Fünf Fragen an Bernt Berger, den Leiter des Asien-Programms am Institute for Security and Development Policy (ISDP) in Stockholm:

Nordkorea hat am 7. Februar 2016 eine Langstreckenrakete getestet. Schon vor einem Monat hatte ein Atombombentest für Empörung gesorgt. Wie ernst nehmen die Nachbarn diese erneute Machtdemonstration?

Die Nachbarstaaten müssen die Tests sehr ernst nehmen. Der Grund ist nicht allein die graduelle Entwicklung eines nuklearen Risikos, sondern auch mögliche Konsequenzen für die nachbarschaftlichen Beziehungen in der Region selbst. Im Prinzip hat sich an der Situation nicht viel geändert. Während Nordkorea seine technische Entwicklung vorantreibt, herrscht unter den regionalen Akteuren Ratlosigkeit, wie man der Herausforderung mittelfristig begegnen kann.

Regional tragen die Tests zu einer zusätzlichen Marginalisierung Chinas bei. Die südkoreanische Regierung hat aufgrund Pekings Zurückhaltung intern zunehmend Schwierigkeiten, ihre engen Beziehungen zu China zu rechtfertigen. Das De-facto-Verteidigungsbündnis mit den USA wird zwangsläufig gestärkt und führt sogar, trotz historischer Differenzen, zu einer verteidigungspolitischen Annäherung zwischen Südkorea und Japan. Seoul wird seine zögerliche Haltung gegenüber dem THAAD-Raketenabwehrsystem aufgeben müssen, was zu starken Differenzen mit China führen wird. Selbst Nordkorea zieht es derzeit vor, Beijing nicht von seinen Vorhaben zu unterrichten. Seit dem letzten Jahr besteht die Möglichkeit, dass Nordkorea direkte inoffizielle Konsultationen mit den USA sucht. Daher waren im Januar die USA, nicht aber China, vorgewarnt.

Was bezweckt Kim Jong-un damit?

Die Unberechenbarkeit liegt eher in Nordkoreas Innenpolitik als in seiner außen- und verteidigungspolitischen Haltung. Innenpolitisch ist das autoritäre System nach wie vor nicht konsolidiert, was wiederholt zu Machtkämpfen zwischen Militär und Partei führt. Dadurch entstehen nicht nur rivalisierende Prioritäten zwischen Regimestabilität und Landesverteidigung, sondern auch  Machtkämpfe innerhalb des Regimes. Neben der Durchführung von taktischen „Säuberungsaktionen“ hat Staatschef Kim Jong-un nun die Flucht nach vorn angetreten.

Selbst Nordkorea zieht es derzeit vor, Peking nicht von seinen Vorhaben zu unterrichten.

Das Atomprogramm ist Teil seiner Byungjin-Strategie, die vorsieht, dass die nukleare Abschreckung Ressourcen aus dem Militärsektor freisetzt, die für die wirtschaftliche Entwicklung genutzt werden sollen. Mit dem Ansatz kann das Regime mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen: Die Bedeutung des Militärs nimmt ab, und mit zunehmender wirtschaftlicher Entwicklung stabilisiert sich das Land und wird international widerstandsfähiger gegenüber den Einschränkungen durch Sanktionsregime. Zudem erhofft sich Nordkorea, dass die USA aufgrund seines entwickelten Abschreckungspotenzials Bedarf sieht, an den Verhandlungstisch zurückzukehren.

In den letzten fünf Jahren war Nordkoreas außenpolitisches Vorgehen konsistent mit seinen Zielsetzungen und Stellungnahmen. Die Sicherheit des Landes und die Bedrohung durch gemeinsame Militärübungen der USA und Südkoreas wurden stets hervorgehoben.

Werden von den USA und den Nachbarstaaten Maßnahmen wie verschärfte Sanktionen erwogen?

Die USA versuchen in der Tat, ein strengeres Sanktionsregime durchzusetzen. Aber diese Haltung wird nur bedingt von den nordostasiatischen Nachbarn geteilt. Die USA verfügen mit ihren bilateralen Sanktionen gegenüber Nordkorea über das derzeit effizienteste Regime. Der Erfolg liegt in der Möglichkeit begründet, dass Firmen und Drittstaaten durch Marktzugangsbeschränkungen in den USA unter Druck gesetzt werden können. Es ist in der Tat zu erwarten, dass die USA ihre Sanktionen ausweiten.

Die Lobby für rigorosere Sanktionen in Washington ist stark. Die Ansätze beruhen in der Regel auf einer legalistischen Logik: Das Regime soll seinen internationalen Verpflichtungen nachkommen. Bei Nichtbeachtung soll die Härte der amerikanischen Gesetzgebung international greifen. Allerdings liegt genau hier das Problem. Dieser Ansatz basiert auf einem generellen Misstrauen gegenüber Nordkorea, und ein Ausstieg aus den Sanktionen ist nur durch dessen vollständiges Einlenken zu erreichen. Was fehlt, ist ein politischer Konfliktlösungsansatz. Dadurch werden auch berechtigte Forderungen und Sicherheitsbedürfnisse Pjöngjangs unbeachtet gelassen.

Südkorea ist mit einem Dilemma konfrontiert, da eine Verschärfung der Sanktionen seiner Annäherungspolitik im Wege steht.

Der UN-Sicherheitsrat hat bisher keine harten Beschlüsse gefasst. Ist da noch etwas zu erwarten?

