Vor einem Jahr begann inmitten der sudanesischen Hauptstadt Khartum ein Krieg, der schnell zu einem der grausamsten weltweit eskalierte. Binnen einer Stunde feuerten damals die Kontrahenten – das Militär des Landes sowie die Miliz Rapid Support Forces (RSF) – Wellen von schweren Geschossen aufeinander ab. Und riskierten damit das Leben von bis zu neun Millionen Zivilistinnen und Zivilisten. Binnen eines Monats waren bereits Hunderttausende Menschen auf der Flucht. Nach einem Jahr liegt nun die Hauptstadt, eine der größten Afrikas, in weiten Teilen in Schutt und Asche, während sich der Krieg auf weitere Teile des Landes ausgedehnt hat.

Heute schauen wir im Sudan nach UN-Angaben auf die größte Vertreibungskrise mit mindestens 8,2 Millionen Vertriebenen und auf eine der schwersten humanitären Krisen weltweit. Rund 25 Millionen Sudanesinnen und Sudanesen sind auf humanitäre Hilfe angewiesen – 14 Millionen davon sind Kinder. Experten warnen vor einer der größten Hungerkatastrophen. Und dennoch wird der Konflikt von der internationalen Gemeinschaft fast vollständig ignoriert. Volker Türk, UN-Kommissar für Menschenrechte, sprach vor kurzem von einer „globalen Amnesie“.

Dies lässt sich teilweise dadurch erklären, dass mit dem Krieg viele Telekommunikationskanäle beschädigt oder zerstört wurden und das Land so zu einer black box mutierte, aus der nur wenige Nachrichten dringen. Darüber hinaus bekommen Journalisten selten Visa, humanitäre Helferinnen und Helfer haben kaum Zugang zum Kriegsgebiet. So lässt sich nicht einmal die Zahl der Toten akkurat bestimmen. Das Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED) berichtete Mitte Februar von bis dato14 600 Toten landesweit, während in Khartum tausende Leichen verrotten, die vermutlich nirgendwo erfasst sind. Es wird berichtet, dass die Populationen von Hunden sowie aasfressenden Vögeln sich vervielfacht haben.

Das Elend im Sudan wird aber auch von den Eindrücken des Gaza-Kriegs überschattet, der angesichts seiner Wucht seit Monaten viel mediale Aufmerksamkeit auf sich zieht. So wurde der Sudan zum blinden Fleck – trotz eindrücklicher Parallelen zwischen Gaza und Sudan hinsichtlich der Eckdaten des Leidens und der Grausamkeit, mit der Menschen hier gegen Mitmenschen vorgehen.

Das Elend im Sudan wird von den Eindrücken des Gaza-Kriegs überschattet.

Im Westen des Landes, in den fünf Darfur-Bundesstaaten, hat der Charakter des Konflikts eine weitere Komponente bekommen: ethnische Säuberungen. Dort gehen, wie in den frühen 2000er Jahren, die arabisch-stämmigen RSF mit alliierten lokalen Milizen auch gegen afrikanisch-stämmige Gemeinden vor. Abgefackelte Dörfer und Massengräber sind sogar auf Satellitenbildern auszumachen. Mehr als 600 000 Menschen sind aus diesem Grund allein in den Tschad geströmt (insgesamt sind mehr als 1,7 Millionen Menschen ins Ausland geflohen). In vielen Kriegsgebieten verweigern die Kämpfenden absichtlich humanitäre Korridore – selbst in die Hauptstadt hinein, in der Lebensmittel, Wasser und Medikamente rar und teuer geworden sind. Es gibt Berichte über sexuelle Gewalt vor allem vonseiten der RSF als Mittel der Kriegsführung und Einschüchterung der Zivilbevölkerung, inklusive der Vergewaltigung von Frauen und Mädchen vor ihren Familien und der Zwangsverheiratung von Kindern. Beide Seiten verschleppen Kritiker und rekrutieren Kämpfer unter Zwang. In urbanen Räumen gibt es weiterhin Luftangriffe und Bodenkämpfe, die auf dem Rücken von Millionen von Zivilistinnen und Zivilisten ausgetragen werden.

