Die Krise in und um die Ukraine hat mit der Eingliederung der Krim in die Russische Föderation einen Höhepunkt erreicht. Es bleibt aber noch offen, ob nun Entspannung oder erneute Eskalation darauf folgt. Optionen in beide Richtungen scheinen noch offen zu sein, obwohl sich Signale mehren, dass eine Verständigung nun nicht ausgeschlossen ist.

Vollendete Tatsachen

Die Eingliederung der Krim in die Russische Föderation ist abgeschlossen. Es ist kaum zu erwarten, dass diese Tatsache in absehbarer Zeit von Moskau rückgängig gemacht wird, egal wie schwierig und aufwendig die praktische Integration der Halbinsel in den russischen Raum wird.

Die Ukraine, die Europäische Union und die USA werden diese vollendete Tatsache kaum in absehbarer Zeit de jure anerkennen. Man wird lernen müssen, vorerst mit diesem Zustand zu leben.

Gleichzeitig sind die bisherigen westlichen Sanktionen gegenüber Russland auffallend bescheiden ausgefallen. Verfolgt man die Amtssprache genau, ist anzunehmen, dass diese auch nicht weiter verschärft werden, sollte Moskau sich mit der Eingliederung der Krim begnügen und nicht versuchen, über die Krim hinaus zu gehen.

In der EU und in den USA werden Hilfsprogramme für die Ukraine diskutiert, die die unmittelbare finanzielle Not stillen sollen. Darüber hinaus war die EU bereit, die politische Assoziation der Ukraine umgehend zu besiegeln und die Bedingungen des Abkommens über umfassenden freien Handel zugunsten der Ukraine zu revidieren. Alles zusammen sieht es so aus, als ob der Ukraine damit auch eine Abfindung für den Verlust der Krim sowie des Großteils ihrer Schwarzmeerflotte angeboten wird.

Ob es dabei bleibt, ist aber noch offen. Die Schwierigkeit, die widersprüchlichen Botschaften eindeutig auszulegen, wird insbesondere vor dem Hintergrund der komplexen Motive der Politik der jeweiligen Akteure deutlich.

Die Ukraine auf dem geopolitischen Schachbrett

Die mangelnde Bereitschaft Moskaus, mit der gegenwärtigen Regierung der Ukraine zu reden – bis hin zur Aberkennung ihrer Legitimität – scheint auf den ersten Blick unlogisch. Diese Politik folgt aber einer anderen Rationalität.

Moskau ging und geht nicht davon aus, dass es um einen Streit mit der Ukraine geht. Vielmehr sieht Moskau in der aktuellen Entwicklung  einen Streit ursprünglich mit der EU und nun auch mit den USA um die Ukraine. Von Anfang an war dieser Streit an die Unterzeichnung oder Nichtunterzeichnung des Assoziationsabkommens mit der EU geknüpft, wovon der auch die Integration der Ukraine in die Eurasische Wirtschaftsunion abhing. Der Ukraine selbst wurde in diesem Schachspiel zu Recht oder zu Unrecht – die Rolle eines Bauerns zugewiesen.

Die Entsendung einer Beobachtermission der OSZE gilt zu Recht als Signal der Kompromissbereitschaft. Die schwer überprüfbaren Meldungen über die Konzentration russischer Truppen an der Grenze deuten aber darauf hin, dass auch andere Optionen noch offen sind.

Kein Wunder also, dass Moskau sich heute in erster Linie mit der EU und den USA über eine Regelung verständigen will.

Aus dieser Perspektive sollte auch die Forderung Moskaus betrachtet werden, über eine Dezentralisierung und Föderalisierung der Ukraine, sowie über die Festschreibung ihrer Blockfreiheit Einfluss auf künftige Entscheidungen in Kiew ausüben zu wollen, ohne auf die Mittel einer Intervention zurückgreifen zu müssen.

Widersprüchliche Signale

Sieht man aktuelle Entwicklungen aus dieser Perspektive, ist die Lage noch in alle Richtungen offen. Die Einigung in Wien auf die Entsendung einer Beobachtermission der OSZE in die Ukraine gilt zu Recht als Signal einer Kompromissbereitschaft. Die schwer überprüfbaren Meldungen über die Konzentration russischer Truppen an der Grenze zur Ukraine würden aber darauf hindeuten, dass auch andere Optionen noch offen sind.

Die Bereitschaft der EU, mit der Übergangsregierung der Ukraine umgehend ein Abkommen über politische Assoziation der Ukraine mit der EU zu unterzeichnen, sowie die Vorverlegung der Unterzeichnung der Assoziationsabkommen mit Georgien und Moldova können in Moskau nur in dem Sinne interpretiert werden, dass der Konflikt mit der EU um die Ukraine und Moldova noch nicht ausgetragen ist.

Auf Kiew kommt es an

Die Überwindung der Krise in der Ukraine ist natürlich nicht allein die Frage einer Verständigung zwischen Moskau, Brüssel und Washington. Eine Verständigung hängst weitgehend von der Überwindung der politischen Krise in der Ukraine selbst ab.

Die Wiederherstellung einer handlungsfähigen Regierung der Ukraine, die von allen Regionen akzeptiert ist, ist nur auf dem Wege freier und fairer Wahlen möglich.

Die Zweifel Moskaus an der Legitimität der Übergangsregierung in Kiew mögen übertrieben sein und eher einem politischen Kalkül  dienen. Aber das Problem selbst ist damit nicht wegzureden. Die Wiederherstellung einer handlungsfähigen Regierung der Ukraine, die von allen Regionen akzeptiert ist, ist nur auf dem Wege freier und fairer Wahlen möglich. Und es geht in erster Linie nicht um anstehende Präsidentschafts-, sondern um Parlamentswahlen. Denn die Rückkehr zur Verfassung von 2004 sieht eine vom Parlament gewählte Regierung vor.

Eine Akzeptanz der Wahlergebnisse wird nur ermöglicht durch die Wiederherstellung der Rechtssicherheit und der öffentlichen Ordnung im Lande. Sie setzt heute auch einen Dialog von Kiew mit den Provinzen über ein ausreichendes und für alle akzeptables Ausmaß der Dezentralisierung der politischen Macht voraus.

Nicht zuletzt war die Unterzeichnung des Abkommens mit der EU an bestimmte Bedingungen geknüpft. Danach soll die Ukraine Minderheitenrechte garantieren, politische Dezentralisierung anstreben sowie rechtsnationalistische Ausschreitungen isolieren. Für die Ukraine und für Russland wird es nun auch darauf ankommen, ob die EU diese Mahnungen ernst nimmt und sich für die Umsetzung dieser Bedingungen einsetzt, oder ob diese Mahnungen leere Worte bleiben.