Die Entdeckung mehrerer Massengräber im Süden Thailands wirft erneut ein schlechtes Licht auf die Zustände im Land. Bei den bisher entdeckten rund 30 Toten soll es sich mehrheitlich um die sterblichen Überreste muslimischer Rohingya aus Myanmar (Birma) sowie von Migranten aus Bangladesch handeln. Beobachter sind sich einig, dass es die von Menschenschmugglern mutmaßlich zur Erpressung von Migrantenfamilien betriebenen Dschungelgefängnisse nicht ohne Duldung und Mittäterschaft lokaler Behördenvertreter geben konnte. Die Festnahme eines Bürgermeisters aus der Grenzregion zu Malaysia scheint diese offiziell lang geleugnete Tatsache zu bestätigen.

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch fordert wegen der mutmaßlichen Verwicklung thailändischer Behörden in die informellen Dschungelgefängnisse eine unabhängige internationale Untersuchung. Von der will Thailands Premierminister und Juntachef Prayuth Chan-ocha nichts wissen. Vielmehr setzte der General den eigenen Behörden eine – völlig unrealistische – zehntägige Frist und forderte Myanmar und Malaysia zu einem Treffen auf, das ab Ende Mai stattfinden könne.

Zu befürchten ist, dass als Folge des jetzt eifrig propagierten Behördenaktivismus die tieferen Ursachen unangetastet bleiben. Denn es geht dabei vor allem um Thailands Image. Menschenschmuggler dürften deshalb künftig noch riskantere Mittel und Wege suchen, und der von den betroffenen Migranten zu bezahlende materielle wie immaterielle Preis dürfte weiter steigen.

 

Kein Wahltermin in Aussicht

Thailands Militärjunta ist zu Recht um ihr Image besorgt. Denn seit dem Putsch vor einem Jahr, hat sich die politische Krise des Landes nur weiter verschärft. Die nach früheren Putschen übliche relativ zügige Rückkehr zu einer gewählten Regierung haben die Putschgeneräle diesmal gar nicht erst konkret versprochen, und Wahlen sind inzwischen tatsächlich in weite Ferne gerückt. Damit stößt die Junta auch all jenen Thais vor den Kopf, die dem Militärcoup als Ausweg aus der politischen Sackgasse nicht abgeneigt waren.

Dabei hatte schon der letzte Putsch von 2006 gezeigt, dass die Generäle keine politischen Lösungen für die tiefe Spaltung der Gesellschaft bieten. Der Putsch von 2014, der zwölfte seit Einführung der konstitutionellen Monarchie 1932, richtete sich nun erneut gegen die Partei des Milliardärs Thaksin Shinawatra, deren Anhänger im Volksmund vereinfachend „Rothemden“ genannt werden. Sie hatten seit 2001 sämtliche Wahlen gewonnen, weil sie mit populistischen Mitteln bisher marginalisierten Bevölkerungsgruppen zu größerer Teilhabe am politischen System sowie an den Früchten der Modernisierung verholfen hatte.

Auf kritische Medienberichte und private Meinungsäußerungen in sozialen Netzwerken wird mit Zensur bis hin zu teils drakonischen Strafen reagiert.

Damit Thaksin samt seinen Anhängern nicht erneut die traditionelle Elite samt ihren Anhängern – vereinfachend „Gelbhemden“ genannt – in die Schranken verweisen kann, arbeitet das Militär an einer grundlegenden Umgestaltung des politischen Systems. Dessen Ziel ist es, Partizipation und Einfluss breiter Bevölkerungsschichten einzuschränken und der traditionellen Machtelite aus Royalisten, Militärs und urbaner Ober- und Mittelschicht die Gestaltungsmacht zu sichern. Dem soll eine neue Verfassung dienen, die die Wähler letztlich entmündigt und schon deshalb nicht per Volksabstimmung legitimiert werden soll. So sieht diese Verfassung vor, dass künftige Ministerpräsidenten nicht vom Volk gewählt sein müssen, sondern auch ernannt werden können.

