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Niemand kann heute sagen, wie stark die Gesundheitssysteme in afrikanischen Ländern von der Corona-Pandemie in Anspruch genommen oder gar überwältigt werden. In vielen Staaten steigen die Zahlen in beängstigender Geschwindigkeit, in anderen gehen sie zurück. Betrachtet man die jeweiligen Statistiken näher, so fällt auf, dass an manchen Tagen gar nicht berichtet wird, dass Zahlen gelegentlich nachträglich korrigiert werden oder dass der Verlauf erratisch wirkt, was für Pandemien eigentlich eher untypisch ist.

Mit Ausnahme der Inselstaaten Mauritius und Kapverden liegt die Anzahl der Tests pro einer Million Einwohner unter dem weltweiten Durchschnitt; ein knappes Drittel der afrikanischen Länder berichtet gar nicht über die Anzahl der durchgeführten Tests. Aussagen über die Verbreitung des Virus in der jeweiligen Bevölkerung sind damit wenig aussagekräftig und verschleiern eher die Realität. Glücklicherweise ist die Anzahl schwerer Fälle gering und die Todesraten sind vergleichsweise niedrig, was unter anderem auf den hohen Anteil sehr junger Menschen in Afrika zurückzuführen ist.

Auf nationaler Ebene liegt das Hauptaugenmerk der Regierungen meist weiterhin auf dem Krisenmanagement. Vorrangig geht es darum, Kranke zu versorgen und die wenigen Intensivstationen instandzuhalten, soziale Maßnahmen für unmittelbar Betroffene einzuleiten und Stützungsmaßnahmen für die private Wirtschaft vorzubereiten. Zu einem großen Teil geschieht dies mit Hilfe ausländischer Partner, entweder bilateral oder mit multilateralen Institutionen. Technische Hilfe und Erleichterung des Schuldendienstes durch Zinsmoratorien und die Verschiebung der Kreditrückzahlung stehen momentan im Vordergrund der Diskussionen.

Die Abkühlung der Nachfrage nach afrikanischen Exportprodukten in Industrie- und Schwellenländern macht deutlich, wie notwendig die strukturelle Transformation der meist vom Rohstoffexport abhängigen afrikanischen Ökonomien ist. 

Wenig wird – zumindest offiziell – über die mittel- und langfristigen wirtschaftlichen und sozialen Konsequenzen der weltweiten Pandemie nachgedacht. Internationaler Währungsfonds (IWF), Weltbank, OECD und Afrikanische Union geben immer wieder neue Zahlen bekannt, in welchem Ausmaß sich die Schrumpfung der Wirtschaft in Europa, Asien und Amerika auf die Wachstumsraten des Kontinents in den nächsten Jahren auswirken werden. Der IWF schätzt, dass im laufenden Jahr eine Schrumpfung der kontinentalen Wirtschaftsleistung um bis zu 2 Prozent zu erwarten ist. Noch vor sechs Monaten wurde ein Wachstum von 5 Prozent vorhergesagt. Bei einem Bevölkerungszuwachs von jährlich 2,7 Prozent wird das Durchschnittseinkommen in erheblichem Maß sinken. Die fiskalischen Spielräume der Regierungen für Umverteilung und Investitionen werden noch enger.

Angesichts der Heterogenität der afrikanischen Gesellschaften und Ökonomien lassen sich aus den globalen Daten keine Handlungsempfehlungen für einzelne Länder ableiten. Öl-Exportländer wie zum Beispiel Nigeria, Algerien und Angola büßen 2020 vermutlich die Hälfte ihrer Exporterlöse ein. Die Preise für afrikanische Agrarprodukte wie Baumwolle, Palmöl und Sojabohnen sind seit März des Jahres stark gefallen. Reis, der zum wichtigsten Nahrungsmittel afrikanischer insbesondere urbaner Haushalte avancierte, ist dagegen teurer geworden. Die Transferzahlungen afrikanischer Migranten an ihre Familien auf dem Kontinent dürften in diesem Jahr um etwa ein Viertel sinken. Länder wie Gambia, die Kapverden oder Lesotho, deren Nationaleinkommen zu mehr als 10 Prozent aus Transferzahlungen bestritten wird und in denen mehr als ein Drittel der Bevölkerung davon abhängig ist, sind extrem betroffen.

