Costa Rica gilt gemeinhin als Hort der Stabilität in Lateinamerika. Seit Jahrzehnten herrschen solide demokratische Verhältnisse. In internationalen Rankings, sei es zur Korruption, zur Pressefreiheit oder zur Lebensqualität, findet sich das Land meist weit vor den Nachbarn wieder. Wenn nun also sogar in Costa Rica ein evangelikaler Hardliner als politischer Außenseiter die erste Runde der Präsidentschaftswahlen gewinnt, dann ist das ein schlechtes Zeichen. Dass er voraussichtlich auch die zweite Runde für sich wird entscheiden können, ist noch schlechter.

Die Wahlen in Costa Rica Anfang Februar bildeten der Auftakt zu einem Superwahljahr in Lateinamerika. Außer in Costa Rica finden in Mexiko, Kolumbien, Brasilien, Venezuela, Paraguay und El Salvador Präsidentschafts-, Parlaments- und/oder Kommunalwahlen statt. Und auf Kuba wird durch den Staatsrat ein Nachfolger für Präsident Raúl Castro gewählt.

Die Ergebnisse der ersten Wahlrunde in Costa Rica bieten einen Vorgeschmack darauf, was bei den anstehenden Wahlen in der Region zu erwarten ist. Gemeinsame Trends zeichnen sich ab. Zwar ist die Demokratie in Lateinamerika weitgehend gefestigt, insbesondere im Vergleich zu anderen Regionen. Doch bei genauerem Hinsehen zeigen sich auch hier Zerfallserscheinungen. Die Wahlverdrossenheit ist hoch. Ein Beispiel hierfür lieferten die Gemeinde- und Parlamentswahlen in El Salvador – trotz Wahlpflicht blieben 58 Prozent der Wählerinnen und Wähler zu Hause.

Die Ablehnung der etablierten Parteien, nicht zuletzt aufgrund der massiven Korruptionsvorwürfe, stellt einen Trend in Lateinamerika dar. In den letzten Jahren wurden quer durch den Kontinent zahlreiche Korruptionsskandale enthüllt. Die öffentliche Empörung darüber gilt zwar als Beleg, dass Korruption nicht länger als Kavaliersdelikt hingenommen wird. Aber die Skandale untergraben das Vertrauen in die demokratischen Institutionen. Entsprechend treten viele Kandidaten als Gegenentwurf zum politischen Mainstream auf. Die Polarisierung ist hoch und die Debatten werden zunehmend von schrillen Tönen geprägt. Traditionellen Parteien fällt es schwer, eine glaubhafte Reformagenda zu formulieren. Zudem lässt der Generationenwechsel auf sich warten. Dies gilt auch für das progressive Lager, das in den letzten Jahren empfindliche Wahlniederlagen hinnehmen musste beziehungsweise durch rechte Mehrheiten in den Parlamenten abgesetzt wurde, wie im Falle Brasiliens.

Doch auch die etablierten rechten Parteien sind von Skandalen und internen Auseinandersetzungen betroffen. Die öffentlichen Kassen sind nach der Wirtschaftskrise der letzten Jahre weniger gut gefüllt als zu Zeiten der linken Dekade. Und in den Kongressen verfügen die Rechten meist nicht über eigene Mehrheiten, was die Umsetzung ihrer Regierungsprogramme erschwert. Das progressive Lager kann bislang allerdings nicht davon profitieren. Zudem ist das politische Feld links der Mitte häufig intern gespalten und findet nicht zur Zusammenarbeit.

Venezuela und Kuba

In Venezuela dürfte Nicolás Maduro erneut zum Präsidenten gewählt werden, in Wahlen, die die Anforderungen an freie, geheime und gleiche Wahlen nicht erfüllen. Das Oppositionsbündnis MUD (Mesa de Unidad Democrática) ist zerstritten und agiert hilflos. Selbst darüber, ob man sich an den Wahlen beteiligen sollte, sind sich die verschiedenen oppositionellen Gruppen und Parteien nicht einig. Teile der MUD verhandeln mit der Regierung über den Wahltermin beziehungsweise darüber, ob auch die Parlamentswahlen bereits in diesem Jahr abgehalten werden sollten. Der Wahltermin wurde bereits mehrfach geändert.

