Die Welt ist im Umbruch. Wir erleben eine historische Zeitenwende. Die wirtschaftlichen und politischen Strukturen, die nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden sind und den westlichen Industrieländern, insbesondere den USA, eine dominierende Stellung verschafften, verändern sich grundlegend. In den letzten Jahrzehnten hat sich eine global verflochtene internationale Wirtschaft entwickelt, die sich auf fast alle Teile der Welt ausdehnte. Der Abbau nationaler Handelsschranken, Investitionsbarrieren und Kapitalverkehrskontrollen hat es Unternehmen erlaubt, internationale Wertschöpfungsketten aufzubauen, die Produktion in kostengünstige Entwicklungsländer zu verlagern und globale Absatzstrategien zu entwickeln.

Während sich insbesondere in Asien ehemalige Entwicklungsländer erfolgreich in die Weltwirtschaft integrierten, breiten sich in den entwickelten westlichen Industrieländern Abstiegsängste aus.

Während sich insbesondere in Asien ehemalige Entwicklungsländer erfolgreich in die Weltwirtschaft integrierten, breiten sich in den entwickelten westlichen Industrieländern Abstiegsängste aus.  Der amerikanische Präsident Trump möchte, dass die USA aus dem Freihandel und dieser globalen Verflechtung aussteigen. Dagegen kündigte der chinesische Präsident Xi Jinping auf der Internationalen Seidenstraßenkonferenz in Peking im Mai 2017 eine neue „glorreiche“ Phase der Globalisierung an.

China wurde durch die Reform- und Öffnungspolitik unter Deng Xiaoping zum Modell eines erfolgreichen wirtschaftlichen Aufholprozesses. In nur drei Jahrzehnten entwickelte sich China von einem armen, isolierten Entwicklungsland zur zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt. Und während noch vor wenigen Jahren China vor allem Empfänger von ausländischem Kapital war, sind es inzwischen chinesische Unternehmen, die weltweit auf Einkaufstour gehen. Die Liste der chinesischen Übernahmen ist lang und betrifft alle Wirtschaftsbereiche und Unternehmensgrößen.

Chinesische Einkaufstour

Die erste Welle chinesischer Auslandsinvestitionen konzentrierte sich vor allem auf die Rohstoffversorgung und betraf Entwicklungsländer. Inzwischen stehen die entwickelten Märkte der Industrieländer im Blickpunkt chinesischer Investoren. Insbesondere der offene europäische Markt ist zur Zielscheibe chinesischer Anlagen geworden. Angesichts der chinesischen Investitionsoffensive einerseits und den vielfältigen Begrenzungen für ausländische Investoren in China andererseits wird die Forderung nach fairen Wettbewerbsbedingungen immer stärker. Um diese Debatte beurteilen zu können, ist es notwendig, sich mit Chinas Politik- und Wirtschaftssystem auseinanderzusetzen.

Die Volksrepublik ist ein Parteienstaat, der sich als sozialistische Marktwirtschaft mit chinesischen Charakteristiken sieht. Im Dezember 2001 wurde China in die Welthandelsorganisation aufgenommen und hat in der vorgesehenen fünfzehnjährigen Übergangszeit einen marktwirtschaftlichen Liberalisierungsprozess durchlaufen. Dieser Prozess sollte jedoch gleichzeitig die politische Stabilität Chinas nicht gefährden. Für ein Land mit 1,4 Milliarden Menschen in ganz unterschiedlichen Lebensverhältnissen ist er eine gewaltige Herausforderung. Die chinesische Regierung besteht darauf, dass China nun, nach Ablauf dieser Übergangszeit, entsprechend den WTO-Regeln von den europäischen Regierungen und den USA als Marktwirtschaft anerkannt wird.