Die Abkühlung der Nachfrage nach afrikanischen Exportprodukten in Industrie- und Schwellenländern macht deutlich, wie notwendig die strukturelle Transformation der meist vom Rohstoffexport abhängigen afrikanischen Ökonomien ist. Nur so können künftig externe Markteinflüsse weniger starke Effekte ausüben. Doch sind dazu nicht nur Reformen in den Ländern selbst erforderlich. Es geht auch darum, dass internationale Handelsbeziehungen umgestaltet werden, dass sich Investitionen in nationale und regionale Wertschöpfungsketten rentieren, dass die Produktivität in der Landwirtschaft und im verarbeitenden Gewerbe steigt und Arbeitsplätze in Afrika geschaffen werden.

Strategische Neuorientierungen erfordern Antworten auf eine Reihe von Fragen, die selbstverständlich auf die jeweiligen nationalen Rahmenbedingungen zugeschnitten werden müssen. Erstens muss geklärt werden, auf welche Absatzmärkte sich die nationale Produktion ausrichten soll. Zwar haben sich Afrikas Handelsströme in den letzten Jahren stärker nach Ost- und Südostasien verlagert. Doch hat sich das nicht auf die Struktur des Außenhandels ausgewirkt, da sich der Bedarf der neuen Absatzmärkte weiterhin auf unverarbeitete Produkte und Rohstoffe konzentriert. Stärkere Diversifizierung, die Weiterverarbeitung von Vorprodukten und die Bereitstellung von Dienstleistungen erfordern eine stärkere Berücksichtigung der eigenen komparativen Vorteile und eine verstärkte regionale Kooperation, gerade auch bei kleinen Binnenmärkten. Die kürzliche Schaffung der afrikanischen Freihandelszone stellt nur den rechtlichen Rahmen für einen verstärkten innerafrikanischen Handel zur Verfügung; politischer Wille und politisches Handeln sind unabdingbar.

Viele der unmittelbar zugesagten Hilfen für die Gesundheitsfürsorge und der temporäre Aufschub des Schuldendienstes erwecken den Eindruck, als wolle man möglichst bald den Status des „Weiter so!“ erreichen.

Zweitens sollten Wertschöpfungsketten identifiziert werden, die besondere Förderung erfahren. Kriterien für die Auswahl sind neben den bereits genannten Absatzmärkten die Verfügbarkeit lokaler Rohmaterialien, die Wirkung auf die Beschäftigung von nationalen Arbeitskräften und positive Effekte auf vor- und nachgelagerte Sektoren. Schließlich sind Entscheidungen zu treffen, die sich sowohl auf die physische Infrastruktur (Energieversorgung, Transport- und Kommunikationswege) als auch auf das Humankapital (Ausbildung, Gesundheit, soziale Sicherung) beziehen.

Die aktuell große Bereitschaft der internationalen Partner zur Unterstützung des afrikanischen Kontinents bei der Bewältigung der Corona-Pandemie sollte dazu genutzt werden, solche nationalen Strategien zu entwerfen und in die Tat umzusetzen. Doch auch bei den meisten Geberländern sind keine neuen strategischen Entwürfe zu erkennen; viele der unmittelbar zugesagten Hilfen für die Gesundheitsfürsorge und der temporäre Aufschub des Schuldendienstes erwecken den Eindruck, als wolle man möglichst bald den Status des „Weiter so!“ erreichen.

Die wesentlichen Hebel der Entwicklungspartner Afrikas, um eine Transformation zu befördern, bestehen erstens in einer Weiterentwicklung von Handelspräferenzen bis hin zu einer Bevorzugung von Produkten aus afrikanischen Manufakturen. Zweitens sind Infrastrukturinvestitionen in eine umfassende Elektrifizierung vonnöten, wobei – insbesondere in Flächenstaaten – dezentralen Lösungen der Vorzug zu geben ist. Drittens ist dort, wo Standortvorteile, zum Beispiel aufgrund des Bildungsniveaus, gegeben sind, eine gezielte Förderung von digitalen Dienstleistungen ins Auge zu fassen. Schließlich – und das dürfte die größte Herausforderung sein – sind Maßnahmen der Entwicklungszusammenarbeit zu beenden, welche die angestrebte Transformation hemmen.

Aus diesem Blickwinkel kann die globale Pandemie auch zum Katalysator für einen deutlichen Wechsel der Wirtschaftssysteme werden. Noch sieht es nicht so aus, als hätten die afrikanischen Regierungen den Weckruf gehört. Doch wenn die unmittelbaren Auswirkungen erst einmal ausgestanden sind, werden entsprechende Stimmen besser wahrnehmbar sein. Es ist zu wünschen, dass diese auch bei den Entwicklungspartnern Afrikas gehört werden.