Nach den Pariser Terroranschlägen mit 129 Todesopfern ist die deutsche Reaktion auf die Gewalt bislang eindeutig: Seite an Seite stehen wir neben unseren französischen Freunden – so die einhellige Botschaft aus Bundesregierung, Opposition, Pressekommentaren und Tricolore-Postings in den sozialen Medien.
Exemplarisch für diese Einstellung: Der Kommentar des ZDF-Chefredakteurs Peter Frey im heute journal am Tag nach den Anschlägen. Angesichts des Gewaltausbruchs erklärte Frey „uneingeschränkte Solidarität“ mit Paris. „Was wir Amerika nach dem 11. September versprachen, verdient Frankreich umso mehr“, forderte der öffentlich-rechtliche Spitzenmann.
Das hört sich zunächst prinzipienfest an. Doch was würde uneingeschränkte Solidarität in diesem Fall konkret bedeuten?
Als erster Schritt wurden an der Bundesgrenze zu Frankreich die Kontrollen verschärft – auf expliziten Wunsch aus Paris. Und auch in Sachen Aufklärung wird man sich nach dem Beschluss des G20 Gipfels auf einen umfassenderen Datenabgleich verständigen. Doch sonst? Wie gedenkt Berlin – und die deutsche Öffentlichkeit – darüber hinaus, den verkündeten Schulterschluss mit Frankreich mit Leben zu füllen? Was ist zu erwarten?
Wenn man den Kommentar von Frey als Richtschnur bemüht, offenbar wenig – außer heißer Luft und guten Ratschlägen. „Wir müssen unseren Nachbarn helfen, sich nicht vom Terror überwältigen zu lassen und aus Angst in die Arme der rechtsnationalen Marine Le Pen zu fallen", erklärte Frey. Und: In der Flüchtlingskrise könne Europa es sich nicht länger leisten „so schwach zu sein“. Es gehe nun darum, „die Krise gemeinsam zu bewältigen, für ein Gefühl der Sicherheit zu sorgen, Minderheiten bewusst zu integrieren.“
Soso. Um diese Art der uneingeschränkten Solidarität geht es also. Nicht, dass an den Vorschlägen per se etwas auszusetzen wäre. Doch wenn es dabei bleibt, dürfte sich die französische Begeisterung in Grenzen halten. Denn im Klartext entspricht dieses Bündel an Maßnahmen ziemlich genau der Politik, die Berlin schon vor dem Terroranschlag praktiziert hat – und zwar sehr zum Missfallen Frankreichs.
Die Wahrheit ist: Wirkliche uneingeschränkte Solidarität mit Frankreich ist nicht mit einem Berliner „Weiter so“ zu haben, sondern nur für den Preis eines Politikwechsels.
Die Wahrheit ist: Wirkliche uneingeschränkte Solidarität mit Frankreich ist – wenn man sie denn wirklich unter Beweis stellen wollte – nicht mit einem Berliner „Weiter so“ zu haben, sondern nur für den Preis eines Politikwechsels. Konkret bestünde eine solche praktische Solidarität aus zwei Schritten, zu denen Berlin jedoch bislang nicht bereit ist – vielleicht sogar aus guten Gründen.
Erstens müsste der Bundestag umgehend einen Kampfeinsatz zur Beteiligung der Bundeswehr an den französischen Luftschlägen gegen den Islamischen Staat in Syrien und im Irak beschließen. Sowohl der französische Staatspräsident als auch der Bundespräsident haben offen den Begriff des „Krieges“ verwendet. Schon am Wochenende wurde deutlich, dass Frankreich seinen anti-IS Einsatz nicht nur fortführen, sondern auch deutlich ausweiten wird. Soll Paris diesen Kampf in Zeiten „uneingeschränkter deutscher Solidarität“ ohne deutsche Unterstützung weiterführen müssen? Die Bundeskanzlerin sprach am Sonntag von „jedweder Unterstützung" für Paris, Sigmar Gabriel vom „gemeinsamen Kampf gegen den IS". Wenn das keine leeren Worte bleiben sollen, müsste die Rhetorik militärische Konsequenzen nach sich ziehen. Doch was heißt das, angesichts der mehr als durchwachsenen militärischen Bilanz auf 9/11?
