Die Gründung der Asian Infrastructure and Investment Bank (AIIB) wird für China ein größerer Erfolg werden, als sich die politische Führung in Peking dies vermutlich selbst erträumt hat. Mehr als 40 Länder, darunter eine Vielzahl der großen westlichen Industrieländer, werden auf der Gründerliste stehen, die am 15. April veröffentlicht wird. Zwei wichtige Länder jedoch werden fehlen: Japan und die USA. Während Japan in Aussicht gestellt hat, möglicherweise später beizutreten, weigert sich die USA stoisch darüber auch nur laut nachzudenken. Ein fataler Fehler.

Die USA haben aus einer vormals entwicklungs- und finanzpolitischen Option, sich an der Gründung der Bank zu beteiligen, eine geopolitsche Grundsatzentscheidung ganz nach Kalter-Kriegs-Denke gemacht. Und sie haben dabei den Kürzeren gezogen. Das US-amerikanische Finanzministerium rügte Großbritanniens Beitritt scharf. Dennoch registrierten sich weitere US-Verbündete wie Deutschland, Frankreich, Australien oder Südkorea. Sie wollen dabei sein, wenn interne Strukturen sowie Governance-, Compliance- und Umweltstandards verhandelt werden. Aber natürlich wollen sie sich durch ihre Beteiligung auch spätere Aufträge sichern. Denn der Bedarf an Infrastrukturinvestitionen in Asien ist groß. Eine Studie der Asian Development Bank aus dem Jahr 2009 beziffert das benötigte Investitionsvolumen zwischen 2010 und 2020 auf 8 Billionen US-Dollar.

Während Japan in Aussicht gestellt hat, möglicherweise später beizutreten, weigert sich die USA stoisch darüber auch nur laut nachzudenken. Ein fataler Fehler.

In den USA werden Chinas internationale Initiativen bereits seit einiger Zeit mit wachsendem Argwohn und als potentielle Gefahr für die etablierte Weltordnung gesehen, da aus Perspektive Washingtons eine parallele internationale Architektur zu entstehen droht. Doch wie groß ist diese „Gefahr“ tatsächlich?

 

Chinas Frust mit der US-Dominanz

Das in der Nachkriegszeit enstandende internationale Währungssystem mit seinen Bretton Woods Institutionen Weltbank und Internationaler Währungsfonds (IWF) wird nach wie vor von den westlichen Industriestaaten dominiert. Bisherige Reformbestrebungen, diese den aktuellen globalen Machtverschiebungen anzupassen, sind aus Sicht der Schwellenländer nicht zufriedenstellend. Selbst der US-Finanzminister Jack Lew räumte jüngst Verständnis für deren “Frustrationen” ein. Die 2010 beschlossene IWF-Quotenreform liegt im US-Kongress auf Eis, dabei hätte sie nicht einmal die US-amerikanische Vetomacht gebrochen, sondern vor allem den Schwellenländern einen erhöhten Stimmenanteil eingebracht. Der Weltbank steht traditionell ein Amerikaner vor, dem Internationalen Währungsfonds ein Europäer und der Asiatischen Entwicklungsbank ein Japaner – da bleibt wenig Raum für chinesische Mitbestimmung. Rein realpolitisch betrachtet, ist es daher kaum verwunderlich, dass die chinesische Führung sich anschickt, eine eigene Institution zu gründen, in der sie maßgeblich die Zügel in der Hand hat.

 

AIIB ist keine Gefahr für das multilaterale System

Sicherlich, die Gründung der Bank ist ein großer Erfolg für China und zweifellos wird Peking die Entscheidungen zu Schwerpunkten, Finanzierungsmodalitäten und Politiken der Bank erheblich beeinflussen. Doch sie wird sie nicht schlussendlich bestimmen können. Denn je mehr Mitglieder sich an der Bank beteiligen, desto mehr Stimmen gilt es zu berücksichtigen. Um für mehr Mitglieder zu werben, ist China sogar bereit gewesen auf das zunächst vorbehaltene Vetorecht zu verzichten. Ein bemerkenswerter diplomatischer Schachzug – gerade im Hinblick auf die Position der USA ihre Vetomacht im IWF nicht aufzugeben.

Ob es China gelingen wird, durch die AIIB auch seinen politischen Einfluss in den Nehmerländer auszubauen, ist mehr als fraglich. Zuletzt musste China heftige Kritik für seine bilaterale Handels-, Investitions- und Entwicklungspolitik einstecken. 2011 wurde in Myanmar ein Staudammprojekt mit chinesischer Finanzierung ausgesetzt und ein umfangreiches Hafenprojekt in Sri Lanka stand im vergangenen Jahr auch kurz vor dem Aus. Möglicherweise treiben diese negativen Erfahrungen die Pekinger Führung zum Strategiewechsel, zunehmend auf multilaterale Institutionen zu setzen und weniger bilaterale Initiativen voranzutreiben, die ihr Kritik als Neo-Kolonialisten einbringt.

 

Vorboten einer Pax Sinica?

Erst in ein paar Jahren wird man beurteilen können, ob die AIIB den hohen Erwartungen gerecht wird. Denn noch ist vollkommen unklar, ob alle Gründungsmitglieder an Bord bleiben, ob ein Konsens zu Standards, Governancestrukturen und Finanzierungsmodalitäten gefunden wird, und ob die Infrastrukturprojekte tatsächlich erfolgreich durchgeführt werden.

China hat bislang wenig Erfahrung darin, multilarale Institutionen aufzubauen und mit ihnen Politik zu gestalten. Parallel treibt Peking die Gründung der New Development Bank, quasi einen IWF der BRICS-Ländern, voran. Die Bereitschaft der BRICS scheint groß zu sein. Doch auch hier gilt es abzuwarten. Die 2005 von China, Russland und vier zentralasiatischen Staaten gegründete Shanghai Cooperation Organization (SCO) hat sich nie zu einem relevanten sicherheitspolitischen Aktuer oder wirtschaftlichen Integrationsinstitution entwickelt. Auch andere Foren wie die „16+1 Plattform“ (ein Zusammenschluss Chinas mit 16 zentral- und osteuropäischen Staaten) oder das Forum on China–Africa Cooperation (FOCAC) sind in erster Linie Treffen, auf denen über bilaterale Investitionsprojekte verhandelt wird. Es sind keine Institutionen, in denen Politik gemacht wird.

Der Westen kann nicht „mehr Verantwortung“ einfordern und gleichzeitig die Konditionen diktieren.

Der ehemalige Weltbankpräsident Robert B. Zoellick forderte China 2005 auf, ein „verantwortungsvoller Stakeholder“ im internationalen System zu werden. Alle Welt hat China spätestens seit der globalen Finanz-und Wirtschaftskrise gedrängt, mehr Verantwortung zu übernehmen. Nun lässt sich trefflich darüber streiten, was „verantwortungsvoll“ oder „mehr Verantwortung“ bedeutet. Verantwortungslos ist die Gründung der AIIB nun keinesfalls, sie ist auch keine Herausforderung für das etablierte System, sie bedeutet eine Veränderung. Der Westen kann nicht „mehr Verantwortung“ einfordern und gleichzeitig die Konditionen diktieren. Der chinesische Präsident Xi Jinping stellte auf dem asiatischen Davos, dem Boao Forum in Südchina im vergangenen Monat, sein Verständnis von Verantwortung vor: “Being a big country means shouldering greater responsibilities for the region as opposed to seeking greater monopoly over regional and world affairs.“ Wenn es sich hierbei nicht um Lippenbekenntnisse handelt, sollte man China mehr Einfluss und Gestaltungsraum im internationalen System zugestehen.