Während Sri Lankas Wirtschaft vor unseren Augen zusammenbricht, stellt sich die Frage, wie dies in einem Land geschehen konnte, das historisch für seinen hohen Lebensstandard und seine stabile Wirtschaft bekannt ist. Sri Lanka blickt auf eine jahrzehntelange Erfolgsgeschichte zurück: Das BIP pro Kopf ist 70 Prozent höher als das indische und mit 77 Jahren übersteigt die Lebenserwartung die in Bangladesch (73 Jahre), Indien (70 Jahre) und Pakistan (67 Jahre) – den anderen Staaten in Südasien.
Aber jetzt befindet sich Sri Lankas Wirtschaft im freien Fall. Für diese Krise gibt es deutliche und naheliegende Gründe. Die auf internationale Faktoren wie Corona und den Ukrainekrieg zurückzuführenden Probleme verschärften lediglich die hausgemachten politischen Fehler Sri Lankas. Im Jahr 2019 kündigte (der jetzt ins Ausland geflohene) Präsident Gotabaya Rajapaksa eine Reihe sinnloser Steuersenkungen an, die für den Staat den Verlust bitter benötigter Einnahmen bedeuteten. Dann verbot seine Regierung 2021 unvermittelt die Einfuhr von chemischen Düngemitteln und Pestiziden. Der eigentliche Zweck dieser Maßnahme war, den Abfluss von Devisen zu stoppen; allerdings hatte dieses Verbot vor allem einen drastischen Rückgang in der heimischen Nahrungsmittelerzeugung zur Folge, was in diesem Jahr zu einer akuten Lebensmittelknappheit führte.
Sri Lankas Wirtschaft befindet sich im freien Fall.
Den Todesstoß stellt jedoch die fortgesetzte Bemühung der Regierung dar, die Sri-Lanka-Rupie künstlich zu stützen. Formal besteht eine weniger feste Wechselkursanbindung an den US-Dollar (soft peg): Der Wechselkurs wird nicht von der Regierung festgelegt und Schwankungen werden zugelassen, wenn auch mit gelegentlichen Interventionen seitens der Zentralbank, um übermäßige Schwankungen zu verhindern.
Ein genauerer Blick auf den Rupie-Dollar-Wechselkurs macht jedoch deutlich, dass soft peg eine unzutreffende Bezeichnung für das Wechselkursregime ist. Seit Jahren liegt der Rupie-Dollar-Wechselkurs nahezu stabil bei 175 bis 200 zu 1, weil die Zentralbank Sri Lankas – wie der Wirtschaftswissenschaftler Noah Smith erklärt – regelmäßig Dollar verkaufte, um den Wert der Rupie zu stützen. Letztlich führten diese jahrelangen Interventionen zu dem einzig möglichen Ergebnis: Ab April dieses Jahres verlor die Rupie deutlich an Wert. Innerhalb weniger Monate war der Wechselkurs auf 350 zu 1 gesunken und die Dollarreserven der Zentralbank waren so gut wie aufgebraucht.
Im Mai konnte Sri Lanka seinen internationalen Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nachkommen. Heute wissen wir, dass sich das Land an China wandte, um für die nahezu leeren Staatskassen einen neuen Kredit zu erbitten, statt an den Internationalen Währungsfonds, dessen Rettungsprogramme an strikte politische Reformen geknüpft sind. Aber dadurch erhöhten sich nur die Staatsschulden um weitere 3 Milliarden US-Dollar, was die unvermeidlich kommende Krise nur noch größer machte.
Chinas Strategie gegenüber Sri Lanka ähnelt dem Vorgehen der ersten Kolonialmächte.
Chinas Strategie gegenüber Sri Lanka (und anderen Entwicklungsländern wie Äthiopien) ähnelt dem Vorgehen der ersten Kolonialmächte und der Geldverleiher im ländlichen Raum von Entwicklungsländern. Wie Amit Bhaduri in einer klassischen Studie von 1977 im Cambridge Journal of Economics erklärte, sind die ländlichen Geldverleiher in der Regel nicht besorgt, dass die Schuldner ihre Kredite nicht zurückzahlen können, sondern eher, dass sie die Kredite tilgen können, denn dann entgeht den Geldverleihern der größere Profit: die Sicherheit einzubehalten (gewöhnlich Land).