Zweitens müsste sich ein wirklich solidarisches Berlin den wachsenden Forderungen Europas annehmen, die deutsche Politik der effektiv offenen Grenzen möglichst rasch zu beenden. Nach den Anschlägen ist Berlin in dieser Frage in Europa noch stärker isoliert als zuvor. Selbst Schweden hat nun einen Politikwechsel vollzogen.
Es ist nicht zuletzt diese Politik der faktisch offenen Grenzen, die dem rechtsnationalen Front National (und anderen Rechtspopulisten) die Wähler in die Arme treibt. So beklagte sich vor kurzem ein prominenter Abgeordneter der Parti Socialiste dezidiert über Merkels unfreiwillige Wahlhilfe für die Populisten. Durch ihren Ansatz in Sachen Flüchtlingspolitik agiere Merkel „faktisch als Verbündete von Le Pen“.
Es ist klar, dass sich „uneingeschränkte Solidarität“ mit Frankreich kaum in der Forderung erschöpfen kann, Paris möge sich nun bitte endlich ein Vorbild nehmen an Berlin.
Nach dem Terror-Wochenende dürfte es noch schwerer werden, die politische Errungenschaft offener innereuropäischer Grenzen zu verteidigen, wenn es nicht gelingt, die europäischen Außengrenzen stärker zu kontrollieren. Ein europäisches Land nach dem anderen setzt auf zumindest kurzfristig eingeführte Grenzkontrollen. Umso unhaltbarer erscheint Vielen in Europa der bislang praktizierte deutsche Kurs. Der etwas hilflos wirkende Appell, den Anschlag von Paris nun auf keinen Fall zu instrumentalisieren, dürfte in Europa kaum verfangen – zumal die Aufforderung selbst ein Paradebeispiel politischer Instrumentalisierung darstellt.
Dennoch gilt: Auch unter dem Eindruck der erschütternden Bilder aus Paris bleibt die Pflicht zur Besonnenheit. Das letzte Mal als in Berlin von „uneingeschränkter Solidarität“ in Zeiten des Terrors die Rede war, regierte bekanntlich Gerhard Schröder im gerade neu bezogenen Kanzleramt. Was dem Bekenntnis folgte, war die Beteiligung der Bundeswehr am Einsatz in Afghanistan.
Im Gegensatz dazu ist bislang offen, was die nun öffentlich zugesicherte Unterstützung Frankreichs über Symbolpolitik hinaus für Berlin bedeutet. Auch die Vereinbarungen des G20 Gipfels vom Wochenende blieben eher vage. Wie immer der in Aussicht gestellte Schulterschluss am Ende konkret umgesetzt wird, eines ist klar: Deutsche „uneingeschränkte Solidarität mit Frankreich" wird sich kaum darin erschöpfen können, in Berlin stoisch Kurs zu halten und die Franzosen im Übrigen aufzufordern, sich nun bitte ein Beispiel an Deutschland zu nehmen.
10 Leserbriefe
Überhaupt: An diesem schrecklichen Wochenende habe ich eine Betroffenheitsrhetorik erlebt, die zugleich mit grimmiger Entschlossenheit demonstriert, dass sie über unsere Verantwortung für die Entstehung des islamistischen Terrors eisern schweigen will.
Nach militärischer Bekämpfung des IS wird auch in diesem Beitrag schnell gerufen. Wäre es nicht zuvor ratsam, den Waffennachschub, die Finanzierung und die logistische Unterstützung zu unterbinden? Ist es undenkbar, dafür alle Waffenlieferungen an die Unterstützer zu stoppen? Oder den Kauf von Öl aus der Hand des IS zu bestrafen ??
Soviel Fragen, so wenig Antworten.
Globale Verantwortung zeigen wir erst, wenn wir über die täglichen Terroranschläge in Afghanistan, dem Irak oder irgendwo in Afrika gleichermaßen erschüttert sind wie an diesem Wochenende. Erst dann werden wir wohl ernsthaft damit beginnen, die Ursachen des Terrors in vollem Umfang in den Blick zu nehmen. Erst dies machte den Weg frei für eine Ursachenbekämpfung, die am Ziel orientiert ist und nicht daran, Konsequenzen für unsere Geschäfte unseren Wohlstand zu vermeiden.
