Als 1950 in den USA die berühmte Studie zur „autoritären Persönlichkeit“ erschien, war noch nicht abzusehen, dass deren Ergebnisse eine ganze Generation prägen sollten. Die breite Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus hatte gerade erst begonnen, obwohl schon früh deutlich war, dass sich die Schuldfrage keineswegs auf einzelne Täter beschränken ließ. Maßgeblich mitgewirkt an der Studie hatten auch Mitarbeiter des angesehenen Instituts für Sozialforschung, das von Frankfurt am Main nach New York übergesiedelt war und später, nach seiner Neugründung in Deutschland, zum Hauptsitz der legendären Frankfurter Schule werden sollte. Die Grundlagen der Studie bildeten die ersten psychoanalytischen Arbeiten zur „Triebstruktur“, die dem gesellschaftlichen Zusammenhang zwischen „Triebunterdrückung“ und der Herausbildung autoritärer Strukturen nachgegangen waren. Zwei Jahrzehnte später wurde die Studie zur wichtigsten Quelle der antiautoritären Bewegung und ihrem Kampf gegen die repressive Gesellschaft.

In ihrem Buch Zerstörungslust greifen Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey nun erneut auf das Konzept der „autoritären Persönlichkeit“ zurück, um die Affektlage unserer Gegenwart zu analysieren und den Aufstieg rechter Parteien in Europa und den USA zu begreifen. Wie bei dem historischen Vorbild basiert ihre Untersuchung auf der Auswertung von Fragebögen und Interviews, die den Grad der „destruktiven Einstellungen“ bei Anhängern rechter Parteien messen sollen. Um die aggressiven Stimmungen in Teilen der Gesellschaft abbilden zu können, haben Amlinger und Nachtwey die Antworten in vier Kategorien eingeordnet, die von den „Nicht-Destruktiven“ bis zu den „Hoch-Destruktiven“ reichen. Anhand der Interviews beschreiben sie eindringlich die neuerliche Entwicklung autoritärer Strukturen, die sie als „demokratischen Faschismus“ bezeichnen. Ihre Studie ist jedoch nicht nur eine Affektanalyse, sondern zugleich auch selbst ein Symptom unserer Gegenwart und ihrer Pathologisierung des politischen Gegners.

Das macht bereits der Titel Zerstörungslust deutlich, der weit zurückgreift in die Geschichte der Psychoanalyse und der Frankfurter Schule. Denn damit ist nicht bloß gemeint, dass sich aus persönlicher Frustration ein destruktives Verhalten entwickeln kann, das den Austausch mit anderen grundsätzlich verweigert. Vielmehr sehen Amlinger und Nachtwey in der gezielten Zerstörung der demokratischen Kultur durch Rechtspopulisten einen krankhaften „Lustgewinn“, aus dem die rechten Parteien ihre soziale Energie beziehen würden. Aufgeworfen hatte diesen Problemkomplex bereits der Erfinder der Psychoanalyse selbst, der damit seinen Nachfolgern zugleich ein pessimistisches Erbe hinterließ, das für viele Grabenkämpfe innerhalb der Sozialpsychologie gesorgt hat. Denn angesichts der europäischen Selbstzerstörung im Ersten Weltkrieg hatte Sigmund Freud neben den „Lebenstrieben“ auch die Existenz von „Todestrieben“ postuliert, die eine eigenständige „Lustquelle“ darstellen sollten und deren Befriedigung verheerende gesellschaftliche Folgen haben konnte.

Vor diesem geistesgeschichtlichen Hintergrund sprechen Amlinger und Nachtwey von einer „dionysischen Kraft des Faschismus“, der man die „Lust auf Teilhabe“ entgegensetzen müsse. An die Stelle der negativen Energie der Rechten soll eine positive Energie der Linken treten. Zur Einlösung dieses Programms beziehen sich Amlinger und Nachtwey allerdings nicht auf die Diagnose unaufhebbarer Widersprüche im „Triebleben“ der Menschen, sondern auf Erich Fromm, der eine grundsätzliche Revision der Psychoanalyse vorgenommen hatte und damit bei seinen Mitstreitern der Frankfurter Schule auf heftige Ablehnung gestoßen war. Fromm gehörte zum Kreis der „Freudomarxisten“ und setzte an die Stelle der „Trieblehre“ eine Natur des Menschen, die sich allein durch eine konstruktive Verwirklichung seiner Möglichkeiten auszeichnen sollte. Nur wenn die Menschen aufgrund sozialer Umstände an der Entfaltung ihrer Persönlichkeit dauerhaft gehindert werden, verkehren sich demnach ihre lebenbejahenden in lebensverneinende Kräfte.

An die Stelle der negativen Energie der Rechten soll eine positive Energie der Linken treten.

Diese Vision einer Gesellschaft, die nur aus „Lebenstrieben“ besteht und ganz ohne „Todestriebe“ auskommt, stellt für Amlinger und Nachtwey den Horizont ihrer Untersuchung zu „destruktiven Einstellungen“ dar. In einer Gesellschaft, in der sich alle frei entfalten könnten, gäbe es weder Aggression noch Destruktion und damit auch keinen Grund für rechte Parteien. Weil beides nicht aus der Natur des Menschen ableitbar sein soll, sondern als Effekt gesellschaftlicher Blockaden verstanden wird, müssen die Ursachen in einer sozialen Pathologie gefunden werden. Diese sehen Amlinger und Nachtwey mit dem Neoliberalismus gegeben, der sich seit Anfang der 1980er Jahre als Antwort auf das Abflauen der hohen Wachstumsraten herausgebildet hat. Mit dem Ende des klassischen Wohlfahrtsstaats in seiner paternalistischen Ausprägung und dem Appell an die Eigenverantwortlichkeit ging demnach auch eine zunehmende Verlangsamung des gesellschaftlichen Fortschritts einher, was zu einer umfassenden Frustration großer Teile der Bevölkerung führte.

