Die europäische Automobilindustrie steckt in ihrer tiefsten Krise. Mit Trump 2.0 droht die Handelspolitik endgültig zum geoökonomischen Schlachtfeld zu werden. Gleichzeitig ringt die EU mit China um ihr künftiges Verhältnis – Kooperation, Wettbewerb oder Konfrontation? Währenddessen eskaliert der Krieg im Kongo.

Wie einst Bronze, Eisen, Kohle und Öl ihre Epochen prägten, wird dies nun Lithium tun. Henry Sanderson wirft in Volt Rush einen spannenden Blick auf die Geschichte der Elektromobilität und den Aufstieg des Batterie-Zeitalters.  Das ist durchaus sehr unterhaltsam, zumal der Journalist eine flotte Schreibe hat. Zudem ist offenbar ein Hang zum modernen Kreuzrittertum nicht von Nachteil, wenn man es im Rohstoffsektor zu etwas bringen will. Entsprechend reich an Anekdoten ist der Streifzug durch rohstoffreiche Länder, prägende Figuren und die industriepolitische Geschichte.

Das Zeitalter der „Erneuerbaren“ – und mit ihm das der kritischen Rohstoffe – wird mindestens ebenso geopolitisch geprägt sein wie das Öl-Zeitalter. Industriepolitik ist mehr als Rohstoffe, aber ohne Rohstoffe ist alle Industriepolitik nichts. Dementsprechend treibt die Menschheit den Bergbau intensiver voran als je zuvor. Sanderson zitiert den Ökonomen Jeffrey Bernstein, der feststellt: Ein Prozent Wirtschaftswachstum führt zu zwei Prozent Zuwachs bei Bergbau-Aktivitäten.

Ein Blick auf die Wertschöpfungsketten genügt, um zu verdeutlichen, wie sehr sich die ökonomischen Machtverhältnisse durch den klimaneutralen Umbau verändern werden. Ohne China ist die batterie-basierte ökologische Zukunft derzeit nicht denkbar. Aus industriepolitischer Sicht ist das ein Desaster für Europa. Aber auch mit Blick auf die angestrebte strategische Autonomie ist es ein Offenbarungseid. Die Steuerung der kompletten Wertschöpfungsketten bildet Europas größte Achillesferse. Aus europäischer und gerade aus deutscher Sicht ist es entsprechend auch eine schmerzhafte Lektüre. Der Westen hat geschlafen. Für Sanderson besteht kein Zweifel: Es war ein epochaler Fehler, die Forschung und Entwicklung bei Batterien zu vernachlässigen.

Industrieller Erfolg basiert üblicherweise auf zwei Durchbrüchen: zum einen bei Forschung und Entwicklung; zum zweiten über die Skalierung. China managt bei Clean Tech beides. Damit konnten gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe geschlagen werden. Mit Blick nach innen ging es darum, die eigenen Städte sauberer zu machen und die Abhängigkeit vom Ausland zu reduzieren, etwa beim Öl. Und extern lockten Prestige und wachsende Anteile am Weltmarkt der Zukunftstechnologien. Die Dominanz bei neuen Technologien, sie ist historisch schon immer verbunden mit nationaler Stärke und Macht. Die Revolution auf dem Automobilmarkt bot China eine once in a lifetime-Möglichkeit – und sie wurde genutzt. Hilfreich dabei, auch diese schmerzhafte Einsicht bietet die Lektüre, war insbesondere die Zusammenarbeit mit deutschen Autobauern. Hohe Standards und kontinuierliche Testreihen halfen, chinesische Technik zu verbessern. Ebenso hilfreich, keine Frage: der brachiale Protektionismus. Dass lokal produzierte Autos lokale Batterien nutzen mussten und müssen, war ein entscheidender Schlüssel zum Erfolg.  

Das Buch legt die gewaltige Subventionsmaschine offen, die Chinas Aufstieg ermöglicht hat.

Das Buch legt die gewaltige Subventionsmaschine offen, die Chinas Aufstieg ermöglicht hat. Es zeigt, dass der chinesische Weg beispiellos und extrem kostspielig war – und sich daher nicht ohne Weiteres nachahmen lässt. Gleichzeitig wird deutlich, dass auch in China nicht alles reibungslos verläuft und viele Unternehmungen scheitern. Damit widerspricht das Buch dem im Westen verbreiteten Narrativ eines allumfassenden chinesischen Masterplans. Doch trotz Rückschlägen hat China sein Ziel erreicht: die Marktdominanz in einer wachsenden Zahl von Zukunftstechnologien.

