In Asien wird die Rückkehr Donald Trumps ins Weiße Haus gelassener betrachtet als in Europa. Verbündete und Gegner machen sich keine Illusionen darüber, was auf sie zukommt: Ein erratischer Präsident, der bei den großen Linien seiner Politik gegenüber der Region dort wieder aufnimmt, wo er 2020 aufgehört hat. Mit Sorge wird daher ein neuerliches Aufflammen der Handelskriege betrachtet, die sich negativ auf die eigenen Entwicklungschancen auswirken würden. Im Gegensatz zu den Konfliktherden in Europa und dem Nahen Osten, für die eine America First-Präsidentschaft höchst disruptiv zu werden droht, hoffen asiatische Akteure eher auf eine Fortsetzung des Status quo – möglicherweise sogar auf den einen oder anderen pragmatischen Deal.
Aus chinesischer Sicht macht es kaum einen Unterschied, wer ins Weiße Haus einzieht. Peking hat betont gelassen auf den Wahlausgang reagiert. Denn auch in China ist bekannt, dass in Washington parteiübergreifende Einigkeit besteht, den Hegemoniekonflikt mit China weiterzuführen – auch wenn ein heißer Krieg als kaum gewinnbar gilt und daher vermieden werden soll. So, wie die Biden-Administration die China-Politik ihres Vorgängers weitergeführt und verschärft hat, wenngleich mit dem sichtbaren Bemühen um pragmatischen Austausch und offene Kommunikationskanäle, dürfte auch Trump die Konfrontation mit dem großen Rivalen fortsetzen.
Aus chinesischer Sicht macht es kaum einen Unterschied, wer ins Weiße Haus einzieht.
Uneinigkeit besteht allerdings darüber, wie diese Auseinandersetzung geführt werden soll. Das hängt davon ab, welche Denkschule in der zweiten Trump-Regierung den Ton angeben wird. Die Primacists um den ehemaligen stellvertretenden Nationalen Sicherheitsberater Matthew Pottinger wollen die globale Dominanz der USA sichern, indem sie im Wettbewerb mit China wie seinerzeit mit der Sowjetunion auf Sieg setzen. Die Priorisierer um den designierten Vizepräsidenten J.D. Vance wollen sich aus Europa und dem Mittleren Osten eher zurückziehen, um die amerikanischen Ressourcen ganz auf China konzentrieren zu können. Trumps eigener Instinkt ist eher der eines Isolationisten, der sich gänzlich aus den Forever Wars und den Verpflichtungen des Hegemons zurückziehen möchte – allerdings bereit ist, amerikanische Interessen mit harten Bandagen durchzusetzen. Mit Blick auf die Auseinandersetzung mit China deuten die Nominierungen – Marco Rubio als designierter Außenminister, Pete Hegseth als Verteidigungsminister und Mike Waltz als Nationaler Sicherheitsberater sind ausgewiesene China-Falken – allerdings eine weitere und möglicherweise sogar deutliche Verschärfung an.
Peking stellt sich nach der vorsichtigen Entspannung des letzten Jahres auf eine weitere disruptive Phase ein, in der ein schwelender Handelskonflikt wieder zu einem Handelskrieg aufflammen könnte. Auf der anderen Seite hat Trump, bekannt als Dealmaker-in-Chief, wiederholt seine Bereitschaft zu Kompromissen signalisiert, sofern diese den Interessen der USA dienen. Der 2020 abgeschlossene Phase-One-Deal zur Beilegung der Handelsstreitigkeiten mit China zeigt, dass seinen Worten auch Taten folgen können. Auch strategisch sieht Peking in einer Trump-Administration Chancen: Sollten sich die USA wie erwartet wieder aus multilateralen Foren zurückziehen und sich bei globalen Herausforderungen wie dem Kampf gegen den Klimawandel ihrer Verantwortung entziehen, ist China bereit, dieses politische Vakuum auf der Weltbühne zu füllen und den Globalen Süden stärker hinter sich zu versammeln. Die Charmeoffensive Chinas gegenüber Europa – für Peking der entscheidende swing state der internationalen Politik – würde entsprechend verstärkt werden.
