Zum ersten Mal überhaupt reiste eine offizielle Delegation der Huthi-Rebellen Anfang September aus dem Jemen in die saudische Hauptstadt Riad. Die Tatsache, dass der Besuch unmittelbar vor dem Jahrestag der Einnahme der jemenitischen Hauptstadt Sanaa am 21. September 2014 und der folgenden militärischen Eskalation zwischen den Rebellen und Saudi Arabien stattfand, stellt einen weiteren diplomatischen Erfolg der faktisch Herrschenden im Nordjemen dar. Und das, obwohl bisher die Einstellung grenzüberschreitender Angriffe auf Nachbarstaaten wie Saudi-Arabien oder die Vereinigten Arabischen Emirate mit Raketen oder Drohnen die einzige signifikante Konzession der Huthis war. Einige Beobachterinnen und Beobachter vermuten zynisch, dass die eigentliche Motivation Riads nicht sei, einen inklusiven und anhaltenden Frieden im kriegsgebeutelten Nachbarland zu schaffen, sondern „die neu eingekauften europäischen Fußballstars nicht durch Explosionslärm zu verschrecken“.

Doch auch die Huthis haben aktuell ein großes Interesse daran, sich insbesondere auf dem regionalen Parkett als verhandlungsbereit zu zeigen und das für sie positive Momentum der iranisch-saudischen Entspannung auszunutzen. Mit Unterstützung Teherans haben sie in den vergangenen Jahren ein glaubwürdiges militärisches Abschreckungspotenzial entwickelt und weder ihren innerjemenitischen Gegnern noch deren regionalen und internationalen Unterstützern ist es seit Kriegsbeginn gelungen, die Konsolidierung ihrer Herrschaft über weite Teile des Landes und einen Großteil der Bevölkerung zu verhindern oder gar umzukehren. Mit dem Ende der saudischen Luftschläge im vergangenen Jahr und der Aufhebung der – für den wirtschaftlichen Wohlstand im Nordjemen entscheidenden – Luft- und Seeblockaden fehlt den Rebellen aber nun der wichtigste Motor der Mobilisierung und Sicherung des gesellschaftlichen Rückhalts innerhalb des eigenen Herrschaftsgebiets: der äußere Feind.

So werden im Herrschaftsgebiet der Huthis in letzter Zeit immer wieder Stimmen laut, die insbesondere den Umstand kritisieren, dass zwar die Einnahmen durch Steuern, erhöhte Zölle auf Importe aus von der Regierung kontrollierten Gebieten und durch die seit dem Ende der Seeblockade enorm zugenommene Aktivität des Hafens von Hodeidah allein zwischen April und November 2022 um fast eine halbe Milliarde US-Dollar gestiegen sind, Angestellte im öffentlichen Sektor aber weiterhin auf seit Jahren fällige Gehälter und Pensionen warten. Kritik kam auch aus den Reihen des in Teilen mit den Huthis verbündeten Allgemeinen Volkskongress (GPC), der ehemaligen Einheits- und Regierungspartei, die – bis zu dessen überraschender Absetzung durch den Nationalen Sicherheitsrat am 27. September – mit Abdel-Aziz bin Habtour auch den Premierminister der Huthi-Regierung stellte. Die Teilnahme an Verhandlungen, an deren Ende auch eine finanzielle Friedensdividende locken könnte, kann den Rebellen hier innenpolitisch Zeit verschaffen, auch wenn weiterhin unklar ist, wie sich eine Zahlung durch einen Nachbarstaat oder die international anerkannte Regierung mit dem eigenen Anspruch, die einzige legitime Regierung des Jemen zu sein, vereinbaren lassen kann.

