Die Bolivianerinnen und Bolivianer haben am 21. Februar 2016 gegen eine vierte Amtszeit von Staatspräsident Evo Morales gestimmt. Nach Auszählung von 99,82 Prozent der Stimmen haben nach Angaben der obersten Wahlbehörde 51,3 Prozent der Bevölkerung gegen die Verfassungsänderung gestimmt und 48,7 Prozent dafür. Evo Morales hat das Ergebnis anerkannt.
Die angestrebte Verfassungsänderung hätte es Morales und Vizepräsident Alvaro Garcia ermöglicht, im Jahr 2019 erneut und damit zum vierten Mal bei den nationalen Wahlen anzutreten. Die Verfassung erlaubt eine einmalige Wiederwahl für beide Ämter. Diese Regel wurde bereits bei den Wahlen 2014 großzügig ausgelegt. Morales wurde 2005 zum ersten Mal gewählt und gewann 2009 erneut. De facto handelte es sich also schon im Jahr 2014 um die zweite Wiederwahl. Dies wurde damals mit dem Argument gerechtfertigt, Bolivien sei mit dem Inkrafttreten der neuen Verfassung 2009 neu gegründet worden und deshalb würden die Wahlen von 2005 nicht zählen.
Das knappe Ergebnis vom 21. Februar hatte sich bereits in den Umfragen abgezeichnet.
Das knappe Ergebnis vom 21. Februar hatte sich bereits in den Umfragen abgezeichnet. Noch im Dezember 2015 gab es eine knappe Mehrheit für die Verfassungsänderung, aber rund 20 Prozent Unentschlossene. Wenige Wochen vor der Abstimmung sprachen sich nur noch 35 Prozent für die Änderung aus, 38 Prozent dagegen und 27 Prozent waren unentschlossen. Dieser Stimmungswandel erklärt sich durch einen zwei Wochen vor dem Referendum aufgedeckten Skandal um eine Ex-Geliebte des Präsidenten. Diese steht im Verdacht, durch die Beziehung einen einflussreichen Posten in einer staatsnahen Firma erhalten zu haben. Bei einem an Skandalen nicht gerade armen Land ist weniger der Skandal als solcher interessant, sondern die Frage des Zeitpunkts. Das schwache Ergebnis der Abstimmung zeigt, dass Morales nicht mehr als der unantastbare charismatische Führer angesehen wird, von dem alle Unzufriedenheit mit Regierung oder dem MAS abprallt. Die Beteiligung von bekannten MAS-Funktionären an einem Brandanschlag mit Todesfolge auf die oppositionsgeführte Stadtverwaltung in El Alto wenige Tage vor dem Referendum hat sicherlich die Entscheidung vieler Unentschlossener beeinflusst: Dass Menschen in den Straßen „Evo Mörder“ rufen, gab es während seiner gesamten Amtszeit nicht.
Der Unmut der Bevölkerung hat eine neue Stufe erreicht.
Damit setzt sich eine Gegenbewegung fort, die sich bereits bei den Lokalwahlen im März 2015 abgezeichnet hatte. Damals verlor der MAS neben dem Department La Paz auch seine Hochburg El Alto an die Opposition – auch hier waren Korruptionsvorwürfe gegen den Bürgermeister von El Alto ausschlaggebend. Damals allerdings, wie auch bei dem aktuellen und wesentlich größeren Skandal um die Veruntreuung von Geldern des „Fondo Indigena“, eines Entwicklungsfonds, der direkt indigenen Gemeinschaften zugutekommt, prallte die Kritik am Präsidenten ab. Dies hat sich nun geändert: Der Unmut der Bevölkerung hat eine neue Stufe erreicht.
Wenn der MAS sich strategisch klug verhält, analysiert er diese Unzufriedenheit und versucht, darauf Antworten zu finden, die seine Wählerinnen und Wähler im Jahr 2019 erneut überzeugen. Dazu gehört auch, neue Führungskräfte zu fördern und Alternativen zu Morales aufzubauen – sonst macht es womöglich die Opposition. Interne Reformen sind derzeit für den MAS genauso wichtig wie sein politisches Handeln nach außen. Das wird umso dringlicher, da sich die Wirtschaftskrise in Bolivien bislang noch nicht mit voller Wucht entfaltet hat. Die Situation für den MAS wird also in Zukunft noch schwieriger werden, wenn die fallenden Rohstoffpreise endgültig auf den Staatshaushalt durchschlagen. Umfragen zeigen, dass der Hauptgrund, für die Verfassungsänderung zu stimmen, die bislang positive wirtschaftliche Entwicklung war; der Hauptgrund, dagegen zu votieren, das korrupte Verhalten der Regierung.
Die Ablehnung einer vierten Amtszeit von Morales ist das Verdienst einer vernetzten politisch aktiven Zivilgesellschaft und nicht der Oppositionsparteien.
Das Referendum selbst ist ein Beweis dafür, dass nicht alle Bevölkerungsgruppen demokratische Grundsätze wie den regelmäßigen Wechsel der Macht teilen. Aber es zeigt auch, dass man Regeln und Institutionen nicht ignorieren kann und Interessen auf institutionellem Wege durchsetzen muss. Das scheint bei einer jungen Demokratie von 30 Jahren und einer sozial extrem heterogenen Gesellschaft ein beachtlicher Fortschritt. Und man sieht, dass mehr als die Hälfte der Bolivianerinnen und der Bolivianer der Macht Grenzen setzen wollen. Sie taten dies, ohne eine Alternative zu haben, da die Opposition weiterhin zu zersplittert ist, um einen Gegenkandidaten aufzustellen. Es zeigt nicht zuletzt, wo Basisdemokratie derzeit gelebt wird: Die Ablehnung einer vierten Amtszeit von Morales ist das Verdienst einer vernetzten politisch aktiven Zivilgesellschaft und nicht der Oppositionsparteien.
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