Sozialistische Marktwirtschaft chinesischer Prägung

Die chinesische Politik nimmt aber weiterhin auf vielfältige Weise Einfluss auf die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung. Ein wichtiges Instrument zur Politikgestaltung sind dabei die Fünf-Jahrespläne. Sie geben der nationalen und regionalen Verwaltung und den Unternehmen Orientierung für das politische und wirtschaftliche Handeln. Trotz dieser detaillierten Pläne ist China keine Planwirtschaft. In der chinesischen Gesellschaft spielt Wettbewerb eine wichtige Rolle. Dies erleben bereits Grundschüler bei den Auswahlverfahren für weiterführende Schulen.

Auch in der Politik findet Wettbewerb statt. Der Aufstieg in nationale Führungsfunktionen ergibt sich durch Erfolge auf lokaler und regionaler Ebene als Parteichef und Verantwortlicher in Provinzverwaltungen. Angesichts der Größe und Vielfalt dieses riesigen Landes gibt es große Unterschiede in der Politik der verschiedenen Provinzen. Durch Sonderwirtschaftszonen und genehmigte Pilotprojekte ist es lokal möglich, neue Ideen umzusetzen, staatliche Unternehmen zu privatisieren, die Gründung privater Unternehmen zu fördern und internationale Investoren in Wirtschaftsbereichen zuzulassen, in denen sonst ausländische Beteiligungen untersagt sind. Durch die Übernahme Hongkongs im Jahre 1997 hat die Volksrepublik ein internationales Finanzzentrum mit langer Tradition und enger Verflechtung mit der internationalen Wirtschaft übernommen.  Es gilt seitdem: ein Land und zwei Systeme.

Das erste Kennzeichen des chinesischen Wirtschaftssystems ist daher also die Vielfalt der rechtlichen und administrativen Regelungen.

Das erste Kennzeichen des chinesischen Wirtschaftssystems ist daher also die Vielfalt der rechtlichen und administrativen Regelungen. Das zweite aber ist ein enges Zusammenspiel zwischen politisch Verantwortlichen und Unternehmen, auf der Grundlage einer nationalen Entwicklungsstrategie.

Diese lässt sich gut an der  Automobilindustrie zeigen. Ausländischen Automobilunternehmen wird ermöglicht, an dem schnell wachsenden Markt teilzunehmen. Dafür müssen sie aber in China investieren und ein Gemeinschaftsunternehmen mit einem chinesischen Partner gründen. Eine ausländische Mehrheitsbeteiligung ist ausgeschlossen. Lokale Produktion wird verlangt; auf diese Weise findet ein Technologietransfer zusammen mit dem Aufbau einer lokalen Zuliefererstruktur statt.

Durch finanzielle Förderung und quantitative Vorgaben, z. B. im Rahmen der Elektromobilität, wird Einfluss auf die technologische Entwicklung genommen. Chinesische Unternehmen werden bei Mehrheitsbeteiligungen (Volvo) und Minderheitsbeteiligungen (Peugeot) an ausländischen Konkurrenten von Regierungsseite unterstützt. Inzwischen ist erkennbar, dass sich diese Strategie auszahlt: Die Qualität, die Attraktivität und der Marktanteil der Autos chinesischer Hersteller hat sich deutlich erhöht.

Im IT-, Internet- und Kommunikationssektor war die chinesische Industriepolitik besonders erfolgreich. Durch Förderung und Markteintrittsbarrieren, welche die Teilnahme ausländischer Wettbewerber auf dem chinesischen Markt beschränken, entstanden Unternehmen, die inzwischen zur internationalen Spitzenliga zählen. Huawei ist mit 170 000 Beschäftigten in mehr als 120 Ländern vertreten und hat Ericsson in Europa als Marktführer für Telekommunikationsinfrastruktur abgelöst. Neben Apple und Samsung gehört das Unternehmen zu den weltweit größten Produzenten von Smartphones. Andere erfolgreiche Beispiele der chinesischen Industriepolitik sind Alibaba, der Google-Konkurrent Baidu oder das Internetunternehmen Tencent. Die Bedeutung des chinesischen Marktes ist so wichtig, dass sich auch große, ausländische Unternehmen wie Apple den chinesischen Regeln unterwerfen.