Diese neoliberale Epoche bezeichnen Amlinger und Nachtwey wiederum mit Rekurs auf die Psychoanalyse als „regressive Moderne“. Während die vorangegangene Epoche der „Spätmoderne“ noch durch Massenkonsum und Aufstiegsmobilität entscheidende Leistungen gesellschaftlicher Integration erbringen konnte, ist der politischen Gegenwart jeglicher Fortschrittsoptimismus abhandengekommen. Auf diese Enttäuschung reagieren die Anhänger rechter Parteien mit einer maßlosen Wut, die sich nicht nur gegen andere richtet, sondern die es insgesamt verhindert, gemeinsame Lösungen zu finden. Eine ähnliche Diagnose hat bereits Rahel Jaeggi, ebenfalls Vertreterin der Frankfurter Schule, in ihrem Buch Fortschritt und Regression gestellt. Auch sie deutet die Polarisierung als Folge eines blockierten Fortschritts, bei dem sich Teile der Bevölkerung dem gesellschaftlichen Lernprozess systematisch verschließen. An die Stelle von politischen Gegnern tritt bei ihr daher die pädagogische Unterscheidung zwischen Lernwilligen und Lernunwilligen.

Zu den wesentlichen Ergebnissen der Studie von 1950 gehörte, dass sich eine „autoritäre Persönlichkeit“ zugleich durch Autoritätshörigkeit und das Bedürfnis auszeichnet, selbst Autorität über Schwächere auszuüben. Die Ursachen dieser Gefühlsambivalenz aus dem Hass gegen andere und dem Hass gegen sich selbst wurden entwicklungspsychologisch als Folge einer repressiven Erziehung gedeutet, die in der Nachkriegszeit vermehrt in den Fokus der Kritik geriet. Der Kampf gegen die „Triebunterdrückung“ wurde insbesondere von der emanzipativen Bewegung der 1968er als wichtiges Vehikel der Gesellschaftskritik angesehen. Mit der gesellschaftlichen Liberalisierung jedoch, die den „Lustgewinn“ längst zum allgemeinen Imperativ erhoben hat, ist dieses Vehikel inzwischen weitgehend wirkungslos geworden. Die Rückbesinnung von Amlinger und Nachtwey auf Fromm ist daher auch die Konsequenz einer theoretischen Anpassung der Frankfurter Schule. War es früher die repressive Gesellschaft, welche die Menschen krank machte, ist es jetzt die liberale Gesellschaft.

In Bestsellern wie Die Kunst des Liebens (1956) und Haben oder Sein (1976) zeigte Fromm mögliche Wege zu einem neuen Menschenbild auf, dem die anderen Vertreter der Frankfurter Schule mehr als skeptisch gegenüberstanden. Heute finden sich seine Ansichten in zahlreichen populären Lebensratgebern wieder. Zwar war auch Fromm der Meinung, dass sich das menschliche Potenzial nur unter postkapitalistischen Verhältnissen voll ausschöpfen ließe, aber im Unterschied zu seinen kritischen Mitstreitern sah er mehr Spielräume bei der individuellen Lebensgestaltung. Amlinger und Nachtwey beziehen sich vor allem auf sein Buch Die Furcht vor der Freiheit (1941), in dem er den Autoritarismus als Reaktion auf den beschleunigten sozialen Wandel beschrieb. Demnach bestand der zentrale Widerspruch der Modernisierung in der wachsenden Unabhängigkeit und der gleichzeitigen Verlorenheit der Menschen. Diesem vielfach diagnostizierten Widerspruch setzte Fromm seine Vorstellung einer Gesellschaft liebender und kreativer Beziehungen entgegen.

Wie Fromm die grundsätzliche Widersprüchlichkeit im „Triebleben“ ausräumte, indem er alles Gute der Natur des Menschen und alles Böse den sozialen Umständen zurechnete, übergehen Amlinger und Nachtwey die fundamentale Konflikthaftigkeit demokratischer Gesellschaften, die selbst unter idealen sozialen Bedingungen nicht verschwinden würde. Ihr sozialpsychologischer Ansatz läuft Gefahr, im Rückgriff auf eine bereinigte Psychoanalyse alle abweichenden Meinungen als psychisch deformiert aufzufassen. Das trägt nicht zu einer politischen Auseinandersetzung mit dem Aufstieg rechter Parteien und der Krise des Liberalismus bei, sondern mündet in einer intellektuellen Immunisierung gegenüber Einstellungen, die sich nicht mit den eigenen Idealvorstellungen decken. Dabei wäre es entscheidend, von einer „Charakterkunde“ des Gegners abzusehen, um Konflikte politisch „durcharbeiten“ zu können. Aber das setzt voraus, dem anderen auf Augenhöhe zu begegnen, die Möglichkeit des eigenen Irrtums einzuräumen und erhebliche Differenzen auszuhalten. Nur so kann eine demokratische Kultur entstehen, in der Andersdenkende nicht moralisch aussortiert und in der Streitfragen konstruktiv ausgetragen werden.