Nun fliegt Paris verzweifelte Angriffe auf einen Staat, der sich auf beiden Seiten der Sykes-Picot-Grenze etabliert und die vorläufige Ausdehnung des assyrischen Reiches vor dem Militärputsch Tiglatpilesers III. erreicht hat. Ich schau da nicht rein, vermute aber, dass London einiges an Diplomatie aufbieten wird, um die einzige andere respektable Militärmacht Europas in ein gemeinsames Handeln einzubinden, das Hand und Fuß hat und auf die Befindlichkeiten der in den syrischen Konflikt verstrickten Welt- und Regionalmächte Rücksicht nimmt. Auf Deutschland kommt es da wohl auch an, aber wohl erst in vierter Linie.
Sind "wir" Paris? Die Frage lässt sich mit einem klaren Nein beantworten. Wir sind mit uns selbst beschäftigt. Ob uns die Interessen Londons bekümmern? Keine Ahnung. Ähm. Eher nicht. Sollen die doch machen, was sie wollen. Wir sind der Kontinent.
Mir sagt das Rechts-Links-Schema nicht mehr so viel. Ich bedauere aber, dass Europas führende Politiker nicht in der Lage sind, sich zuerst zusammenzusetzen, sich abzustimmen und dann ihre Botschaften in die Welt hinauszuposaunen. Bisher reicht die Bandbreite von "Jeder ist willkommen" (31.08.) bis "Die Zerstörung des IS ist eine Aufgabe der VN" (16.11.). Wie das draußen ankommt?
Den dieser Angriff war ein Angriff auf unsere Werte. Darüber zu diskutieren wie gut oder schlecht sie sind, ist heute erst einmal ein anderes Thema. Diese Werte sind jetzt unsere Werte unserer demokratische humanistischen Gesellschaft.
Das aber diese Werte angegriffen werden, hat mit dem versagen unserer heutigen Politik zu tun. Wir müssen erstens Begreifen das unsere Werte nicht für jeden gleich verständlich und begreifbar sind wie für uns. Ein Mensch der im "Regen geboren und aufgewachsen ist, wird nicht sofort die Sonne schätzen". Das müssen wir mit unserem "Demokratie Export" endlich begreifen.
Zum anderen müssen wir aber die Menschen die heute da sind wirklich aufnehmen und nicht an den Rand der Gesellschaft drängen. Diese Jugendlichen die so etwas begehen sind einer "Gehirnwäsche" unterzogen worden. Das aber ein Mensch und gehen wir davon aus, dass jeder Mensch gut leben will, sonst hat es keinen Sinn sich darüber weiter zu Unterhalten, in der Lage kommt so etwas mit sich zu Machen, ist eher in einer feindlichen Umgebung aufgewachsen. Hätte die Gesellschaft in angenommen und integriert, ist die Wahrscheinlichkeit das er zum "Kamikaze" geworden wäre eher gering.
Das ist das Versagen unserer heutigen westlichen Welt, doch ist es keine Rechtfertigung für den Terror den wir heute erleben!!!
Deswegen sind wir alle Paris!!!
Ich will uns deutschen Idealisten, die wir unsere Ziele gern im Himmel suchen und deren Griff nach den Sternen auch schon das eine und dann auch noch das andere Mal danebenging, nicht absprechen, dass wir diesmal auf der Seite der "richtigen" Werte stehen. Ich bin mir bloß nicht so sicher, ob wir die Debatte als Wertedebatte führen sollten.
Bleiben wir einen Augenblick bei der technischen Machbarkeit: Politik mit Augenmaß, wie sie die deutsche Sozialdemokratie schon zwischen 1918/19 und 1930/33 sowie 1969-1982, 1998-2009 mehr oder weniger erfolgreich betrieb und seit 2013 wieder einigermaßen erfolgreich betreibt, operiert nicht wertfrei und auch nicht wertneutral. Aber sie muss am Ende der Fahnenstange auch konkrete Antworten finden. Mehrheitsfähige Antworten. Die Bundeskanzlerin kann man sich bekanntlich nicht aussuchen, wenn es zur eigenen Mehrheit nicht gereicht hat. Nein, ich bin den Bemühungen Bundesminister Steinmeiers um eine ernstzunehmende deutsche Außenpolitik in meinem bösen Wort von der "vierten Linie" sicher nicht gerecht geworden.
Ja, ich habe darauf hingewiesen, dass wir Deutschen nicht allein auf der Welt sind. Und auch darauf, dass wir unsere Partner VORHER fragen sollten, wie sie mit Problemen umgehen würden, wenn wir unsere Partner zu deren Lösung brauchen.
