Der DGB kritisiert derzeit vehement eine gemeinsame Initiative zwischen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) und McDonalds zur Förderung von Jugendbeschäftigung. Worum geht es konkret?

Die Zusammenarbeit, die die ILO vor einigen Monaten mit McDonald’s eingegangen ist, klingt auf den ersten Blick tatsächlich vielversprechend: Der Konzern hat sich bereiterklärt, 2 Millionen Dollar in Aus- und Weiterbildungsprogramme für arbeitssuchende Jugendliche zu investieren, um diese auf einen erfolgreichen Berufseinstieg vorzubereiten. Außerdem sollen bis 2025 43 000 neue Ausbildungsstellen in Europa geschaffen werden. Das Ganze findet im Rahmen der UN-Initiative Decent Jobs for Youth und unter dem Markenlabel „Youth Opportunity“ statt.

Was ist verwerflich daran, wenn sich ein Großkonzern wie McDonalds der Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit widmet?

Was zunächst gut klingt, relativiert sich schnell, wenn man die Haltung des Unternehmens gegenüber gewerkschaftlichen Strukturen betrachtet. Ganz generell zeigt sich der McDonald’s-Konzern seit Jahren wenig kooperativ und verweigert seinen Angestellten, sich gewerkschaftlich zu organisieren. Tarifverhandlungen gegen Dumpinglöhne und schlechte Arbeitsbedingungen sind daher bei McDonald’s nicht möglich. Die 2012 initiierte US-amerikanische Kampagne „Fight For Fifteen“, die einen Stundenlohn von 15 US$ für die Angestellten im Fastfood-Sektor sowie das Recht auf gewerkschaftliche Organisierung fordert, ist bei McDonald’s ebenfalls auf Ablehnung gestoßen. Es ist deshalb sehr zu begrüßen, dass die Kampagne seit etwa einem Jahr wieder zu Streiks aufruft, wie zum Beispiel Anfang Oktober 2018 in Chicago mit über 1000 Teilnehmenden.

Hinzu kommt, dass die Lohnpraktiken von McDonald‘s weit unter dem liegen, was durch die Milliardenprofite des Unternehmens eigentlich möglich wäre. Dies ist umso inakzeptabler angesichts der geschätzten Steuerersparnis von einer Milliarde Euro, die McDonald‘s zwischen 2009 und 2013 durch aggressive Steuervermeidungsstrategien allein in Europa erzielen konnte.  

Kurzum: Hier inszeniert sich ein offen gewerkschaftsfeindlicher Großkonzern als sozialpolitischer Mäzen und die ILO verleiht ihm mit ihrer Zusammenarbeit auch noch das sozialpartnerschaftliche Gütesiegel dafür. Aus Gewerkschaftssicht ist das ein Skandal, den wir nicht hinnehmen können.

Wie reagiert die amerikanische Politik auf die Vorfälle bei McDonald’s? Und wie verhalten sich andere multinationale Konzerne in dieser Frage?

Nicht nur in der Zivilgesellschaft, auch bei den amerikanischen Demokraten regt sich Widerstand gegen derartige Dumpingpraktiken. Politischer Stimmführer ist der demokratische Senator Bernie Sanders, der sich im Kongress derzeit für eine Erhöhung des nationalen Mindestlohns von aktuell 7,25 US$ auf 15 US$ einsetzt. Auch Amazon sah sich im vergangenen Herbst aufgrund seiner Niedriglohnpolitik großem Druck ausgesetzt, reagierte aber ganz anders als McDonald’s: Der Konzern führte zum 1. November 2018 einen unternehmensinternen Mindestlohn von 15 US$ für alle 350 000 Beschäftigten in den USA ein. Sanders hat nichts unversucht gelassen, um eine ähnliche Entwicklung auch bei McDonald’s zu erreichen – bis heute ohne Erfolg. Zwar haben zum 1.1.2019 viele Bundesstaaten ihre Mindestlöhne nach oben geschraubt; dennoch sind Großkonzerne wie McDonald’s weiterhin in der Pflicht, für faire Löhne zu sorgen, solange es im Kongress keine Mehrheit für eine US-weite Regelung bei 15 US$ oder mehr gibt. 

