Sie haben Friedensoperationen der vergangenen 11 Jahre untersucht. Wie nehmen Sie die deutsche Debatte über mehr Engagement der Bundeswehr im Ausland wahr?

Die Debatte ist hoch interessant. Auf der einen Seite ist es offensichtlich, dass das Entsenden von Truppen ins Ausland kaum eine Zeitenwende für Deutschland ist. Schauen Sie sich etwa die großen Bundeswehr-Kontingente auf dem Balkan und in Afghanistan an. Deutschland war innerhalb der ISAF in hochintensive Kampfsituationen involviert und hat mit 54 getöteten Soldaten auch deutliche Opfer bringen müssen.

Friedensmissionen sind für die beteiligten Truppen viel weniger riskant als Aufstandsbekämpfungsmissionen wie die der ISAF in Afghanistan

Andererseits gibt es nun tatsächlich wiederholt Rufe nach mehr deutschen Uniformierten in Afrika-Missionen, speziell in UN-Einsätzen. Die Unwilligkeit, Soldaten in gefechtsintensive Missionen zu senden, bei denen wie in Afghanistan Aufstandsbekämpfung im Vordergrund steht, ist dabei verständlich und nicht auf Deutschland beschränkt. Die Beteiligung an UN-Friedensoperationen oder gemeinsamen EU-Missionen sind jedoch komplett anders einzuordnen. Solche Einsätze sind für die beteiligten Truppen viel weniger riskant als Aufstandsbekämpfungsmissionen wie die der ISAF in Afghanistan. Daher sollte die deutsche Debatte aus meiner Sicht spezifisch auf den Typ von Missionen eingehen und den Kontext des Einsatzes betrachten.

Auslandseinsätze werden breit öffentlich diskutiert. Was bleibt dabei außen vor?

Entscheidungsträger und die Öffentlichkeit in den Entsendeländern tragen eine Verantwortung für die Menschen, die sie auf solche Missionen schicken. Diese Entscheidungen sollten daher nie leichtfertig gefällt werden. Nichtsdestotrotz scheinen diese Entscheidungen oftmals nicht auf einer ehrlichen und umfassenden Risikoanalyse und auf einer Abwägung der potentiellen Vorteile einer Mission zu basieren.

So ist im Verlauf der letzten 20 Jahre etwa der Anteil europäischer und nordamerikanischer Truppen in UN-Peacekeeping-Operationen und in UN-Afrika-Missionen deutlich gesunken. Unter anderem haben die Entsendeländer Angst, Soldaten in als gefährlich empfundene Gebiete zu schicken. Vermeintlich sicheren Missionen werden dagegen oft zu viele Truppen angeboten. Die Entscheidungsträger fürchten sich vor den hohen politischen Kosten, vor Medienberichten und vor Bildern von heimkehrenden Särgen und toten Soldaten im Einsatz. Diese Sichtweise ist vor allem in Bezug auf Afrika verbreitet.

Vermeintlich ist es viel riskanter, dorthin Truppen zu entsenden als in andere Regionen. Hinzu kommt, dass UN-Missionen oft als schlecht geführt betrachtet werden und westliche Entscheidungsträger daher lieber Truppen zu ad-hoc Koalitionen beisteuern oder zu NATO- oder EU-Missionen. Da diese Tendenzen aber bisher kaum systematisch erforscht wurden, möchte ich die tatsächlichen Risiken für die beteiligten Truppen von Peacekeeping-Operationen verschiedener Organisationen und in verschiedenen Regionen aufzeigen.

Was haben Sie herausgefunden? Gibt es tatsächlich eine gefährlichere Region für Peacekeeper oder sind Truppen einer bestimmten Organisation besonders bedroht?

Die Daten des SIPRI zeigen, dass Afrika in den vergangenen Jahren keineswegs die gefährlichste Region für Peacekeeping-Truppen war. Die Entsendung in den Nahen Osten oder nach Zentral- und Südasien war deutlich gefährlicher und sogar in Süd- und Mittelamerika war die Gefahr tatsächlich größer. Die Einsätze im Irak und in Afghanistan, in denen die Peacekeeper am meisten in die Bekämpfung von Aufständischen involviert waren, verzerren diesen Vergleich etwas und erklären die hohe Gefahr für Peacekeeper im Nahen Osten. Auch zeigt sich, dass UN Peacekeeping Operationen deutlich sicherer als NATO-, NATO-geführte oder ad-hoc-Missionen waren. UN-Operationen sind aber im Vergleich auch dann nicht unsicherer, wenn man den Irak und Afghanistan herausrechnet.

Wenn die Zielregion und die führende Organisation nicht entscheidend sind, worauf sollte eine Risikoanalyse dann basiert sein?