Hier sei an den Hafen von Hambantota erinnert, das Lieblingsprojekt von Mahinda Rajapaksa, Sri Lankas Präsident von 2005 bis 2015 (und Bruder von Gotabaya Rajapaksa). Der zum Großteil mit chinesischen Geldern finanzierte Hafen wurde 2010 an Mahindas Geburtstag eröffnet. Aber als Sri Lanka später die Kredite nicht zurückzahlen konnte, wurde aus dem „Geschenk“ eine zu beschlagnahmende Sicherheit. Der Hafen ist jetzt für 99 Jahre in chinesischer Pacht.
Wie konnte ein Land, das schon seit langem als gut entwickeltes Schwellenland gilt, so viele Fehler machen? Die kurze Antwort lautet, dass Sri Lankas Politik für die heutige Wirtschaftskrise verantwortlich ist. Nachdem die von den Rajapaksas geführte Regierung 2009 die tamilische Befreiungsbewegung niedergeschlagen und den jahrzehntelangen Bürgerkrieg beendet hatte, nahm sie immer autoritärere Züge an. Sie höhlte die demokratischen Institutionen aus, verfolgte Minderheiten und kehrte Kriegsverbrechen unter den Teppich.
Die von den Rajapaksas geführte Regierung nahm immer autoritärere Züge an.
Auch wenn Autoritarismus in der Regel Volkswirtschaften zerstört, ist es einigen autoritären Regierungen gelungen, für Wirtschaftswachstum und Stabilität zu sorgen. Für eine kurze Zeit schien es so, als gehöre die Rajapaksa-Regierung zu letzterer Kategorie. Aber es wurde schnell klar, dass der Gefälligkeitskapitalismus dieser Regierung das Schicksal Sri Lankas besiegeln würde.
Als die Rajapaksas 2019 in Sri Lanka wieder die Regierung übernahmen, versuchten sie, sich die weitere Unterstützung mit unklugen wirtschaftlichen Geschenken zu sichern. Aber die Geduld der Öffentlichkeit lässt sich nur für eine gewisse Zeit erkaufen. Letztlich fährt man die Wirtschaft mit nicht tragfähigen Maßnahmen an die Wand.
Ohne ihre Selbstüberhebung hätte der letzten Rajapaksa-Regierung möglicherweise eine Kurskorrektur gelingen können. Als sie an die Macht kam und sofort große Steuersenkungen ankündigte, stießen diese auf heftige, aber vernünftige Kritik. Beispielsweise warnte der ehemalige Finanzminister Mangala Samaraweera am 30. Oktober 2019 auf Twitter: „Mit Gotas Steuerplänen fährt Sri Lanka im Eilzug in den Bankrott.“ Aber Rajapaksa setzte noch einen drauf. Als die Regierung von heute auf morgen die Einfuhr chemischer Düngemittel verbot, waren die Folgen dieser Maßnahmen ebenso vorhersehbar.
Es ist unklar, wo das alles endet. Selbst wenn die Rajapaksas nicht wieder durch einen Stellvertreter an die Macht gelangen, gibt es weitere Risiken. Der IWF kann kein Rettungsprogramm anbieten, bevor nicht eine handlungsfähige Regierung im Amt ist, mit der Verhandlungen geführt werden können. Aber sowohl der IWF als auch der Pariser Club von Gläubigerstaaten müssten proaktiv handeln und einige ihrer bürokratischen Regeln aussetzen, um Sri Lanka durch die akute Phase der Krise zu helfen. Passiert das nicht, wird es sehr wahrscheinlich zu einer enormen humanitären Katastrophe kommen.
Aus dem Englischen von Ina Goertz
(c) Project Syndicate