Ein Schlüssel zum Erfolg: China dominiert die gesamte Wertschöpfungskette. Das Land selbst verfügt bei vielen kritischen Rohstoffen keineswegs über große Reserven. Aber es hat den Verarbeitungsprozess unter seine Fittiche gebracht. Unternehmen wie CATL erwarben Minen beziehungsweise Anteile daran und sicherten sich so Zugang zu den nötigen Rohstoffen. Europa dagegen hat nur einen geringen Anteil an der Produktion von Kobalt, Nickel, Lithium und Graphit; noch schlechter sieht es bei der Weiterverarbeitung zu Vorprodukten aus.

Beim Lesen drängt sich unweigerlich die Frage auf: Wie kann Europa darauf reagieren? Wie lässt sich eine erfolgversprechende Kooperation zwischen Staat und Unternehmen gestalten? In den Industriestaaten ist die Vernetzung zwischen Wirtschaft und Politik weit weniger eng als in China. Zwar unterzeichnen Regierungen zahlreiche Memorandums of Understanding, doch die entscheidenden Faktoren – Investitionen, Kooperationen, Technologietransfer und Produktionsstätten vor Ort – liegen größtenteils in der Hand privater Unternehmen. Diese wiederum verfolgen in erster Linie wirtschaftliche Ziele. Sie sind eher den Interessen ihrer Anteilseigner verpflichtet als den makroökonomischen oder sicherheitspolitischen Überlegungen ihrer Regierungen

Zwar gehört zur Wahrheit eben auch, dass es im Fall der chinesischen Batterie- und Automobilindustrie oft private Unternehmen sind, die Pionierarbeit leisten. Aber die chinesische Regierung bietet den rohstoffreichen Partnerländern staatlich finanzierte Infrastruktur. Hinter den Abkommen zwischen Regierungen werden Unternehmen aktiv. Und auch die finanzielle Unterstützung durch chinesische Banken wie die Export-Import-Bank und die Chinesische Entwicklungsbank sind zentral. Europa muss dringend Antworten finden, wie staatliche und privatwirtschaftliche Interessen besser verzahnt und ausreichend finanzielle Anreize und Absicherung bereitgestellt werden können.

Für Europa stellen sich hier naturgemäß gleich zwei Herausforderungen. Es gilt, die aktuelle Krise der Automobilbranche zu überwinden, bevor empfindliche Schneisen in die gesamte Zulieferkette geschlagen sind und viele Jobs verloren gehen. Es gilt aber auch, endlich vor die Welle zu kommen, etwa in der Batterieentwicklung. Auch diese Frage wirft Sanderson auf. Neue Batterietechnologien, die auf anderen, möglichst weniger problematischen Rohstoffen als etwa Kobalt basieren, wären vermutlich der einzige Weg. Aber auch hier hat China üblicherweise die Nase vorn. Ohne mehr gemeinsame Forschung und Entwicklung in Europa wird es nicht gehen.

Dabei sollte sich der Blick auch aufs Recycling richten. Bei der Batterieherstellung fällt Abfall an, gleichzeitig ist dieses Material Millionen wert. Anders als fossile Energie können Metalle schier endlos recycelt werden – ohne größeren Funktionsverlust. Bisher ist die Geschwindigkeit auf dem Weg zur Kreislaufwirtschaft noch gering. Geschätzt 50 Millionen Tonnen Elektroschrott werden aktuell jährlich weggeworfen; nur 20 Prozent wird recycelt. Die Konzentration von Mineralen ist in Elektroschrott wesentlich höher als in der Natur. Geschätzt ist der Schrott insgesamt 57 Milliarden US-Dollar wert.

Anders als fossile Energie können Metalle schier endlos recycelt werden.

Wer wie Europa wenig Zugang zu den Rohstoffen über Minen hat, für den sollte dieser Aspekt nochmals interessanter sein. Europa sollte die sich abzeichnende chinesische Dominanz bei der Weiterentwicklung der Kreislaufwirtschaft als einen sehr lauten Weckruf verstehen. Das chinesische Lithiumunternehmen Ganfeng zum Beispiel integriert nicht nur den gesamten Prozess vom Bergbau bis zum fertigen Produkt. Es widmet sich inzwischen auch dem Recycling alter Lithium-Ionen-Batterien zu neuem Rohmaterial sowie der Forschung zu neuen Materialien, mit denen Autos in Minuten geladen werden können. Behalten die Chinesen hier die Nase vorn, werden sie ihre Dominanz zementieren.