Der wichtigste Faktor ist sicherlich der Charakter der Mission, also das notwendige Maß an Kampfeinsätzen oder die Einbindung in der Aufstandsbekämpfung. Im Gegensatz dazu zeigen Missionen, die ein Friedensabkommen implementieren oder die eine generelle Unterstützung der Bevölkerung und der Konfliktparteien genießen, deutlich geringere Todesraten.

In vielen Fällen ist das Entsenden ausreichend starker und modern ausgerüsteter Truppen bereits ausreichend, um wenig disziplinierte, schlecht ausgerüstete und untrainierte Milizen vor der Anwendung von Gewalt abzuschrecken.

Auch die relative Stabilität des Konfliktkontexts und die Intensität erklären zum Teil, warum etwa OSZE- und EU-Missionen weniger gefährlich sind. Auch der Schutz der Truppen ist natürlich ein wichtiger Aspekt. UN-Peacebuilding oder politische Missionen, die ohne umfassende Sicherheitsvorkehrungen hauptsächlich ziviler Natur sind, wiesen etwa eine höhere Todesrate auf als gefährlichere aber besser geschützte UN-Peacekeeping Missionen.

Was bedeutet das für gegenwärtige Friedensmissionen?

Entgegen der Intuition führt das verstärkte Entsenden besser ausgerüsteter Truppen unter umfassenderen Mandaten mit mehr Spielraum für militärische Mittel oft zu weniger Notwendigkeit, tatsächlich militärische Mittel einzusetzen. In der Folge sinkt das Risiko der Mission insgesamt. Zum Beispiel verwies Romeo Dallaire, der ehemalige Truppenkommandeur der Friedensmission in Ruanda während des Genozids 1994 darauf, dass 5000 westliche Soldaten ausreichend gewesen wären, um die Massaker zu verhindern. In vielen Fällen ist das Entsenden ausreichend starker und modern ausgerüsteter Truppen bereits ausreichend, um wenig disziplinierte, schlecht ausgerüstete und untrainierte Milizen vor der Anwendung von Gewalt abzuschrecken. Natürlich ist dies immer kostenintensiv und beinhaltet ernste Risiken. Doch am Ende könnten diese Kosten und Risiken geringer sein als die langfristiger Stabilisierungsmissionen nachdem eine Krise eskaliert ist. Außerdem würde eine starke Unterfütterung von Missionen erlauben, dass die Ziele der immer ambitionierteren UN-Sicherheitsratsresolutionen tatsächlich erreicht werden können.

Dabei wird noch etwas anderes deutlich: Allgemeine Unwilligkeit gegenüber Friedensmissionen tritt in der UN regelmäßig auf. Verschiedene Akteure fordern dann, den Fokus weg von militärisch geprägten Missionen und hin zu leicht bewaffneten oder gar ganz zivilen Missionen zu legen. Unsere Ergebnisse unterstützen ein solches Argument aber nicht. Im Gegenteil, die hohen Todesraten politischer Missionen sollten eher zu ernsten Fragen führen, wo ein rein ziviler Einsatz stattfinden sollte und welche Sicherheitsvorkehrungen dafür nötig wären. Denn Kritiker militärischer Missionen lassen häufig eines außer Acht: Das Fehlen von Soldaten führt zu einer großen Abhängigkeit von privaten Sicherheitsdienstleistern zum Schutz der zivilen Personen im Einsatz. Solche privaten Sicherheitsdienstleister werden aber ja oft noch kritischer beäugt als militärische Komponenten in UN-Missionen.

Viele der heutigen Missionen beinhalten ernsthafte Risiken, sind aber von großer Bedeutung für die Stabilisierung ganzer Regionen und für den Schutz der Zivilbevölkerung.

Die Konsequenz daraus ist meiner Meinung nach: Die Sicherheitsrisiken aller Beteiligten an solchen Einsätzen müssen bedacht werden - nicht bloß die der Soldaten. Gleichzeitig muss aber auch klar sein, dass man nicht einfach nur die ungefährlichsten Missionen herauspicken sollte und nur dort Truppen beisteuern kann. Was wir brauchen ist eine ehrliche Analyse und eine öffentliche Diskussion über die Risiken von Friedenseinsätzen. Natürlich sind in diesem Kontext auch die Risiken für die einheimische Bevölkerung zu nennen. Viele der heutigen Missionen beinhalten ernsthafte Risiken, sind aber von großer Bedeutung für die Stabilisierung ganzer Regionen und für den Schutz der Zivilbevölkerung. Oft rechtfertigen die Ziele solcher Operationen die Risiken, die damit einhergehen.