Wie sollen Politik und Wirtschaft in der EU reagieren?

Es ist nicht zu erwarten, dass China sein erfolgreiches Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell aufgibt. Das Festhalten an einem naiven Markt- und Freihandelsverständnis, welches von China die Privatisierung der Staatsunternehmen und die Aufgabe staatlicher Einflussnahme auf die Wirtschaft verlangt, wird der veränderten internationalen Situation nicht mehr gerecht.

Die deutsche und europäische Politik muss sich daher auf diesen Wettbewerb der politischen Systeme einstellen und auch von den Erfolgen des chinesischen Modells lernen.

Der internationale Wettbewerb existiert nicht nur zwischen Unternehmen. In der globalen Wirtschaft des 21. Jahrhunderts findet dieser auch zwischen politischen und regulatorischen Systemen statt. Dies gilt nicht nur für China. Auch die USA nehmen über das öffentliche Beschaffungswesen, die militärischen Forschungsausgaben und durch sicherheitspolitische Überprüfung ausländischer Investitionen massiv Einfluss auf die Wirtschaft.

Die deutsche und europäische Politik muss sich daher auf diesen Wettbewerb der politischen Systeme einstellen und auch von den Erfolgen des chinesischen Modells lernen. Abschottung und nationaler Protektionismus kann dabei nicht die Antwort sein. Wohl aber der Aufbau nationaler und europäischer Strukturen, die diesem Systemwettbewerb standhalten. Nur durch eine erfolgreiche Zusammenarbeit von Verwaltung, Hochschulen, und Unternehmen kann die langfristige Wettbewerbsfähigkeit gesichert werden.

Abschied von einem naiven Freihandelsverständnis

Eine ganzheitliche Politik ist erforderlich, die Ausbildung, Forschung, öffentliches Beschaffungswesen, Entwicklung des Unternehmertums, Finanzierung von privaten und öffentlichen Investitionen, Industrienormen, Wettbewerbsregeln, Sozial- und Umweltgesetzgebung aufeinander abstimmt. In vielen Bereichen wird es dabei notwendig sein, auf die gemeinsamen europäischen Regeln im Rahmen des Binnenmarktes aufzubauen. Wettbewerbsrechtliche Leitbilder, die noch von national geprägten, ordo-liberalen Vorstellungen der Vergangenheit bestimmt sind, müssen korrigiert werden.

Dabei geht es nicht darum, einen Masterplan aufzustellen, der die gesellschaftliche und technologische Entwicklung prophezeit. Es muss darum gehen, eine europäische Industriepolitik zu entwickeln, um die Planungssicherheit  für private Investoren und staatliche Interventionen zu erhöhen. Der Zugang zum Europäischen Binnenmarkt muss in den internationalen Verhandlungen als Druckmittel benutzt werden, um gleiche Wettbewerbsbedingungen für deutsche und europäische Unternehmen auf ausländischen Märkten zu erreichen.

In Deutschland wurde mit einer Änderung der Außenwirtschaftsverordnung zuletzt im Juni die ausländische Übernahme von Unternehmen von deutschen Sicherheitsinteressen abhängig gemacht.  Auf europäischer Ebene zeichnet sich insbesondere mit dem Ausscheiden Großbritanniens die Bereitschaft ab, die Außenhandelsinstrumente der EU weiter zu schärfen. Es ist zu erwarten, dass die Vorschläge von Kommissionspräsident Juncker vom 13. September zur besseren Abstimmung nationaler Verfahren und zu einem Prüfungsrecht der Kommission von sensiblen ausländischen Investitionen im EU-Gesetzgebungsverfahren angenommen werden. Dies wird auch die Position der EU-Kommission in den laufenden Verhandlungen mit China über ein Investitionsabkommen verbessern.