Mit ihrem rücksichtslosen Machtkampf um die Vorherrschaft im Staat haben die Kriegsparteien einem bemerkenswerten Demokratie-Experiment ein Ende bereitet, das erst vor wenigen Jahren mit der Revolution mehrheitlich junger Akteure begonnen hatte. Millionen Sudanesinnen und Sudanesen waren 2018/2019 auf die Straßen gegangen, um einen Wandel zu verlangen, und schafften es schließlich, den langjährigen Diktator Omer al-Bashir zu stürzen. Anders als in anderen Ländern der Region, wo junge Menschen sich angesichts gescheiterter Demokratisierungsversuche und Revolutionen weitgehend von politischer Arbeit abgewandt haben, gibt es im Sudan weiterhin große Gruppen junger aktiver pro-demokratisch motivierter Zivilgesellschaftsakteure.

Übersichten zählten vor Kriegsausbruch mehr als 7 000 aktive Jugendorganisationen und Netzwerke im Land. Junge Sudanesinnen und Sudanesen zwischen 16 und 35 sind auch nach Kriegsausbruch weiterhin treibende Kräfte in politischen, sozialen und humanitären Initiativen, beispielsweise in Anti-Kriegs-Kampagnen oder den sogenannten emergency rooms, die online sowie vor Ort versuchen, Familien mit Lebensmitteln zu versorgen, Menschen aus umkämpften Vierteln zu retten, Medikamente für Alte und Kranke oder psychologische Unterstützung für Vergewaltigungsopfer zu beschaffen. Der Krieg schwächt jedoch die immer noch sehr aktive politische Jugendbewegung zunehmend und nimmt dem Land damit eine große Hoffnung für die Zukunft.

Jugend-Netzwerke und die sogenannten Widerstandskomitees wurden durch Kämpfe und Vertreibung versprengt. Einige junge Menschen, die vor kurzem noch in der gewaltlosen Demokratie- und Friedens-Bewegung aktiv waren, kämpfen jetzt in bewaffneten Gruppen – aus dem Gefühl heraus, dass Gewalt der einzige verbliebene Weg sei. Viele sind nach dem Putsch von 2021, dem darauf folgenden Militär-Crackdown und nun vom Krieg traumatisiert und demotiviert. Diejenigen, die im Sudan weiterarbeiten, verlieren teilweise die politischen Ziele aus den Augen, da sie die Notwendigkeit sehen, sich lokal humanitär zu engagieren. Andere, die ins Ausland geflüchtet sind, kämpfen angesichts restriktiver Visa-Politiken und mangels Jobs oder Bildungsangeboten zunächst ums Überleben. Durch die Reaktionsträgheit und Indifferenz internationaler Akteure verlieren sie zunehmend das Vertrauen in westliche Politik und Regierungen.

Der Humanitarian Response Plan für Sudan ist bisher zu weniger als fünf Prozent finanziert.

Ohne erheblich stärkeren Druck und mehr Interesse von außen, ist im Sudan nicht nur das Jetzt, sondern auch die Zukunft in Gefahr. Deutschland war nach der Revolution von 2018/19 eine zentrale Lenkerin und Förderin des post-revolutionären Wegs Richtung Demokratie. Die Bundesregierung hatte die Friends of Sudan Group mitbegründet und 2020 eine große Geberkonferenz organisiert. Von ihr direkten Einfluss auf die Kriegsparteien zu erwarten, wäre jedoch realitätsfern. Militär und RSF haben Initiativen und Warnungen europäischer und anderer Diplomaten in den vergangenen Jahren abtropfen lassen wie Teflon. Die wichtigsten Spieler in der Region – denen teils nachgesagt wird, heimlich die eine oder andere Kriegspartei zu unterstützen – sind mittlerweile Ägypten, die Vereinigten Arabischen Emirate sowie Saudi-Arabien.