 

Kritiker werden zur „Verhaltensanpassung“ aufgefordert

Der Putschführer und damalige Armeechef Prayuth, der seit August 2014 Ministerpräsident ist, und seine sich „Nationaler Rat für Frieden und Ordnung“ nennende Junta haben in den letzten zwölf Monaten mehr als eintausend Kritiker, Akademiker und Aktivisten vorgeladen und mit Drohungen zur – wie es offiziell heißt – „Verhaltensanpassung“ aufgefordert. Auf kritische Medienberichte und private Meinungsäußerungen in sozialen Netzwerken wird mit Zensur bis hin zu teils drakonischen Strafen reagiert.

Die US-Organisation Freedom House attestierte Thailand zusammen mit Libyen für das Jahr 2014 den größten Rückschritt bei der Pressefreiheit. Wie um das zu bestätigen drohte Juntachef Prayuth kürzlich Journalisten, die nicht „die Wahrheit“ berichteten, ganz unironisch mit „Exekution“.

Die Militärführung nutzt ihre Machtfülle jetzt auch dazu, alle Anstrengungen zur Aufarbeitung der gewaltsamen Niederschlagung der Proteste der Rothemden in Bangkok zwischen März und Mai 2010 zu unterbinden. Im Lauf der wochenlangen Blockade durch die Rothemden starben insgesamt rund 90 Menschen. Viele Todesfälle werden dem gewaltsamen Vorgehen der Armee angelastet, die am 19. Mai das Hauptlager der Demonstranten stürmte. Das Militär blockiert seit seiner Machtübernahme alle Versuche, die damaligen Ereignisse aufzuklären.

 

Allzweckwaffe „Majestätsbeleidigung“

Zum wichtigen Unterdrückungsinstrument der Junta ist das anachronistische Gesetz zur Majestätsbeleidigung geworden, das jetzt stärker angewendet wird. Abschreckendes Beispiel war Ende März die Verurteilung eines 58-jährigen Geschäftsmannes zu 25 Jahren Haft wegen angeblicher Majestätsbeleidigung. Der Prozess vor einem Militärgericht fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit und ohne anwaltliche Vertretung des Angeklagten statt. Das auf fünf kritischen Beiträgen bei Facebook basierende Strafmaß von zunächst 50 Jahren Haft wurde auf die Hälfte reduziert, weil der Angeklagte geständig war. 25 Jahre Haft für bloße Meinungsäußerung sind ein klares Zeichen einer Diktatur.

Damit zeigt das „Land des Lächelns“, in dem Millionen Touristen jährlich ihren Urlaub verbringen, seine hässliche Seite. Die Junta kann nicht verbergen, dass das Militär nicht Teil der Lösung als vielmehr der Probleme des Landes ist. Die Spaltung der Gesellschaft wie die Blockade der politischen Lager kann das anachronistisch agierende Militär nicht aufbrechen, denn es ist selbst Partei und kein neutraler Vermittler. Abgesehen davon, dass hierarchisch denkende Generäle wohl nur selten für solche Rollen geeignet sind, handelt Thailands Militär vordringlich im Interesse des Erhalts eigener Privilegien. Dabei benutzt es das Königshaus zur Legitimation und Deckung seines verfassungswidrigen Handelns.

Zum wichtigen Unterdrückungsinstrument der Junta ist das anachronistische Gesetz zur Majestätsbeleidigung geworden.

Thailands Königshaus steckt selbst in einer tiefen Krise und symbolisiert so indirekt die Krise des Landes. Der mittlerweile 87-jährige König Bhumibol Adulyadej, dienstältester Monarch der Welt, ist gesundheitlich angeschlagen. Er hält sich traditionell aus der Politik heraus, hat jedoch in Krisenzeiten wie 1992 schon politische Kontrahenten zum Wohl des Landes zu Kompromissen gezwungen. Das hat zu seinem hohen Ansehen beigetragen. Auch hat er sich in einer Rede 2005 selbst davor verwahrt, nicht kritisiert werden zu dürfen. Der König ist zweifellos die Integrationsfigur des Landes, doch ist unklar, wie weit er selbst noch zum aktiven Handeln in der Lage ist. Sein Thronfolger, der 62-jährige Kronprinz Maha Vajiralongkorn, gilt als unbeliebt und wenig geeignet, das Land aus der Krise zu führen. Doch auch darüber kann nicht offen gesprochen werden.