In den kommenden vier Jahren wird es für Indien entscheidend sein, die strategisch wichtigen Beziehungen zu Washington weiter auszubauen.
Im Gegensatz zu China – und auch zu vielen anderen US-Verbündeten – hat Indien stark von positiven Beziehungen zu den letzten beiden US-Regierungen profitiert. Dennoch wird die erneute Wahl Donald Trumps Auswirkungen auf das indisch-amerikanische Verhältnis haben und Neu-Delhi dazu zwingen, seine Prioritäten in den bilateralen Beziehungen neu zu justieren. Die Bedeutung dieser Beziehungen hat in den letzten zehn Jahren erheblich zugenommen, getragen von einer zunehmenden Übereinstimmung in geopolitischen Zielen, wichtigen wirtschafts- und handelspolitischen Interessen, einer großen indischen Diaspora, bestehendem Vertrauen sowie einer aktiven Zusammenarbeit in internationalen Institutionen. Indiens Positionierung beruht auf Pragmatismus, Transaktionsbereitschaft und günstigen Voraussetzungen – möglicherweise verstärkt durch die persönliche Nähe zwischen Premierminister Modi und Präsident Trump. In den kommenden vier Jahren wird es für Indien entscheidend sein, die strategisch wichtigen Beziehungen zu Washington weiter auszubauen, die nächste US-Regierung in allen relevanten Politikfeldern für indische Interessen zu gewinnen und sich nicht vom erwarteten Protektionismus der Trump-Administration überraschen zu lassen. Letzteres stellt eine echte Bedrohung für das indische Wachstumsmodell und damit für die Kerninteressen des Landes dar.
Um das Potenzial der bilateralen Beziehungen effektiv und strategisch auszuschöpfen, bieten sich insbesondere die Bereiche Technologie-, Handels- und Wirtschaftspolitik sowie die strategische Ausrichtung auf den Indo-Pazifik und die Rolle Chinas als gemeinsamen geopolitischen Hauptgegner an. Abzuwarten bleibt, wie sich die jüngste chinesisch-indische Annäherung auf dem BRICS-Gipfel im russischen Kasan weiter ausgestaltet. Neu-Delhi kann Washington am erfolgreichsten einbinden, wenn die indische transaktionale Herangehensweise mit Pragmatismus und Interessenspolitik reflektiert wird – Eigenschaften, für die Dealmaker Donald Trump bekannt ist. Für Indiens strategische Ausrichtung sind weiterhin diplomatisches Geschick und eine tiefgehende Analyse der US-amerikanischen strategischen Rationalitäten und Interessen erforderlich. Diese dürften sich weniger stark ändern, als in Europa vermutet wird, wenngleich Ton und Durchsetzungsart variieren könnten. Neu-Delhi scheint dennoch gut auf „Trump II“ vorbereitet zu sein.
Trumps Ansage an die asiatischen Alliierten ist dieselbe wie die gegenüber den Europäern: Nur wer zahlt, wird geschützt.
Für die amerikanischen Verbündeten Japan, Südkorea und die Philippinen hingegen stellt die Trump-Regierung ein ähnliches Sicherheitsrisiko dar wie für die Europäer. Um den chinesischen Provokationen im Ost- und Südchinesischen Meer zu begegnen, sind die Anrainerstaaten auf den Schutz der Vereinigten Staaten angewiesen und haben große Anstrengungen unternommen, ihre bilateralen Bündnisse mit den USA zu vertiefen. Trumps Ansage an die asiatischen Alliierten ist allerdings dieselbe wie die gegenüber den Europäern: Nur wer zahlt, wird geschützt. Um dieser Unsicherheit Herr zu werden, versuchen sich der konservative koreanische Präsident Yoon Suk Yeol, der neugewählte japanische Regierungschef Shigeru Ishiba und der philippinische Präsident Ferdinand Marcos als „Trump-Flüsterer“ zu positionieren und schmeicheln ihm mit Lob. Insbesondere in Seoul ist die Sorge um die Belastbarkeit des US-amerikanischen Schutzschirms im Angesicht von immer stärkeren nordkoreanischen Provokationen groß.
