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Ostafrika leidet unter einem Desaster, das alles andere in den Hintergrund stellt. Gemeint ist nicht die Covid-19-Pandemie, sondern der Kampf gegen riesige Heuschreckenschwärme. In neun Ländern der Region und im Jemen fressen diese zum Teil schon seit Monaten ganze Landstriche kahl. „Das ist eine große Bedrohung“, sagte Tobias Takavarasha, Vertreter der UN-Landwirtschaftsorganisation FAO in Kenia, Ende Februar der Nachrichtenagentur Reuters. „So sehr wir auch immer wieder sagen, dass Dürre eine Bedrohung ist, dass auch Überschwemmungen eine Bedrohung sein können – die Invasion der Wüstenheuschrecken ist eine noch nicht dagewesene Gefahr für die Versorgung der Menschen mit Lebensmitteln.“ Diese Einschätzung gab Takavarasha Ende Februar.

Inzwischen ist eine weitere Bedrohung hinzugekommen: Das Corona-Virus hat Ostafrika erreicht. Noch ist die Fallzahl niedrig, aber die Regierungen wissen, dass die schwachen Gesundheitssysteme einem großen Ausbruch nicht gewachsen wären. Die Kapazitäten wären noch viel schneller am Ende als in Italien, Spanien oder den USA. Deshalb haben alle Staaten auf die ersten bestätigten Fälle mit rigiden Maßnahmen reagiert. In Kenia, in dem 31 Infektionen bekannt sind (Stand 27. März 10 Uhr Ortszeit), wurden alle internationalen Flüge eingestellt, Schulen und Universitäten sind geschlossen, es gilt auf unbestimmte Zeit eine nächtliche Ausgangssperre. Die Bevölkerung ist voller Sorge, fürchtet die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise mindestens ebenso wie das Virus selbst. Präsident Uhuru Kenyatta verkündete Ende März Steuererleichterungen in unterschiedlicher Höhe für die verschiedenen Berufsgruppen. Regierungsmitglieder verzichten auf zum Teil große Teile ihrer Bezüge, Kenyatta und Vizepräsident William Ruto auf 80 Prozent.

Die Steuerausfälle werden die Wirtschaft zusätzlich belasten. Kenia ist zwar das wirtschaftliche Schwergewicht in der Region, aber am Rand der Überschuldung. Im Juni 2019, also noch vor der Heuschrecken- und der Corona-Krise, flossen rund 60 Prozent des Bruttoinlandsproduktes in den Schuldendienst. Neben dem Kampf gegen die Pandemie ist die Heuschreckenplage nun eine zusätzliche schwere Belastung für die kenianische Wirtschaft.

Nach Angaben der FAO haben die Wüstenheuschrecken in der Region zehntausende Hektar Ernte vernichtet.

Die derzeitige Heuschreckeninvasion in Ostafrika ist die schlimmste seit 25 Jahren. In Kenia haben die fliegenden Insekten schon seit 70 Jahren nicht mehr eine solche Verwüstung angerichtet. Ein durchschnittlicher Schwarm, der aus bis zu 40 Millionen Insekten besteht, kann nach Angaben der Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen FAO am Tag 150 Kilometer weit fliegen. In dieser Zeit vertilgt er so viel Nahrung wie für 35 000 Menschen an einem Tag ausreichend wäre. Nach Angaben der FAO haben die Wüstenheuschrecken in der Region zehntausende Hektar Ernte vernichtet.

Kenia gehört neben Äthiopien und Somalia zu den Ländern, die am schwersten betroffen sind. In den Landkreisen, die am schlimmsten heimgesucht wurden, haben die Insekten nach Angaben kenianischer Behörden rund 5 000 Quadratkilometer verwüstet, haben Hirse, Mais, Reis und Kaffeestauden, Gemüse und Obst vernichtet. Außerdem Weideflächen kahl gefressen, so dass das Vieh kein Futter mehr findet. Die Ernteausfälle sind nicht nur für die Bauern eine Katastrophe, sondern belasten auch die kenianische Wirtschaft: Die Landwirtschaft ist in Kenia ein Schlüsselsektor und trug im vergangenen Jahr gut ein Viertel des Bruttoinlandsprodukts bei. Tee, Obst, Gemüse und Blumen gehören zu Kenias wichtigsten Exportgütern. Infolge der Heuschreckenplage drohen deshalb auch die Deviseneinnahmen zurückzugehen.

