Wie beurteilen Sie die Ankündigungen des neuen französischen Präsidenten, die Reform des Arbeitsrechts weiter vorantreiben zu wollen?
Seine Ankündigung eines „Loi travail XXL“ ist genau eine unserer großen Befürchtungen, und vor allem, was er mit diesem Gesetz vorhat: die Reform der Sozialpartnerschaft, das heißt der Vertretungen der Tarifpartner, in einer Weise, dass Verhandlungen auf Betriebsebene möglich werden. Nach unserer Einschätzung wird das die Branchenvertretungen schwächen, aber vor allem die Tarifverhandlungen aushöhlen. Deshalb sind wir als Force Ouvrière absolut gegen ein solches Gesetz, das haben wir bereits gesagt, als das erste Arbeitsgesetz vorgelegt wurde. Das ist wirklich ein großes Problem, und da wird es sicher Demonstrationen gegen Macron geben, wenn er rasch mit diesem Arbeitsgesetz weitermacht und vor allem über diesen Aspekt verhandelt.
Gleichzeitig hatte Marine Le Pen angekündigt, dass sie eine Oppositionsrolle gegenüber Emmanuel Macron spielen will, besonders bei Vorhaben, die für die Arbeiter in Frankreich gefährlich werden könnten. Sehen Sie da ein Problem, dass es so etwas wie eine Konkurrenz in der Opposition gegen Macron geben könnte?
Wir sehen ungefähr, was sie vorhat, aber nach den Parlamentswahlen hat Marine Le Pen nicht mehr den Einfluss, den sie noch bei der Präsidentschaftswahl hatte. Für viele Arbeitnehmer war die Präsidentschaftswahl eine Protestwahl, vor allem in den besonders schwer von der Krise betroffenen Gebieten im Osten, im Zentrum Frankreichs und im Süden. Und deshalb ist es wichtig, dass unsere Minister und unser Präsident die Botschaft begreifen. Die einzige Kraft, die sich wirklich gegen Macron stellt, ist im Übrigen die Linksfront von Jean-Luc Mélenchon. Sie wird am ehesten mit uns, den Gewerkschaftern, auf die Straße gehen gegen die Arbeitsmarktreform.
Die traditionellen Parteien stecken in der Krise. Manche sagen, wenn Macron keinen Erfolg hat, wird beim nächsten Mal Marine Le Pen Präsidentin. Sehen Sie auch eine Gefahr darin, Macron zu bekämpfen?
Macron hat eine historische Verantwortung gegenüber der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Situation in Frankreich und Europa. Und er trägt diese Verantwortung zusammen mit einer Partei, die eine deutliche Mehrheit gewonnen hat. Aber wofür steht diese Partei wirklich? Wir müssen sehr genau darauf achten, welche Antworten er geben wird. Denn es stimmt, wenn er die soziale Realität nicht erkennt und Antworten gibt, wie sie François Hollande gegeben hat, dann wird es in fünf Jahren so kommen, wie Sie gesagt haben. Jetzt ist es noch zu früh, das zu sagen, denn Macrons Programm enthält viele Unklarheiten. Sozialer Dialog, was meint er denn konkret mit sozialem Dialog, Verhandlungen? Werden seine Dekrete zur Arbeitsmarktreform Arbeitsplätze schaffen? Da wo Macron bisher konkreter geworden ist, hat er meist die falsche Verhandlungsposition bezogen. Wir sind sehr beunruhigt.
Macron möchte das Wirtschaftsleben in Frankreich neu organisieren. Sind die französischen Gewerkschaften darauf vorbereitet, nicht nur seine Vorhaben zu bekämpfen, sondern auch mit ihm zusammenzuarbeiten?
Es ist allgemein bekannt, dass er sehr liberale Positionen vertritt. Aber um die Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu schützen, um zu sichern, dass neue Arbeitsplätze entstehen, werden vielleicht auch wir Gewerkschafter einen anderen Ansatz wählen müssen, eine Ergänzung zu unserem üblichen Vorgehen. Es liegt ganz im Interesse von allen, dass Macron Erfolg hat. Doch wir werden ganz sicher keinen Blankoscheck ausstellen.
Die Fragen stellte Hannes Alpen.