegen oder die pakistanische Menschenrechtsaktivistin Malala Yousafzai für ihren Kampf für das Recht auf Bildung und gegen die Unterdrückung junger Menschen.

Donald Trump, der seit Jahren, einen geradezu persönlichen Kreuzzug gegen Obama führt, kann es kaum auf sich sitzen lassen, dass dieser ihn in Sachen Auszeichnungen übertrifft.

Nun will also Trump den Friedensnobelpreis verliehen bekommen. Damit wäre er nicht der erste US-Präsident, der den Preis erhält, sondern würde sich einer illustren Reihe anschließen: Theodore Roosevelt, Woodrow Wilson, Jimmy Carter und 2009 auch Barack Obama. Letzterer erhielt den Preis nicht einmal ein Jahr nach seinem Amtsantritt „für seine außergewöhnlichen Bemühungen, die internationale Diplomatie und die Zusammenarbeit zwischen den Völkern zu stärken“. Schon damals hagelte es Kritik für die Entscheidung und auch rückblickend ist sie sicherlich fragwürdig. Fest steht: Obama führte während der gesamten acht Jahre im Amt Krieg und war unter anderem für seinen exzessiven Drohneneinsatz bekannt. Unter ihm schickten die USA Truppen nach Syrien und in den Irak, und es wurde eine „Kill List“ eingeführt, die bürokratisch festhielt, wer im Ausland ausgeschaltet werden solle. Den Friedensnobelpreis erhielt er trotzdem, weil er Hoffnung auf eine bessere Zukunft vermittelte. Donald Trump, der seit Jahren, einen geradezu persönlichen Kreuzzug gegen Obama führt, kann es kaum auf sich sitzen lassen, dass dieser ihn in Sachen Auszeichnungen übertrifft.

Eine Verleihung des Friedensnobelpreises an Trump wäre zweifellos kontrovers –seine „Friedensbemühungen“ lassen sich definitiv kritisch hinterfragen: Zum einen neigt Trump dazu, in bereits fortgeschrittene Verhandlungen einzusteigen und sich deren Erfolg zuzuschreiben, zum anderen bleibt die Frage nach der tatsächlichen Nachhaltigkeit seiner Initiativen. Hinzu kommt die massive Ausweitung der bereits von Obama bekannt gewordenen Drohnenangriffe auf mehr als 12.000 alleine in den vier Jahren seiner ersten Amtszeit. Zudem stehen Trumps Tätigkeiten als „Friedensstifter“ in starkem Kontrast zu seiner Inlandspolitik: Eingeschränkte Meinungsfreiheit, Übergriffe und Entführungen durch vermummte Agenten auf offener Straße sowiedie Militarisierung ziviler Bereiche.

Dennoch wäre eine Preisverleihung an Trump möglicherweise nicht völlig abwegig, kultiviert er doch das Narrativ des aktiven Friedensvermittlers mit bemerkenswertem Erfolg. Obamas Preisvergabe 2009 zeigte bereits, dass der Friedensnobelpreis nicht unbedingt für konfliktfreie Präsidentschaften vergeben wird, sondern auch für „wahrgenommene Bemühungen“. Schon bei Obama befand das Nobelkomitee, es wolle noch nicht abgeschlossene Entwicklungen für den Frieden stimulieren und fördern. Mit dieser Argumentation könnte man Trump ebenso einen Nobelpreis verleihen. Im Gegensatz zu anderen US-Präsidenten sind die USA unter ihm zumindest (noch) nicht in ein anderes Land eingefallen.

Bei einem Politiker, der Anerkennung über alles stellt, könnte der Nobelpreis tatsächlich als Anreiz für weitere diplomatische Anstrengungen wirken.

Die inzwischen polarisierte Medienlandschaft, die Trump entweder verteufelt oder vergöttert, verstellt dabei leicht den Blick auf eine nüchterne Bewertung: Dass verschiedene Regierungschefs ihn nominieren spiegelt eine internationale Wahrnehmung seiner politischen Ambitionen wider. Eine Preisvergabe könnte paradoxerweise sogar konstruktiv wirken: Trumps ausgeprägter Narzissmus könnte ihn dazu motivieren, seine Rolle als „Friedensstifter“ noch intensiver zu spielen – nicht unbedingt des Friedens willen, sondern aus Eitelkeit. Bei einem Politiker, der Anerkennung über alles stellt, könnte der Nobelpreis tatsächlich als Anreiz für weitere diplomatische Anstrengungen wirken.

Und Trump den Preis abzusprechen, weil man ihn nicht mag oder – fundierter argumentiert – weil er politisch und persönlich alles andere als friedliebend ist, reicht kaum aus. Schaut man nämlich auf einige der ehemaligen Preisträger, finden sich darunter einige gewaltbereite Gestalten. Abgesehen von kriegstreibenden US-Präsidenten gibt es noch genügend andere problematische Persönlichkeiten: Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi, unter deren Regierung in Myanmar „ethnische Säuberungen“ gegen die Minderheit der Rohingya betrieben wurden. Ein anderes Beispiel ist Menachem Begin, der Anführer der radikal-zionistischen Terrororganisation Irgu war. Die Irgun verübte 1946 einen Bombenanschlag auf das King-David-Hotel in Jerusalem, bei dem mindestens 91 Menschen ums Leben kamen. 1978 erhielt Begin, inzwischen Israels Ministerpräsident, dennoch den Friedensnobelpreis für seine Beteiligung am Frieden zwischen Israel und Ägypten. Auch dem früheren Bischof von Osttimor, Carlos Filipe Ximenes Belo, der des sexuellen Missbrauchs Minderjähriger beschuldigt ist, wurde 1996 der Friedensnobelpreis verliehen, weil er während der indonesischen Besetzung für Selbstbestimmung gekämpft hatte. Und damit ist das Ende der Liste der umstrittenen Preisträger noch lange nicht erreicht.  

Damit stellt sich die Frage, wie viel ein Friedensnobelpreis wirklich über den Charakter und die Intention einer Person aussagt. Viel eher zeigt sich: Der Nobelpreis ist vor allem ein Symbol für Hoffnung und diplomatische Initiative. Ob man Trumps Chancen auf einen Friedensnobelpreis für realistisch hält oder nicht – sein Auftritt vor der UN am Dienstag zeigt, dass er sich selbst als erfolgreichen Vermittler sieht, dem dieser Preis zustehen würde und sich dementsprechend auf der Weltbühne inszeniert. Eine Preisverleihung an Trump ist vielleicht weniger abwegig, als man erwarten könnte. Schließlich war der Friedensnobelpreis schon immer mehr Wunsch als Wirklichkeit. Dieser Logik folgend appellierte auch der französische Präsident Macron an Trump, nur er habe die Macht, den Krieg in Gaza zu stoppen und würde dafür auch den Preis verdienen.

Letztendlich mag es vielleicht weniger wichtig sein, wem der Preis verliehen wird, solange tatsächlich Frieden geschaffen wird. Also: Her mit dem Preis für den selbsternannten Friedensstifter?