In den vergangenen Monaten sind daher stärkere Versuche der repressiven Herrschaftskonsolidierung nach innen durch die Huthi-Führung zu beobachten, insbesondere im Bildungsbereich, aber auch durch signifikante Einschränkungen zivilgesellschaftlicher Organisationen und der Bewegungsfreiheit von Frauen. Gerade Letzteres bringt die Rebellen aber auf Konfrontationskurs insbesondere mit westlichen Geberstaaten, deren humanitäre Unterstützung die Lebensgrundlage von landesweit mehr als 20 Millionen Menschen darstellt. Diese Spannungen werden noch weiter dadurch angefacht, dass die Möglichkeiten von Hilfsorganisationen, den Missbrauch von Hilfsleistungen durch die Machthaber durch unabhängige Bedarfsanalysen zu verhindern, systematisch und teils gewaltsam eingeschränkt werden.

Eine Verbesserung der Beziehungen zu regionalen Staaten, die gegebenenfalls reduzierte oder gar ausbleibende Hilfsleistungen aus dem Westen ausgleichen könnten, kann hier auch auf Seiten der Machthaber in Sanaa Abhängigkeiten reduzieren. So ist auch zu erklären, dass am Jahrestag der Einnahme Sanaas die Huthi-Führung sowohl öffentlich verlauten ließ, dass man alle Bedenken Saudi Arabiens, die einem Abkommen im Wege stehen könnten, ausräumen möchte, als auch, dass man die eigene Kampfbereitschaft verdoppeln werde, sollte ein „ehrenhafter Frieden“ nicht erreicht werden können. Wie fragil die Normalisierungsbemühungen zwischen den ehemaligen Kontrahenten ist, wurde deutlich, als am 25. September bei einem Drohnenangriff auf eine Patrouille der saudi-geführten Militärkoalition im saudischen Grenzgebiet zum Jemen drei bahrainische Soldaten ums Leben kamen.

Die Deeskalation der internationalen Konfliktdimension ist bisher nicht mit signifikanten Fortschritten in einem möglichen innerjemenitischen Friedensprozess einhergegangen – unlängst wurden in Gebieten unter Huthi-Kontrolle Berichten zufolge hunderte Menschen festgesetzt, die den Jahrestag der Errichtung der Arabischen Republik Jemen 1962 gefeiert hatten. Zwar haben militärische Auseinandersetzungen zwischen den Huthi-Rebellen und den bewaffneten Kräften der international anerkannten Regierung und ihrer im Präsidialen Führungsrat (PLC) versammelten offiziellen Verbündeten deutlich abgenommen, doch kommt es immer wieder, wie im Juli 2023 im südwestlichen Gouvernement Ad Dali, zu Angriffen auf Regierungstruppen, bei denen auch Drohnen, Kampfpanzer und Artillerie eingesetzt werden. Wesentlich härter treffen die international anerkannte Regierung und insbesondere die Menschen in von ihr kontrollierten Gebieten eine neue Art der wirtschaftlichen Kriegsführung.

Seit Oktober 2022 griffen die Huthis mit Drohnen wichtige Ölförder- und Exportstätten in südlichen Landesteilen an.

Seit Oktober 2022 griffen die Huthis mit Drohnen wichtige Ölförder- und Exportstätten in südlichen Landesteilen an – nach eigenen Angaben gingen der international anerkannten Regierung dadurch mehr als eine Milliarde US-Dollar an Einnahmen verloren. Außerdem verboten die Huthis die Einfuhr von Gas aus Regierungsgebiet oder erschwerten den innerjemenitischen Handel mit Gütern, die über den Hafen von Aden importiert werden. Zwar kam Anfang August Saudi Arabien der enorm unter Druck geratenen Regierung im Süden mit Wirtschaftshilfen in Höhe von 1,2 MilliardenUS-Dollar zu Hilfe, die wirtschaftliche Lage bleibt aber weiterhin dramatisch schlecht, die Landeswährung YER büßte allein in den letzten zwölf Monaten ein Viertel ihres Wertes gegenüber dem US-Dollar ein. Immer wieder mussten in den vergangenen Monaten Tankstellen schließen und die Menschen in der südlichen Hafenstadt Aden bei brütender Hitze Stromausfälle von bis zu 17 Stunden ertragen. Die Frustration in der Bevölkerung ist groß, wiederholt kam es zu Straßensperren und Verletzten und sogar Toten bei Protestaktionen. Trotz steigender Bemühungen seitens europäischer Partner, der Regierung durch eine häufige und stärkere Präsenz in Aden den Rücken zu stärken, bleiben die eklatante Schwäche staatlicher Institutionen und die fehlende Einheit unter den wichtigsten Akteuren im Süden die größte Achillesferse der Regierung.