 

Der Kronrat und das Militär

An Stelle von König Bhumibol selbst, aber direkt oder indirekt in seinem Namen agieren öfter Königin Sirikit und vor allem der Kronrat unter Leitung des 94-jährigen Prem Tinsulonanda. Der frühere General und Ex-Ministerpräsident steht einem Netzwerk der konservativen Elite vor, dem der neureiche Aufsteiger Thaksin und seine populistischen Methoden ein Dorn im Auge sind. Der greise Prem gilt als treibende Kraft hinter dem Militärputsch von 2006, der Thaksin stürzte. Auch den Putsch von 2014 gegen die Regierung von Thaksins Schwester Yingluck hat Prem explizit begrüßt.

Zwar hat König Bhumibol auch Prayuths Putsch nachträglich abgesegnet, was womöglich eine Fügung ins Unvermeidliche war, doch gilt der Monarch anders als Prem nicht als Prayuths Förderer. Trotzdem gilt das Königshaus durch Prem und Sirikit, die durch ihre für die Gelbhemden geäußerten Sympathien stets als parteiisch wahrgenommen wird, nicht als integrativ und vermittelnd. Für elitäre Royalisten ist die gegenwärtige Situation mit einem angesehenen, aber kaum selbst handlungsfähigen Monarchen, als dessen Sachwalter sie sich ausgeben können, derzeit recht bequem. Ein Ende der Institutionalisierung des Königshauses für politische Interessen dürfte erst nach einem Thronwechsel oder einer damit verbundenen Modernisierung des Königshauses möglich sein. Umgekehrt könnte der Tod des Königs die politische Krise vielleicht weiter zuspitzen.

Problematisch ist auch die Rolle der thailändischen Mittelschicht. Getreu der westlichen Modernisierungstheorie werden Mittelschichten mit wachsendem Wohlstand zum Motor der Demokratisierung. Diese Rolle hat Bangkoks Mittelschicht auch schon bei den antidiktatorischen Massenprotesten im Mai 1992 gespielt. Doch in den letzten Jahren hat sich ein großer Teil der urbanen Mittelschicht eher auf die Seite der traditionellen Elite gestellt und damit gegen die von Thaksin gestärkten ländlichen Schichten positioniert, vor allem aus dem armen Nordosten.

 

Selbstentmündigung der Mittelschicht

Zwar ist auch Kritik an Thaksin und seinem nur bedingt demokratischen Politikstil nachvollziehbar. Doch mit der Unterstützung der Putschisten beraubt sich die Mittelschicht selbst eines Teils des politischen Einflusses, den sie in den letzten zwanzig Jahren gewonnen hat. Somit stellt sie den in westlichen Ländern gern unterstellten Automatismus in Frage, dass eine wachsende Mittelschicht sich schon aus Eigeninteresse für Demokratie einsetzt.

Eine Lösung des Konflikts kann es nur durch gesellschaftlichen Dialog und politische Kompromisse geben, nicht durch Maulkörbe und weitere Entmündigung. Mit der Aufhebung des Kriegsrechts am 1. April hat Juntachef Prayuth versucht, der Kritik aus dem Ausland wie von der heimischen Tourismusindustrie den Wind aus den Segeln zu nehmen. Dabei bietet Paragraph 44 der gegenwärtigen Übergangsverfassung ihm und seiner Junta ohnehin schon weitreichende Rechte, die das Kriegsrecht überflüssig machen. Die meisten Berichte unabhängiger Medien haben das Manöver denn auch zurecht als Kosmetik bewertet.

Die weitere Reaktion auf die Entdeckung der Massengräber toter Migranten dürfte zeigen, wieweit die Junta meint, auf ihr Image und damit auch auf das des Landes Rücksicht nehmen zu müssen. Ohne ein System aus akzeptierten checks and balances dürfte sich Thailand weiter in Richtung Pariah-Staat entwickeln. Dies wäre nicht nur für das Land fatal, sondern würde auch negative Signale in die Region senden und Demokratisierungsprozesse zum Beispiel im benachbarten Myanmar erschweren.