Auf Kuba wird durch den Staatsrat ein Nachfolger für Präsident Raúl Castro gewählt. Castro aber wird weiterhin großen Einfluss auf Militär und Partei haben, daher dürfte sich zunächst nicht viel ändern. Zumal die US-Regierung unter Präsident Trump ihren Destruktionskurs weiterfährt, um damit heimische Wähler zu befrieden. So scheinen in Venezuela und auf Kuba trotz wirtschaftlicher Schwierigkeiten die Wahlaussichten für die Regierenden am stabilsten, dank der Aushebelung beziehungsweise Nichtexistenz der Gewaltenteilung.  

20.5. Präsidentschaftswahlen in Venezuela, 19.4. Wahl des Staatsrats in Kuba

Kolumbien

Der Friedensprozess in Kolumbien war eine der guten Nachrichten aus Lateinamerika in den letzten Jahren (die zweite war die Annäherung zwischen Kuba und den USA; sie liegt unter der Trump-Administration allerdings auf Eis). Über die Bedingungen und die Folgen des Friedensprozesses wird auch im Präsidentschafts- und Parlamentswahlkampf intensiv debattiert. Die Gesellschaft ist stark polarisiert, die innenpolitische Lage angespannt. Die massive Einwanderung aus dem krisengeplagten Nachbarland Venezuela destabilisiert das Land zusätzlich. Die Parlamentswahlen am vergangenen Sonntag allerdings verliefen friedlich – das hat es in Kolumbien lange nicht gegeben. Stärkste Kraft wurde die Partei des rechten Ex-Präsidenten Álvaro Uribe. Uribe ist ein erbitterter Gegner des Friedensvertrages. Die drei Parteien aber, die lange Zeit als „Unidad Nacional“  Präsident Juan Manuel Santos unterstützten, erzielten insgesamt deutlich mehr Sitze. Auch mehrere kleine Parteien des linken Spektrums konnten ihre Stimmenanteile erhöhen. Die Partei der ehemaligen Guerilla Farc, die unter anderem Namen, aber gleichem Kürzel zu den Wahlen antrat, erlitt dagegen eine desaströse Niederlage.

Den aktuellen Umfragen zufolge haben verschiedene Kandidaten Chancen auf den Einzug in die Stichwahl zum Präsidentenamt. Darunter sind auch bekannte linke Politiker, was in einem der konservativsten Länder der Region keineswegs üblich ist. Angeführt werden die Umfragen derzeit von Gustavo Petro, dem linken ehemaligen Bürgermeister Bogotás. Er präsentiert sich als Alternative zum politischen Establishment. Anders als die Rechte konnte sich das Lager links der Mitte allerdings nicht auf eine umfassende Wahlallianz einigen; der Einzug eines linken Vertreters in die entscheidende Stichwahl wird damit unwahrscheinlicher.

11.3 Parlamentswahlen, 27.5 und 17.6. Präsidentschaftswahlen (erster und zweiter Wahlgang)

Mexiko

Auch Mexiko ist im Wahljahr 2018 ein Land in einer tiefen Krise. Die Mordraten haben im letzten Jahr apokalyptische Ausmaße angenommen. Die Korruption ist endemisch und daher ein zentrales Thema auch im laufenden Wahlkampf. Der aussichtsreiche Kandidat auf das Präsidentenamt, der Linkspopulist Andrés Manuel López Obrador (AMLO) spaltet die Wählerschaft wie kein anderer Kandidat. Aufsehen erregte er mit seinem umstrittenen Vorschlag, durch eine Amnestie der Drogenbanden dem blutigen Treiben im Land ein Ende zu setzen. Die linke PRD hat zusammen mit der konservativen PAN und dem Movimiento Ciudadano eine Wahlallianz gebildet, um sowohl eine erneute Regierung der Partei der Institutionalisierten Revolution PRI zu unterbinden als auch AMLO zu verhindern. Dieses ideologisch sehr disperse Bündnis aber belastet insbesondere die PRD.

Erstmals dürfen in Mexiko auch unabhängige, nicht parteigebundene Kandidaten und Kandidatinnen zur Wahl antreten. Die PRI stellte Ex-Finanzminister José Antonio Meade als Kandidaten auf. Er ist parteilos – und passt damit in den regionalen Trend. In Zeiten, in denen das Ansehen der PRI auf einem Tiefpunkt ist, soll er Solidität und Integrität verkörpern. In Mexiko gibt es keine Stichwahl. Derzeit sieht es so aus, als würde AMLO das Rennen machen (es ist nicht ohne Ironie, dass die US-Regierung vor einer Einmischung Russlands in den mexikanischen Wahlkampf zu Gunsten des US-kritischen AMLO warnt). Allerdings dürfte er keine Mehrheiten in den beiden Kammern haben, was die Reichweite seiner Reformagenda beschneiden wird. Ohnehin nimmt sich keine der maßgeblichen Parteien und Bündnisse einer Reformagenda an, die tatsächlich den mexikanischen Rechtsstaat stärken würde. International wurde die Nominierung der ersten Vertreterin des indigenen Lagers als Präsidentschaftskandidatin stark beachtet. Sie konnte allerdings nicht die nötigen Stimmen für die Registrierung ihrer Kandidatur sammeln. 