Ein großer Verdienst Sandersons ist es, mit einigen falschen Gewissheiten aufzuräumen. Dem Kongo sind gleich zwei Kapitel gewidmet. 2019 etwa verarbeiteten chinesische Unternehmen wie Huayou 90 Prozent des aus dem Kongo stammenden Kobalts. Sanderson macht deutlich, wie schwierig es ist, in solch komplexen Produkten die Herkunft einzelner Rohstoffe zurückzuverfolgen. Auch weil chinesische Batterie-Konzerne und ihre westlichen Abnehmer negative Reaktionen der Verbraucher fürchteten, suchte man nach Alternativen.

Bei der wiederholten Beschreibung dieses internationalen Drucks durch Investoren und letztlich Käufer drängt sich derzeit eine unangenehme Frage unweigerlich auf: Werden angesichts der aktuellen großangelegten Attacke auf Sozial- und Umweltstandards in den USA und Europa solche Erwägungen künftig noch eine vergleichbare Rolle spielen? Europa hat hier selbst ein massives Interesse an CO2-Grenzwerten und einem gesunden Maß an sozialen und Umweltstandards. Von mehr Laisser-faire werden eher die bereits etablierten chinesischen Unternehmen profitieren, auch das wird deutlich. Europas Wettbewerbsvorteil dagegen könnten weiterhin die geringeren Emissionen sein. Etwa 40 Prozent der Emissionen bei der Herstellung eines E-Autos gehen aufs Konto der Batterie. Bei der Herstellung in China werden wegen der hohen Abhängigkeit von Kohle etwa 60 Prozent mehr Emissionen erzeugt. Allerdings sollte man hier die Rechnung nicht ohne den Wirt machen – sprich: ohne die Erzeugerländer.

Um die Margen des Problemrohstoffs Kobalt aus dem Kongo zu reduzieren, wurde mehr Nickel verwendet, das aus Indonesien stammt; chinesische Firmen haben dort in Hütten und Edelstahlwerke investiert. Sanderson stellt in seinem Buch Unternehmen vor, die im Westen kaum jemandem ein Begriff sind, die aber über eine unglaubliche Marktmacht verfügen. Ein eindrucksvolles Beispiel ist Tsingshan, das innerhalb eines Jahrzehnts den globalen Wettbewerb auf dem Stahlmarkt drastisch verändert hat. Der Marktanteil des Unternehmens in der Edelstahlproduktion stieg von fünf Prozent im Jahr 2009 auf 25 Prozent ein Jahrzehnt später. Nach Indonesien zu gehen, spielte eine Schlüsselrolle auf dem Weg zur Dominanz des globalen Stahlmarkts. Das kam der dortigen Regierung entgegen, denn sie wollte die heimische Weiterverarbeitung pushen und damit die eigene Industrialisierung fördern.

Auch an dieser Stelle stolpert man über vermeintliche europäische Gewissheiten. China sei nur am Export der Rohstoffe interessiert; man selbst aber stehe bereit, die Interessen der Partner wesentlich besser zu würdigen, so rühmen sich westliche Regierungen. Das Beispiel Tsingshan zeigt, dass man hier gefährlich auf dem Holzweg sein könnte. Erstens möchten Regierungen im Globalen Süden und hier allzumal die der rohstoffreichen Länder die Bedingungen gern selbst festlegen. Daran wird man künftig schwerlich vorbeikommen. Hier braucht es attraktive Angebote statt oft als überheblich empfundene Appelle sowie als protektionistisch wahrgenommene Standards. Und zweitens macht man es sich hier mit Blick auf China zu einfach. Chinesische Unternehmen sind agil; sie passen sich in aller Regel den Rahmenbedingungen der Partnerländer sehr geschmeidig an. Und von einer stärkeren Marktmacht und von regionalen Wertschöpfungsketten profitieren sie im Zweifel sogar, wie das Beispiel Indonesien zeigt. 2022 erließ die indonesische Regierung einen Exportbann für Nickelerz – ein Schlag für die ohnehin schon angeschlagenen westlichen Produzenten. Der Bann nutzte auch Tsingshan, denn durch ihre Marktmacht in Indonesien selbst konnten sie Preise setzen. Das Unternehmen fand sich in der Pole Position für die Elektrofahrzeug-Industrie aufgrund des höheren Bedarfs an Nickel.

Es sind diese Beispiele, die Volt Rush gerade in der aktuellen Debatte um die Zukunft europäischer Schlüsselindustrien und den globalen Wettlauf um Wettbewerbsfähigkeit zur politischen Pflichtlektüre machen.