Nach der französischen Intervention kam es Ende letzten Jahres zu Wahlen. Der Riss zwischen Süden und Norden ist jedoch allgegenwärtig. Wo steht Mali im Versöhnungsprozess?

Die Wahlen waren ein wichtiger Moment auf dem Weg zurück zu einem konstitutionellen und funktionierenden Staat. Korrekt: Die Krise Malis ist im letzten Jahr überdeutlich geworden als zwei Drittel des Landes von bewaffneten Gruppen besetzt waren. Doch die Krise ist das Resultat einer langen und graduellen Schwächung und immer stärkeren Auflösung des malischen Staates. Was wir jetzt angehen müssen ist die Schaffung der Grundvoraussetzungen für einen funktionierenden Staat: Eine Stärkung des Justizsystems, des Gesundheitswesens, der Bildungsinstitutionen. All diese Elemente wurden von Korruption zu sehr geschwächt und müssen nun wieder hergestellt werden. Der Staat muss faktisch neugegründet werden. Nur dann können wir uns auch als Gesellschaft neu erfinden, einen neuen Sozialvertrag schließen, einen neuen Willen finden, zusammenzuleben.

Das eigentliche Problem ist daher nicht Norden gegen Süden, sondern ein Bruch der Bürger mit dem Staat. Wo waren die Bürger während des Putsches? Niemand wollte die Regierung verteidigen.

Tatsächlich befindet sich ganz Mali in einer Krise, nicht nur der Norden. Wir haben in den vergangenen Monaten einen Bruch zwischen Staat und Bürgern erlebt. Das eigentliche Problem ist daher nicht Norden gegen Süden, sondern dieser Bruch der Bürger mit dem Staat. Wo waren die Bürger während des Putsches? Niemand wollte die Regierung verteidigen. Sicher, im Norden ist die Lage schlimmer. Aber erst wenn wir diese grundlegenden Herausforderungen meistern, wird die Krise in meinem Land wirklich überwunden sein.

Welche konkreten Maßnahmen werden aktuell getroffen, um den Versöhnungsprozess voranzubringen?

Wir wollen einen Prozess im Land anstoßen, der mit der Generalversammlung im November begonnen hat und der Mali einen Weg in eine gemeinsame Zukunft weisen soll: Eine stärkere Dezentralisierung des Landes, eine umfassende Entwaffnung und Abrüstung aller Akteure sowie den Wiederaufbau zentraler staatlicher Dienstleistungen. Hierzu gab es bereits eine Reihe wichtiger Konferenzen und nationaler Versammlungen, die im Februar fortgesetzt werden. Es geht uns darum, alle Akteure, inklusive der bewaffneten Gruppen, zu versammeln, um Lösungen für die Krise unseres Landes zu finden. Ein Schlüsselbegriff ist die Frage der Partizipation. Wir benötigen Entscheidungsprozesse mit stärkerer Beteiligung etwa der lokalen Würdenträger.

Der Weltsicherheitsrat hat jüngst eine Intensivierung des Dialoges mit den Rebellen gefordert. Warum ist es so schwierig, in diesem Dialog Fortschritte zu erzielen und formelle Gespräche zu führen?

Da gibt es einen gewichtigen Unterschied zwischen der Berichterstattung und der Realität. Wir stehen laufend, wirklich jeden Tag, in Kontakt mit den Rebellengruppen, auch wenn sich dies nicht in den Medien wiederfindet. Erst kürzlich haben wir in der Stadt Kidal mit den Rebellen einen Dialog in die Wege geleitet. Aber wir wollen derzeit keine Gespräche nur zwischen Regierung und bewaffneten Rebellen, sondern einen inklusiven Prozess, an dem das gesamte Land und alle Gruppen beteiligt sind - auch soziale Akteure. Kürzlich haben in Algier drei der vier wichtigsten Rebellengruppen gemeinsam eine vorläufige Position erarbeitet, um in einen effektiven Dialog mit der Regierung zu treten. Dies ist ein wichtiger erster Schritt, der uns hin zu einem erfolgreichen Dialog führen kann. Deshalb unterstützen wir diese Gespräche. An die Vorbereitungstreffen in Algier werden wir mit einer Serie von insgesamt drei Konferenzen anschließen - etwa zur Frage der Demobilisierung und der Reintegration oder zur Neuaufstellung der sozialen Prioritäten. Daran anschließend planen wir inklusive Gespräche mit allen beteiligten Gruppen - auch den bewaffneten Kräften.

In Deutschland wird kontrovers diskutiert, ob sich auch die Bundeswehr stärker an militärischen Auslandsmissionen beteiligen sollte. Was sind ihre Erwartungen an Deutschland?

Wir sind an einer intensiven militärischen Kooperation interessiert. Was wir jetzt gerade am dringendsten benötigen ist die vollständige Ausrüstung der drei von der EU ausgebildeten Bataillone der malischen Armee. Diese Bataillone, sowie ein viertes, das derzeit ausgebildet wird, muss wirklich einsatzfähig gemacht werden. Besonders wichtig ist die Kommunikationsfähigkeit und die Frage der Mobilität. Derzeit ist die malische Armee noch zu schwach, um in einem so großen Land effektiv gegen Terroristen vorgehen zu können. Hier benötigen wir Unterstützung. Außerdem im Bereich der Informationstechnik und der Nachrichtenbeschaffung. Um reagieren zu können, ist der Zugang zu Informationen etwa von Satelliten und anderen Überwachungstechniken unumgänglich.

Vor kurzem bin ich in Mali in einer deutschen Transall-Maschine mitgeflogen. Dies ist Unterstützung, die uns angesichts der Größe unseres Landes sehr hilft.

Darüber hinaus benötigen wir vor allem Hilfe im Bereich der Luftstreitkräfte und der Logistik: Wir verfügen derzeit etwa über keinen einzigen Hubschrauber. Vor kurzem bin ich in Mali in einer deutschen Transall-Maschine mitgeflogen. Dies ist Unterstützung, die uns angesichts der Größe unseres Landes sehr hilft. Noch einmal: Wir brauchen multidimensionale Unterstützung. Dabei ist übrigens auch die regionale Dimension von entscheidender Bedeutung. Zuletzt haben wir uns etwa mit Mauretanien darauf verständigt, keine bewaffneten Bewegungen in unseren Territorien zu dulden.

Christine Lagarde, die Chefin des IWF, hat vor kurzem Mali besucht und speziell internationale Investitionen eingefordert, um die wahren Ursachen der Krise anzugehen. Wie steht es um die wirtschaftliche Entwicklung?

Ökonomisch befinden wir uns in einer Phase der Genesung. Wir haben mit den verschiedenen internationalen Partnern einen Plan für beschleunigte wirtschaftliche Entwicklung speziell des Nordens aufgelegt. Dieser muss nun zügig umgesetzt werden. Übrigens suchen wir auch hierfür noch nach den Geldern für die Umsetzung. Dabei ist jedoch klar, dass zunächst die Gewalt im Norden beigelegt werden muss. Die Finanzierung wird nicht sichergestellt werden können, wenn dieser Konflikt nicht überwunden wird. Daher liegt für uns nun die absolute Priorität auf dem Erreichen eines Abkommens mit den bewaffneten Truppen, das die akute Krise beendet und uns erlaubt, uns stärker um die wirtschaftliche Weiterentwicklung des Landes zu kümmern. Und auch hierfür benötigen wir die Unterstützung unserer Partner.