1.7. Präsidentschafts- und Parlamentswahlen

Brasilien

Auch Brasilien wurde in den letzten Jahren von massiven Korruptionsskandalen erschüttert. Das rechte Lager versucht, die Korruption als Vermächtnis der Arbeiterpartei PT darzustellen – ein geradezu schamloser Versuch angesichts der eigenen Verwicklungen in ein politisches System, das durch Patronage und den Kauf von Stimmen im Parlament charakterisiert ist. Der ehemalige PT-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva führt derzeit die Umfragen für die Präsidentschaftswahlen mit etwa 35 Prozent an. Lula ist eine Symbolfigur des progressiven Lagers, weit über Brasiliens Grenzen hinaus. Andererseits steht der 72jährige nicht gerade für einen Generationenwechsel. Dass er tatsächlich zur Wahl antreten kann, ist unwahrscheinlich. Stattdessen dürfte seine Verhaftung bevorstehen. Ein Berufungsgericht hat jüngst eine umstrittene Verurteilung Lulas wegen Bestechlichkeit und Geldwäsche bestätigt. Die PT betont, es gebe keinen Plan B zu Lula. Da sich die Presse sofort auf jeden möglichen Ausweichkandidaten stürzt, ist diese Strategie verständlich. Zu groß ist die Gefahr, jede Alternative schon vor Beginn des Wahlkampfs zu verbrennen. Bisher kommen andere Mitglieder der PT in den Umfragen nur auf wesentlich geringere Werte als Lula. An zweiter Stelle der Umfragen liegt bislang der rechtspopulistische Ex-Militär Jair Bolsonaro, ein Vertreter der mächtigen Bíblia, Boi e Bala-Fraktion, zu Deutsch Bibel, Rind (Agrarindustrie) und Kugel (Waffenlobby). Er wird unterstützt vom evangelikalen Lager im Parlament. Bolsonaro ist homophob, frauenfeindlich, rassistisch und sexistisch. Gemessen an Bolsonaros Äußerungen drückt sich Donald Trump wie ein braver Chorknabe aus. Immerhin dürfte sein extremes Auftreten dafür sorgen, dass er in einer Stichwahl chancenlos bleibt. Die übrigen Kandidaten sind bisher abgeschlagen; allerdings haben sich die großen Parteien PSDB und PMDB, die maßgeblich an der umstrittenen Amtsenthebung von Dilma Rousseff beteiligt waren, noch nicht auf einen jeweiligen Kandidaten festgelegt. Zwischen Mitte Juli und Mitte August bestimmen Partei-Konvente über die Kandidatenfrage.

7.10./28.10. Präsidentschafts- und Gouverneurswahlen (erster und zweiter Wahlgang), 7.10 Kongresswahlen

Paraguay

In Paraguay hat sich eine ungewöhnliche Wahlallianz gebildet, die allerdings vor acht Jahren schon einmal erfolgreich war. Damals ging der Bischof und heutige Senator Fernando Lugo siegreich aus den Präsidentschaftswahlen hervor, gestützt auf eine Allianz zwischen der linken Frente Guasu und der Liberalen Partei, PLRA. Zwar war die PLRA 2012 am kalten Putsch gegen Präsident Lugo beteiligt und die Beziehungen wurden dadurch belastet. Zudem ist die PLRA selbst in das klientilistische System Paraguays verstrickt. Aber nur die neuerliche Allianz verspricht wenigstens die Möglichkeit, die konservative Regierungspartei Colorados um den Machterhalt zu bringen. Die Chancen auf einen Regierungswechsel scheinen allerdings gering. Auch die Frente Guasu hat zuletzt an Glaubwürdigkeit als progressive Alternative eingebüßt. Zusammen mit der Regierungspartei strebte sie eine Verfassungsänderung an, um die Wiederwahl des Präsidenten zu ermöglichen. Erst nach massiven und blutigen Protesten wurde das Vorhaben aufgegeben.

22.4. Präsidentschafts- und Kongresswahlen