Und die Plage ist noch lange nicht vorbei, die Situation bleibt nach Einschätzung der FAO höchst alarmierend. Die Vereinten Nationen befürchten, dass sich die Wüstenheuschrecken unter idealen Brutbedingungen in diesem Jahr bis zu 400-fach vermehren könnten. In der Region haben laut der FAO schon ohne die Heuschreckenplage fast 12 Millionen Menschen nicht genug zu Essen, denn seit Jahren erleben Bauern und Viehzüchter eine Katastrophe nach der anderen: Dürren und Überschwemmungen wechseln sich ab. In Somalia und dem Jemen kommen langjährige bewaffnete Konflikte hinzu.

Die kenianische Regierung und die anderen Staaten in der Region werden nicht in der Lage sein, die wirtschaftliche Belastung durch die Heuschreckenplage und die Corona-Krise alleine zu tragen.

Die Regierungen, die FAO, Hilfsorganisationen und die Bevölkerung stehen gerade jetzt in einem Wettlauf gegen die Zeit. Denn die erste Generation der Heuschrecken hat ihre Eier in den Boden gelegt, in diesen Wochen schlüpft die nächste Generation. Kurz danach können die jungen Insekten noch nicht fliegen, das ist die beste Zeit, um sie zu bekämpfen. Misslingt das, droht nach Einschätzung der Vereinten Nationen eine Hungersnot. Denn jetzt, Ende März, steht die nächste Pflanzzeit kurz bevor. Voraussetzung dafür ist, dass die Regenzeit pünktlich einsetzt, die üblicherweise jetzt beginnen sollte. Tut sie das tatsächlich, fällt die Pflanzzeit mit dem Schlüpfen der nächsten Heuschrecken-Generation zusammen. Und genau das zeichnet sich ab.

Die Heuschrecken-Einsatzteams müssen also schnell handeln, und das unter zusätzlich erschwerten Bedingungen. Denn wegen der Covid-19-Pandemie wurden weltweit Grenzen geschlossen und  Lieferungen verzögert, internationale Experten können nicht mehr in die Region reisen. Andererseits waren die Regierungen, die FAO, internationale Hilfsorganisationen und die Bevölkerung in den vergangenen Wochen nicht untätig, sagt Cyril Ferrand, der für die FAO in Ostafrika den Einsatz gegen die Plage leitet. Die FAO hat viele Aufträge für die Beschaffung von Ausrüstung und Nachschub an Pestiziden schon in der zweiten Februarhälfte vergeben. Auch in normalen Zeiten dauerten solche Lieferungen etwa vier Wochen, meint Ferrand. Diesmal gebe es zwar  zum Teil Verzögerungen wegen der außergewöhnlichen Situation, aber vieles sei auch schon eingetroffen: zum Beispiel fünf zusätzliche Sprühflugzeuge mitsamt der Crew, außerdem Ausrüstung für das Sprühen vom Boden.

Aber es gibt durch Corona weitere Hindernisse: Die Piloten der Überwachungshubschrauber kommen aus Südafrika, sie müssen nun nach der Einreise in Kenia oder Äthiopien in eine 14-tägige Quarantäne. Das verzögert die Möglichkeiten, die Schwärme zu überwachen. Wie erfolgreich der Kampf gegen die Heuschreckenplage unter diesen Umständen wird, bleibt also abzuwarten.

Eins aber steht fest: die kenianische Regierung und die anderen Staaten in der Region werden nicht in der Lage sein, die wirtschaftliche Belastung durch die Heuschreckenplage und die Corona-Krise alleine zu tragen. Sie werden finanzielle Hilfe brauchen, egal, ob nun auch die Industriestaaten einer wirtschaftlichen Krise stecken oder nicht.