Dennoch gibt es einiges, das Deutschland tun kann. Wichtig bleibt die direkte Unterstützung von jungen Demokratinnen und Demokraten im Sudan sowie im Exil durch Programme zur politischen Befähigung, damit diese Teil einer Lösung sein können. Weitere Angebote müssen der Radikalisierung junger Sudanesen entgegenwirken und die mentale Resilienz der jungen, reformorientierten Frontline-Aktivisten stärken. Flankierend ist diplomatisch und politisch viel zu tun. Ganz unmittelbar muss die humanitäre Hilfe intensiviert werden. Der Humanitarian Response Plan für Sudan ist bisher zu weniger als fünf Prozent finanziert – eine Geberkonferenz in Paris Mitte April könnte hier Abhilfe schaffen, falls die Regierungen die Lage endlich ernst nehmen. Zum Zweiten müssen die Gesprächskanäle zu den Kriegsparteien offengehalten werden, die aus Protest gegen Putsch, Krieg und Menschenrechtsverletzungen teils geschlossen wurden. Eine der Botschaften muss sein, dass jedwede potenzielle Unterstützung in der Zukunft (beispielsweise für den Wiederaufbau der zerstörten Hauptstadt) nur zu haben sein wird gegen die Akzeptanz einer inklusiven, zivilen und demokratischen Regierung. Hier müssen gerade Mächte wie Deutschland einen kompromissloseren Ton anschlagen als zuvor.

RSF-Anführer Hemeti wird derzeit auf Charme-Touren durch die Region von afrikanischen Machthabern hofiert und tut sein Bestes, in Obama-Anzug und mit von PR-Firmen gestreamlinter Rhetorik auch bei westlichen Diplomaten und Öffentlichkeiten zu punkten. Dass aber die diplomatische Einbindung dieser bewaffneten Aggressoren nicht funktioniert und dass deren verbalen Zusicherungen nicht zu trauen ist, hat ihre krasse Missachtung aller lokalen und internationalen Interventionen gezeigt. Ein kompromissloser Ton wäre zu begleiten von mehr Sanktionen und Initiativen, um Waffenlieferungen von außen in den Sudan zu unterbinden. Hier bleibt die Kommunikation mit Staaten in der Region wichtig, die auf die Kriegsparteien Einfluss haben – oder die den Konflikt durch die Proliferation von Waffen befördern.

Es ist aber auch notwendig, Druck auf sudanesische politische Eliten auszuüben, die erneut – beispielsweise mit ihrer Tagadum-Initiative zur Einigung der Zivilgesellschaft – nicht inklusiv genug agieren und damit einen Fehler der zivilen politischen Arbeit seit der Transitionsregierung wiederholen. Die Einbindung junger Akteure bleibt wichtig.

Für diese Schritte braucht es aber auch an deutschen politischen, humanitären und entwicklungsbezogenen Schaltstellen einen Wiederaufbau der Personaldecke für den Sudan und die Region. Schon durch das Eindampfen der Entwicklungshilfe nach dem Putsch 2021 waren Experten weitergezogen oder versetzt worden. Nach Kriegsausbruch und mit der Evakuierung fast aller ausländischer Diplomaten und Helfer im Land sowie der Zerstörung vieler Niederlassungen und Vertretungen vor Ort wurden die Arbeitsebenen weiter ausgedünnt. Aber ohne Experten und Zusammenarbeit kein Einfluss. Verhandlungsversuche bleiben seit Monaten wirkungslos, eben weil sie nur von Teilinitiativen getragen werden und so von den bewaffneten Machthabern als einseitig diskreditiert werden können. Nur mit einer großen internationalen Initiative, die beide Kriegsparteien an einen Tisch zwingt, kann es Frieden für den Sudan geben.