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Die Fragen stellten Claudia Detsch und Daniel Kopp.

Am Mittwoch hat das Militär den malischen Präsidenten Ibrahim Boubacar Keïta in einem schnellen und unblutigen Coup d‘état zum Rücktritt gezwungen. Dem waren monatelange Proteste im Nachgang zu den kontroversen Parlamentswahlen im April vorausgegangen. Warum kam es nun zu einem so drastischen Eingriff des Militärs?

Der tatsächliche Auslöser für den Putsch ist noch unklar. Einer der führenden Putschisten wurde wohl am Tag zuvor seines Amtes enthoben; ob dies aufgrund von Putschvermutungen geschah, wurde bisher nicht offiziell kommentiert. Vor dem Hintergrund der Erfahrungen von 2012, aber auch bereits des Machtwechsels 1991, ist der Putsch nicht unbedingt überraschend. Während der Proteste seit Juli hatte sich das Militär zurückgehalten, Beobachter hatten allerdings erwartet, dass sich die Oberbefehlshaber der malischen Armee bald für oder gegen Präsident Keïta würden entscheiden müssen. Dies ist nun geschehen. Die Gründe dafür sind bei den Putschisten ähnlich gelagert wie bei einem Großteil der malischen Bevölkerung, die ebenfalls sehr unzufrieden mit Keita war: Angekündigte Reformen wurden nicht umgesetzt und die Korruption im Staat wuchs. Zudem beklagt das Militär seit Jahren fehlende Ausrüstung und Unterstützung. Angesichts der Verluste, die die malische Armee in den letzten Jahren und Monaten immer wieder erleiden musste, überrascht dieser Putsch nicht.

Hinter der Protesten gegen die Regierung stand ein sehr heterogenes Bündnis unterschiedlicher gesellschaftlicher Kräfte. Haben diese Kräfte gemeinsame Ziele über den Rücktritt hinaus oder werden nun interne Querelen entstehen?

Die Bewegung des 5. Juni (Mouvement de 5 Juin, M5) hatte vor allem die Absetzung Keïtas und damit die Abkehr von seiner Regierung auf der Agenda. Dies ist nun erreicht. Glaubt man der Rhetorik der Bewegung, war ihr Hauptanliegen, die Probleme der malischen Bürger anzugehen, die sie in Keïta verkörpert sahen. Probleme wie das grundlegende Sicherheitsrisiko im Land, mangelnde Ernährung, hohe Jugendarbeitslosigkeit und fehlende wirtschaftliche Perspektiven, um nur einige zu nennen. Diese sind mit dem Abtritt Keitas allerdings nicht gelöst. Es ist zu hoffen, dass M5 und seine Organisatoren auch weiterhin eine positive Entwicklung für Mali vorantreiben wollen. Eines der drängendsten Ziele wäre der Kampf gegen die grassierende Korruption. Eine Neuverteilung von Ämtern nach dem Putsch könnte nicht nur die Möglichkeit bieten, alteingesessene Amtsinhaber aus ihren hervorgehobenen Positionen zu entfernen, sondern natürlich auch generell Korruptionsstrukturen aufzubrechen.

Das Militär hat eine zivile Übergangsregierung und die Organisation von neuen Wahlen versprochen. Dem steht allerdings die instabile Sicherheitslage im Land im Weg. Wie glaubhaft ist also das Versprechen des Militärs?

Man muss hier zwischen glaubhaft und umsetzbar unterscheiden. Meines Erachtens hat das Militär nicht aus Machtinteresse heraus geputscht, sondern um die Regierung Keïta abzusetzen. Dies ist gelungen. Entsprechend dieser Lesart besteht kein Grund für das jetzt einberufene „nationale Komitee zur Rettung der Bevölkerung“ (Comité National pour le Salut du Peuple), an der Macht festzuhalten, sondern es kann diese schnell wieder an zivile Strukturen übergeben.

Was die Umsetzbarkeit betrifft, ist die Situation komplizierter. Die Wahlen zur Nationalversammlung zu Beginn des Jahres haben die malischen Staatskassen immens belastet. Mit Blick auf die Covid-19-Pandemie und die bereits vorher schwierige Wirtschaftslage Malis ist unklar, wie Geld für erneute Wahlen in die Staatskassen kommen sollte. Zudem ist die Sicherheitslage im Zentrum und im Norden des Landes weiterhin schlecht, bereits zu den Wahlen im März und April konnten nicht alle Wahlbüros geöffnet werden.

Eine treibende Kraft der Proteste waren gemäßigte Islamisten rund um Imam Mahmoud Dicko. Werden die Islamisten in der künftigen Regierung an Einfluss gewinnen?

Das halte ich für eher unwahrscheinlich. Auch wenn Imam Dicko eine prominente Rolle während der Proteste einnahm, betonte M5 stehts den laizistischen Charakter Malis und der Bewegung. Auf dem Facebook-Account von Dickos Bewegung CMAS verkündete dieser, dass seine Aufgabe „erfüllt“ sei und er sich aus dem Prozess zurückziehe.

Unabhängig von der Besetzung einer künftigen Regierung hat die M5 Bewegung und die Figur von Imam Dicko aber gezeigt, welch ein Mobilisierungspotential sich in der jungen, sehr religiösen Bevölkerung Malis verbirgt.

Welche Auswirkungen hat der Putsch auf die ausländischen Truppen im Land, darunter die Bundeswehr, und auf die Sicherheitslage in der fragilen Region?

Zum jetzigen Zeitpunkt hat der Putsch keine unmittelbaren Auswirkungen auf die Mandate der Internationalen Missionen vor Ort. Es ist jedoch klar, dass sowohl die UN-Mission MINUSMA als auch die Missionen EUCAP und EUTM der Europäischen Union nur mit demokratisch legitimierten Regierungen eine effektive Partnerschaft führen können. Dies sollte ein weiterer Grund für eine schnelle Klärung der Situation sein, auch von internationaler Seite.

Für die Sicherheitslage in der Region könnte sich die hohe internationale Präsenz positiv auswirken. 2012 standen wir vor der Situation, dass sich ein Machtvakuum durch die innermalischen Probleme auftat, das dankbar von radikal-islamistischen Gruppen und bewaffneten Banden gefüllt wurde. Mit der internationalen militärischen Präsenz vor Ort ist es nun unwahrscheinlich, dass es zu ähnlichen Prozessen kommt. Jedoch ist die Sahelregion seit geraumer Zeit sehr fragil, eine Erschütterung der Machtverhältnisse, wie wir sie gerade in Mali sehen, könnte auch in die Nachbarstaaten ausstrahlen. In einem Jahr, in dem unter anderem noch die Präsidentschaftswahl in der Elfenbeinküste ansteht, wäre dies fatal.