Die Integration der Flüchtlinge ist ein ambitioniertes Projekt. Sozialdemokraten haben sich vor ambitionierten Projekten nie weggeduckt. Aber weil sich politische Probleme am Ende dann doch nicht allein im Himmel der Werte lösen lassen, waren sie stets auch Realisten. Oft waren sie die besseren Realisten. Friedrich Ebert war realistischer als Erich Ludendorff. Helmut Schmidt war realistischer als Leonid Breschnew. Mit der Gruppe der 7 hat Bundeskanzler Schmidt ein zweckmäßig(er)es Instrument der Weltpolitik aus der Taufe gehoben als es der Sicherheitsrat der VN war. Denn der war durch das Vetorecht der Sowjets blockiert. Ach! Das war noch eine übersichtliche Welt, in der die Mehrheit der G 7-Staatschefs aus Europa kam. Als wir im Westen (von mir aus: "Abendland", die Japaner sehen das bestimmt nicht so eng) noch nicht ganz so vielstimmig sprachen als wir uns das heute in der Europäischen Union (welch großes Wort!) vorbehalten.
Nur noch kurz zur "Gehirnwäsche". Das mag im Einzelfall zutreffen. Aber was können wir dagegensetzen? Einen sechswöchigen Sprachkurs aufgehängt an den Artikeln des Grundgesetzes? Und was kommt dann? Eine 1 : 1 Betreuung jedes Flüchtlings, 24 h am Tag, 7 Tage die Woche, 12 Monate lang? Das wäre doch mal eine konkrete Idee: Jede Flüchtlingsfamilie bekommt eine ortskundige Familie als Paten. Wie viele dürfen dann noch kommen? Noch eine Million? Noch achtzig Millionen? In welchem Zeitraum? Und was heißt das: "die Menschen, die heute da sind, wirklich aufnehmen und nicht an den Rand der Gesellschaft drängen." Oder soll für die Operation (=das Abarbeiten ungebremst wachsender Flüchtlingskarteikarten) dann doch wieder der deutsche Staat verantwortlich zeichnen? Der kann ja so viel und wird bestimmt noch "stärker" werden. Reichen die 180.000 zusätzlichen Stellen, die dafür gestern veranschlagt wurden?
Ach ja, in der Demokratie gibt es "im Schema der Zeit" (Hegel) immer auch noch den politischen Wettbewerber .... Müssen wir vielleicht von den Einwanderungsländern mit Erfahrung lernen? Wie machen das eigentlich die Vereinigten Staaten mit ihren Zuwanderern? Wie haben die Franzosen das gemacht? Wie können wir es vermeiden, die Fehler der Franzosen zu wiederholen? Allgemeiner: wie vermeidet man Enttäuschungen? Auf möglichst vielen Seiten ...
Nein, das ist keine Wertedebatte. Die Debatte, die zu führen wäre, ist eine politische. Sie hat noch nicht einmal begonnen. Und sie muss mehr Akteure einbeziehen als bisher. Sie muss mehrheitsfähig werden. In Europa. Im Westen. In der G 20. Schafft das diese Bundeskanzlerin noch? Das ist die Frage, die ich mir hier stelle.
Allah, als der Gott des Alten Testaments kann darüber nur weinen.
Was wir wirklich brauchen, dass es nicht zu weiteren Gotteskrieger kommt. Nach Ursachen forschen, was Menschen dazu antreibt, im Namen Gottes zu morden.
Mit Säbelrasseln ist das allein nicht lösbar.
Das weiß auch die NATO und die meisten besonnenen PolitikerInnen
Manfred Fischer
Ich begleite ehrenamtlich eine syrische (Teil)familie, Vater mit zwei erwachsenen Söhnen - seit kurzem hier in einer Wohnung in einem kleinen Dorf untergebracht. Mutter und Schwester sind noch in Syrien. Gestern kam die Tante aus einem Lager am Rhein zum Putzen angereist.
Ich berichtete über den Terrorakt in Paris und die Beteiligung von Syrern und wies sie an, ihre Ausweise stets bei sich zu tragen (Belgien ist nicht weit)
Mohammed erzählte mir, dass er auf dem Weg nach Deutschland gesehen hat, dass in der Türkei syrische Pässe verkauft werden. Auf meine lustig gemeinte Frage, ob auch eine blonde Frau mit blauen Augen einen solchen Pass kaufen könne, meinte er ernsthaft, aber ja, das ist nur eine Frage des Preises.