Besonders schwierig dürfte die Lage für Taiwans Präsidenten werden, da er stets das Fernziel der Unabhängigkeit von China verfolgt hat. Im Stile eines Schutzgelderpressers forderte Trump Taipeh im Wahlkampf auf, für seine Verteidigung zu zahlen, denn die amerikanische Versicherungspolice sei nicht umsonst zu haben. Umgekehrt will der designierte Vizepräsident Vance die US-Unterstützung der Ukraine nach Taiwan umleiten. In der angespannten Lage um Taiwan birgt ein derart erratischer Kurs große Gefahren, da er zu strategischen Fehlkalkulationen auf allen Seiten führen kann. Unterstützer von Trump würden dem entgegenhalten, dass gerade diese Unberechenbarkeit die strategische Ambiguität – ab welcher Schwelle und in welcher Form die Supermacht dem Inselstaat beistehen würde – wiederherstellen könnte. Damit, so ihre Argumentation, könnte die amerikanische Abschreckungsfähigkeit, die zuletzt stark gelitten hat, gestärkt werden.
Die meisten südostasiatischen Staaten wollen unbedingt vermeiden, sich für eine Seite entscheiden zu müssen.
Und Südostasien? Wie bereits in seiner ersten Amtszeit, dürfte die Region weit unten auf Trumps Agenda stehen. Dem Republikaner nimmt man weiterhin übel, dass er sich bei ASEAN-Gipfeln dreimal in Folge hat vertreten lassen. Dabei könnte er sich unter den semi-autoritären Herrschern der Region durchaus in seinem Element fühlen. Mit Spannung wird die außenpolitische Ausrichtung des neuen indonesischen Präsidenten Prabowo Subianto beobachtet, der seinen Unmut über die US-amerikanische Gaza-Politik offen zeigt und bei seiner ersten Auslandsreise die Nähe zu Chinas Staatschef Xi Jinping suchte. Ähnliche Ansichten teilt der malaysische Premierminister Anwar Ibrahim. Jenseits solcher ans heimische Publikum gerichteter Signale wollen die meisten südostasiatischen Staaten jedoch unbedingt vermeiden, sich für eine Seite entscheiden zu müssen, und werden auch weiterhin sicherheitspolitisch mit den USA zusammenarbeiten. In vielen Hauptstädten macht man sich Hoffnungen, von der westlichen Diversifizierungsstrategie profitieren zu können. Startet Trump einen neuen Handelskrieg, dürften wie beim letzten Mal viele Güter über Südostasien den Weg auf den amerikanischen Markt finden.
In Asien kursiert das Bonmot, dass auf die regelbasierte nun eine Deal-basierte Ordnung folgt. Unter den pragmatischen Realisten der Region wird dies durchaus wohlwollend aufgenommen. Besonders begrüßt wird die Aussicht auf eine Reduzierung der als hochmütig und einmischend empfundenen Rhetorik zu Demokratie und Menschenrechten. Nicht zufällig basieren die Grundwerte der „westfälischen Region“ Asien, wie sie in der ASEAN-Charta verankert sind, auf Souveränität, territorialer Integrität, Nichteinmischung und ziviler Konfliktbeilegung. Gleichzeitig haben kleinere und mittlere Mächte ein starkes Interesse am Fortbestand völkerrechtlicher Regeln, um dem chinesischen Expansionstrieb, beispielsweise im Südchinesischen Meer, entgegenzuwirken.
Das größte Risiko einer Trump-Präsidentschaft liegt vermutlich in seinem erratischen Verhalten, das die Glaubwürdigkeit der USA als verlässlicher Sicherheitspartner in der Region untergräbt. Falls sich die amerikanischen Verbündeten für eine Hedging-Strategie entscheiden – also Zweigleisig fahren, dabei ihre Abhängigkeit von den USA reduzieren und sich Alternativen offenhalten –, könnte dies China ermutigen, seine Einflusssphäre weiter auszudehnen. Ob sich Peking dabei für ein aggressiveres Auftreten oder eine Charme-Offensive entscheidet, ist offen.