Spätestens seit der Münchner Sicherheitskonferenz ist klar, dass die USA ihre Zukunft im Indo-Pazifik und der geopolitischen Rivalität mit China sehen. Der neue US-Außenminister Marco Rubio lässt im Verhältnis zu China nichts anbrennen. Gleich in seinem ersten Gespräch mit Chefdiplomat Wang Yi übte Rubio deutliche Kritik an Pekings aggressivem Vorgehen im Indo-Pazifik. Wang Yi reagierte prompt und wies Rubio brüsk zurück. Er solle sich benehmen und seine Worte vorsichtig wählen. Doch Rubio ließ sich davon nicht beirren. Wenig später sicherte er den US-Verbündeten in der Region die „eiserne“ Unterstützung der USA zu.
Damit ist der Ton der neuen US-Regierung für die Auseinandersetzung mit China im Indo-Pazifik gesetzt. Peking betrachtet die starke US-Präsenz entlang der ersten pazifischen Inselkette (Kurilen – Japan – Taiwan – Philippinen – Borneo) als Bedrohung für wichtige Handels- und Versorgungswege. Um seine strategische Position zu sichern, strebt China nach mehr Einfluss in der Region. Aus Sicht der USA hingegen stellt genau dieses Streben eine Gefahr für die zweite (Japan – Guam – Karolinen – Westneuguinea) und dritte pazifische Inselkette (Aleuten – Hawaii – Neuseeland) sowie für das amerikanische Festland dar. Im Südchinesischen Meer, über das rund 20 Prozent des Welthandels abgewickelt werden, treffen die Interessen der beiden Supermächte direkt aufeinander.
Die komplexen Konflikte zwischen den Anrainerstaaten um die Kontrolle von Inseln, Archipelen und Riffen im Südchinesischen Meer haben in den vergangenen Jahren zu einer zunehmenden Militarisierung der Region geführt. Die weitreichendsten Gebietsansprüche erhebt China, das aus historischen Quellen und alten Landkarten einen Anspruch auf rund 80 Prozent des Südchinesischen Meeres ableitet (Nine-Dash Line). Dies würde die ausschließliche Wirtschaftszone aller übrigen Anrainerstaaten um bis zu 80 Prozent schrumpfen lassen und zu dem Verlust reicher Fischgründe, wertvoller Rohstoffvorkommen und strategisch wichtiger Positionen führen. Immer wieder kommt es zu Zusammenstößen zwischen Küstenwachen, paramilitärischen Kräften und Fischerbooten. Dabei zeigt sich ein typisches Muster von zumeist chinesischen Vorstößen, die Gegenreaktionen provozieren. Beobachter sprechen von einer „Grauzonen-Taktik“, durch die Peking ohne den Einsatz kriegerischer Mittel die faktische Kontrolle über umstrittene Gebiete durchsetzen will.
Die Philippinen setzen auf eine Internationalisierung des Konflikts auf Basis des UN-Seerechts-Übereinkommens (UNCLOS).
Die Philippinen setzen auf eine Internationalisierung des Konflikts auf Basis des UN-Seerechts-Übereinkommens (UNCLOS). Bereits 2013 initiierten die Philippinen ein Schiedsverfahren vor dem in Den Haag ansässigen Ständigen Schiedshof der Vereinten Nationen. Dieser unterstützte in seinem Schiedsspruch von 2016 die philippinische Position und verwarf auf der Grundlage des internationalen Seerechts Chinas aus der Nine-Dash Line abgeleitete Ansprüche. Die Richter kritisierten zudem, dass China durch die Entsendung von Schiffen, die Verhängung von Fischereimoratorien und die Errichtung künstlicher Inseln die philippinische ausschließliche Wirtschaftszone verletzt habe. Allerdings liegt es außerhalb der Kompetenz des Ständigen Schiedshofs, über Grenzverläufe zu entscheiden.
Der Schiedsspruch ist zwar rechtlich bindend, wird von China aber nicht anerkannt. Neben China lehnen unter anderem Russland, Kambodscha, Laos und Pakistan das Urteil ab. Auf der anderen Seite unterstützen die USA, Japan, Australien und Vietnam die philippinische Position und fordern die Einhaltung des internationalen Rechts. Auch die Bundesregierung bekräftigte nach einem gewaltsamen Zusammenstoß der chinesischen und philippinischen Küstenwache im Juni 2024 ihre Unterstützung für das UNCLOS und den Schiedsspruch.
Derzeit sieht es nicht danach aus, dass der Konflikt bald beigelegt werden könnte. Im November 2024 unterzeichnete der philippinische Präsident Marcos Jr. zwei Gesetze, die die philippinischen Gebietsansprüche mit Verweis auf das UNCLOS untermauern. Peking reagierte darauf erwartungsgemäß empört und verstärkte seine Patrouillenfahrten in dem umstrittenen Seegebiet. Im Dezember 2024 kündigten die Philippinen an, Material für ein weiteres Verfahren gegen China vor einem UN-Gremium zu sammeln. Bereits seit Längerem setzen die Philippinen zudem auf eine „Transparenzinitiative“: Chinas Vorgehen in dem umstrittenen Seegebiet wird öffentlich gemacht, um international Verbündete zur Durchsetzung des Schiedsspruchs von 2016 zu gewinnen.