Die USA und China haben im UN-Sicherheitsrat kurz nach dem Test einer Verurteilung des Tests und einer Ankündigung von Maßnahmen als direkter Reaktion zugestimmt. Allerdings endet hier die Einmütigkeit. Die USA haben zumindest zwei Schwerpunkte gesetzt. Für die Durchsetzung bestehender Sanktionen sind größere Einschränkungen der nordkoreanischen Logistik notwendig. Hier kommt China eine bedeutende Rolle zu. Die nordkoreanische Fluglinie steuert hauptsächlich chinesische Ziele an. Frachtgüter passieren chinesische Häfen und die gemeinsame Grenze. Allerdings sind die Güterinspektionen sehr schwach. Bei Einschränkungen der nordkoreanischen Handelsbeziehungen hat die USA insbesondere den Export nordkoreanischer Bodenschätze und Mineralien im Visier. Auch hier ist China der wichtigste Partner.

Peking will sich alle Optionen offenhalten und plädiert für Stabilität auf der Halbinsel und eine Wiederaufnahme des Dialogs. Dahinter steckt wohl auch Ratlosigkeit, nachdem China in Nordkorea Einfluss verloren hat – soweit dieser jemals bestand. China benötigt einen neuen Ansatz.

Allerdings sind Sanktionen immer dann zahnlos, wenn sie nicht effektiv umgesetzt werden können und wenn keine klare politische Strategie verfolgt wird.

Im Großen und Ganzen sind alle betroffenen Staaten gut beraten, Besonnenheit zu zeigen. Zwar sind Ad-hoc-Maßnahmen ein Mittel, um gegenüber Pjöngjang Geschlossenheit zu demonstrieren. Allerdings sind Sanktionen immer dann zahnlos, wenn sie nicht effektiv umgesetzt werden können und wenn keine klare politische Strategie verfolgt wird. Die Staaten im UN-Sicherheitsrat verhandeln derzeit einen minimalen Kompromiss.

Gibt es Bestrebungen, die „Sechs-Parteien-Gespräche“ wiederaufzunehmen, nach dem Erfolg des Atomabkommens mit Iran?

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist eine Wiederaufnahme der Sechs-Parteien-Gespräche (6PT) unwahrscheinlich. Das hat verschiedene Gründe, doch der wichtigste Grund sind die verhärteten Positionen auf Seiten der USA und Nordkoreas. Die USA bestehen auf die Umsetzung bisheriger Abkommen der 6PT. Die Regierung von Barack Obama hat auf einen Ansatz der strategischen Geduld (strategic patience) gesetzt. Der Ansatz soll Nordkorea Raum geben, seinen Verpflichtungen nachzukommen und seine Atomanlagen zu demontieren. Die Weigerung, den Dialog wieder aufzunehmen, beschneidet die USA allerdings auch in ihren Handlungsoptionen und hat teils innenpolitische Gründe. Gleichzeitig hat sich Nordkorea in seiner Verfassung als Atomwaffenstaat definiert und sein Atomprogramm als nicht verhandelbar erklärt. Stattdessen fordert Pjöngjang nun ein Friedensabkommen mit den USA.

Ein Ende der 6PT muss aber keine schlechte Nachricht sein. Das bisherige Format war zu eng definiert. Es konzentrierte sich auf die nukleare Abrüstung Nordkoreas, aber nur bedingt auf dessen Sicherheitsdilemmas oder Konfliktbeilegung. Alternative Formate zwischen den USA und Nordkorea, die einen Friedensprozess mit der Entnuklearisierung verknüpfen, könnten sich als erfolgreicher erweisen. Parallel dazu wäre ein Annäherungsprozess zwischen dem Norden und dem Süden zu gestalten. Initiativen, wie Südkoreas NAPCI- oder der mongolische Ulan-Bator-Dialog, könnten einen alternativen Rahmen für eine regionale Sicherheitskooperation bieten. Allerdings ist zunächst die politische Willensbildung auf Seiten aller Beteiligten notwendig.

Die Ergebnisse aus den EU3+3-Gesprächen mit Iran machen in der Tat Hoffnung, dass diplomatische Lösungen erfolgreich sein können. Allerdings war die Ausgangslage im Iran eine andere als in Nordkorea. Irans politisches System ist auf Konsensbildung ausgelegt und hat damit interne Machtkämpfe zumindest eingedämmt. Irans Wirtschaft und Industrie sind weitaus höher entwickelt als die Nordkoreas, und es bestehen anhaltende wirtschaftliche Beziehungen auch zu europäischen Ländern. Irans Atomprogramm war nicht so weit entwickelt wie Nordkoreas, es hat keine Tests durchgeführt und ist auch nicht vom Nichtverbreitungsvertrag zurückgetreten.

Dennoch sollte man einige Grundsätze der Iran-Verhandlungen auch in Verhandlungen mit Nordkorea in Betracht ziehen. Auf eine Initiative Chinas hin wurden während der Verhandlungen nicht nur Themen der Transparenz diskutiert, sondern auch Sicherheitsprobleme seitens Irans und Vertrauensbildung. Die derzeitige Sackgasse in den Verhandlungen auf der koreanischen Halbinsel ist symptomatisch für verhärtete Konfliktsituationen, in denen die Bedürfnisse und Forderungen der Gegenpartei nicht beachtet werden.

 

Die Fragen stellte Anja Papenfuß.