Diese innerjemenitischen Dynamiken machen die aktuelle Verhandlungsstrategie Saudi-Arabiens, aber auch deren Unterstützung durch die meisten internationalen Akteure, umso problematischer. In einer Stellungnahme der US-Regierung zu den Gesprächen in Riad fand weder die international anerkannte Regierung Erwähnung noch die Tatsache, dass weder diese noch die Vereinten Nationen, andere Konfliktparteien oder zivilgesellschaftliche Akteure an diesen „Bemühungen um Frieden“ beteiligt sind. Außen vor gelassen fühlen dürften sich auch die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), als zweite wichtige Regionalmacht, deren Verbündete die eigenen Felle davonschwimmen sehen könnten, wie etwa der Südübergangsrat (STC), der das Ziel einer südlichen Eigenstaatlichkeit verfolgt. Das einst enge Verhältnis zwischen dem saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman und dem Präsidenten der VAE, Mohammed bin Zayed, wird mittlerweile von vielen Beobachterinnen und Beobachtern als zerrüttet angesehen, gleichzeitig trennen die einstigen Verbündeten mittlerweile handfeste geopolitische Interessenskonflikte im Jemen und die das Land umgebenden strategisch bedeutsamen Meerengen.

Und so dürfte es kaum überraschen, dass der Präsident des Südübergangsrats, Aidarus Al Zubaidi, sich am Rande der UN-Generalversammlung öffentlich mit scharfer Kritik am Vorgehen Riads zu Wort meldete. Ein „schlechter Deal“, der letztlich einer vollständigen Machtübernahme der Huthis den Weg bereiten könnte, würde seiner Sicht nach vor allem dazu führen, dass der Iran nicht nur die Kontrolle über jemenitische Ölressourcen gewinnt, sondern auch über die strategisch bedeutenden Handelswege. Gedankenspiele über eine einseitige Beteiligung der Huthis an den Staatseinnahmen, die im Süden erwirtschaftet werden, lehnte er – auch mit Verweis auf die aktuelle Notsituation im Süden – ebenso ab wie Konzessionen zu Gehältern, Seehäfen oder zum Abzug ausländischer Kräfte in Reaktion auf Erpressungstaktiken der Huthis. Zuerst müsse ein tatsächlicher Waffenstillstand erreicht werden.

Die Gespräche in Saudi-Arabien können Hoffnung auf eine friedliche Zukunft des Jemen machen, weil sie gerade im Bereich der wirtschaftlichen Kooperation realpolitische Interessen der Huthis und damit echte Hebel für längerfristige Verhandlungen offenlegen. Solange die Zielsetzung Saudi Arabiens jedoch auf ein gesichtswahrendes Ende der eigenen Kriegsbeteiligung und die Absicherung des eigenen Territoriums begrenzt zu bleiben scheint, steigt sowohl das Risiko, dass bisherige Verbündete Riads zu Spoilern werden könnten, als auch die Gefahr neuer militärischer Expansionsbestrebungen der Rebellen mit dramatischen Folgen für eine ohnehin schon leidende Zivilbevölkerung. Angesichts dieser Szenarien sollten internationale Akteure wie die Bundesregierung die Bemühungen um einen innerjemenitischen Ausgleich sowie auf entwicklungs- und wirtschaftspolitischen Feldern intensivieren und politische Institutionen dazu befähigen, das Vertrauen einer zunehmend desillusionierten Bevölkerung zurückzugewinnen.