Der Konflikt ist für alle Anrainerstaaten des Südchinesischen Meeres eine Gratwanderung. Die meisten Länder der Region pflegen enge Beziehungen zu den beiden Großmächten USA und China. Während China oft der größte Handelspartner ist, spielen die USA vor allem als Sicherheitsgarant eine entscheidende Rolle. Für die Philippinen betrug das Handelsvolumen mit China im Jahr 2024 71 Milliarden US-Dollar, mit den USA jedoch nur 21 Milliarden US-Dollar. Dennoch verbindet die Philippinen ein Bündnisvertrag mit der ehemaligen Kolonialmacht USA, der seit 1951 die gegenseitige Unterstützung im Falle eines Angriffs garantiert. 2014 wurde das Bündnis um ein Enhanced Defense Cooperation Agreement (EDCA) ergänzt, das die Stationierung amerikanischer Truppen, gemeinsame Übungen und die Ausbildung an US-Waffensystemen umfasst. Damit sind die Philippinen sowohl auf Peking als auch auf Washington angewiesen. Eine klare Entscheidung für eine Seite würde zu großen Verwerfungen führen.
Für die Zukunft des Südchinesischen Meeres sind drei Szenarien denkbar. Erstens: Das wünschenswerte, aber angesichts der geopolitischen Spannungen und widerstreitenden Interessen in der Region unwahrscheinlichste Szenario ist eine diplomatische Lösung, etwa durch einen zwischen China und der Organisation südostasiatischer Staaten ASEAN verabredeten verbindlichen Verhaltenskodex inklusive Schlichtungsmechanismus. Zweitens: Das Katastrophenszenario einer (unbeabsichtigten) Eskalation ist derzeit ebenfalls unwahrscheinlich, auch wenn die hohe Konzentration von Sicherheitskräften und die regelmäßigen Zusammenstöße ein erhebliches Risiko darstellen. Am wahrscheinlichsten ist, drittens, dass sich der unbefriedigende Status quo einer fragilen und spannungsreichen Stabilität fortsetzt.
Das bedeutet zwar ein Mindestmaß an Stabilität, schwächt zugleich aber auch das internationale Recht, weil die UN-Seerechtskonvention und der Schiedsspruch des Ständigen Schiedshofs nicht umgesetzt werden. Aus philippinischer Sicht wird dadurch Chinas Durchsetzung politischer Ziele mit Drohgebärden und Provokationen legitimiert. Damit geht die in den Philippinen hinter vorgehaltener Hand vernehmbare Befürchtung einher, dass man sich auf das Bündnis mit den USA im Zweifel nicht verlassen kann. Denn der Bündnisvertrag der USA mit den Philippinen lässt bewusst offen, wie sich die beiden Länder im Ernstfall unterstützen würden.
Trump sprach bei seinem Besuch auf den Philippinen von einem „Grundstück in bester Lage“.
Ob Trump die bisherige US-Politik einer strategischen Ambiguität mit Blick auf die Bündnisverpflichtung gegenüber den Philippinen fortsetzen wird, ist offen. Marco Rubios harte Worte in Richtung China dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass es in Trumps Umfeld mit Elon Musk auch einen starken Fürsprecher Pekings gibt und dass Trump womöglich für fragwürdige „Deals“ mit China zulasten Dritter gewonnen werden könnte. Mut macht Manila jedoch Trumps erste Präsidentschaft. Trump besuchte 2017 die Philippinen und sprach von einem „Grundstück in bester Lage“. 2019 stellte die Trump-Regierung zudem klar, dass das Beistandsabkommen auch das Südchinesische Meer und dort stationierte philippinische Truppen umfasse. Hilfreich für eine fortgesetzte Unterstützung der USA dürfte auch sein, dass die Philippinen ein guter Kunde der US-Rüstungsindustrie sind.
Selbst wenn es wenig Aussicht auf eine Lösung der verfahrenen Lage im Südchinesischen Meer gibt, müssen die Bemühungen für eine friedliche Konfliktbeilegung fortgesetzt werden. Europa kann hierzu einen Beitrag leisten, indem es sich für die Einhaltung des internationalen Rechts einsetzt. Das gilt nicht nur für traditionelle Seemächte wie Großbritannien, Frankreich und die Niederlande, sondern auch für Deutschland. In den Indo-Pazifik-Leitlinien von 2020 wird eine friedliche Lösung auf der Grundlage des UNCLOS eingefordert, die „maßgebliche Bedeutung“ des Schiedsspruchs von 2016 wird anerkannt und ein verbindlicher Verhaltenskodex zwischen ASEAN und China wird unterstützt.
Wie ein konkreter Beitrag Deutschlands zur Geltung des internationalen Seerechts aussehen kann, zeigte sich im September 2024, als mit der Fregatte Baden-Württemberg erstmals seit 22 Jahren ein Schiff der Bundesmarine wieder die Taiwan-Straße durchquerte. Kurz zuvor hatte Bundesverteidigungsminister Pistorius als erster deutscher Verteidigungsminister überhaupt die Philippinen besucht. Gemeinsam mit seinem philippinischen Amtskollegen kündigte er ein Sicherheitsabkommen zur Kooperation bei der Ausbildung der Streitkräfte an. Auf den Philippinen hofft man, dass dies um Waffenexporte und Technologietransfers erweitert werde.
Aufgrund des Bruchs der Ampel-Koalition kam das deutsch-philippinische Sicherheitsabkommen nicht mehr zum Abschluss. Für die zukünftige Bundesregierung bietet sich damit gleich zu Beginn ihrer Amtszeit eine hervorragende Gelegenheit, Deutschlands Engagement für eine regelbasierte Ordnung im Indo-Pazifik zu bekräftigen.