Der DGB kritisiert die Zunahme privater Finanzierung von UN-Vorhaben, wie sie derzeit im Rahmen der jüngsten UN-Reformen diskutiert werden. In Zeiten knapper Kassen und schlechter Zahlungsmoral diverser Regierungen könnte eine solche private Co-Finanzierung doch einen Ausweg liefern?

Nein, das ist ein schwerer Trugschluss und birgt Gefahren für die Unabhängigkeit der ILO: Private Geldgeber verfolgen nämlich vor allem wirtschaftliche Interessen, die Einfluss auf die Auswahl und Ausrichtung der Projekte und letztlich auf die Gewichtung von Gewerkschaften innerhalb des UN-Systems haben werden. McDonald‘s ist hier keine Ausnahme. Es geht den Firmen um ihr Image und nicht darum, systematische Verbesserungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer herbeizuführen. Die UN-Sonderorganisation ILO hat für sie keinen ideellen Wert, sondern ist Mittel zum Zweck.

Teil der Finanzierungsreform soll ebenfalls sein, weniger projektgebundene Gelder zu akquirieren, um flexibler und effizienter beim Einsatz der vorhandenen Mittel zu werden. Dies ist zwar grundsätzlich begrüßenswert, aber wenn die verschiedenen UN-Agenturen gemeinsame Budgets bedienen, muss die ILO darauf achten, dass ihre oftmals langfristig angelegten Projekte gegenüber Maßnahmen anderer Organisationen mit kürzerem und sichtbarerem Ergebnishorizont nicht das Nachsehen haben. Projekte zur Ausbildung von Arbeitnehmervertretern oder Dialogformate zur schrittweisen Einführung einer Sozialpartnerschaft bedürfen oft vieler Jahre, um erste Früchte zu tragen; neue Brunnen, renovierte Schulhäuser und die Erschließung von Agrarflächen lassen sich hingegen vergleichsweise schnell bewerkstelligen. Wenn die UN-Entwicklungspolitik nachhaltig sein will, muss sie sowohl physische als auch soziale Infrastruktur fördern. Das kann nur gelingen, wenn die Finanzierung unabhängig von wirtschaftlichen Privatinteressen bleibt und gewerkschaftliche Projekte nicht benachteiligt werden. 

Welche Forderungen erheben die deutschen Gewerkschaften konkret in dieser Situation an die ILO?

Die ILO sollte insbesondere bei der Stärkung des Mitspracherechts nationaler Regierungen bei der Prioritätensetzung für die im Land getätigte UN-Entwicklungszusammenarbeit vorsichtig sein. Zwar würde sich die UN-Arbeit dadurch stärker an den tatsächlichen landesspezifischen Prioritäten und Problematiken orientieren. Es besteht aber auch die Gefahr, dass Gewerkschaften an Zugang und Einfluss verlieren und gewerkschaftsfeindliche Regierungen die ILO bewusst aus ihren Ländern fernhalten.

Mit den USA, Italien und zuletzt Brasilien sind in den vergangenen zwei Jahren drei weitere wichtige Geberländer unter den Einfluss rechtspopulistischer und nationalistischer Regierungen gekommen. Dementsprechend steht sowohl für die ILO als auch für das gesamte multilaterale System viel auf dem Spiel.

Die ILO feiert in diesem Jahr ihr 100-jähriges Jubiläum. Welche Rolle kommt der ILO im Zeitalter der Globalisierung und der Digitalisierung noch zu? Brauchen wir sie überhaupt noch?

Ja, wir brauchen die ILO nach wie vor, denn nur sie kann die Stimme der arbeitenden Bevölkerung international hörbar machen. Ihre historischen Errungenschaften als politische und normensetzende Organisation stehen ohnehin außer Frage. Man muss sich eines vor Augen führen: In keiner anderen internationalen Organisation sitzen neben den nationalen Regierungen auch Arbeitgeberorganisationen und Gewerkschaften mit am Tisch – und zwar nicht nur als Expertinnen und Experten, sondern als Akteure des Entscheidungsprozesses. Dies ist eine Chance, aber auch eine große Verpflichtung. Will die ILO auch weiterhin politischen Einfluss haben, muss sie ihre grundlegenden Prinzipien und nicht zuletzt ihre Glaubwürdigkeit verteidigen. Deshalb sagen wir: ILO ja, jetzt aber richtig!

Die Fragen stellte Claudia Detsch.