Ja, Brett Kavanaugh hat es in den Supreme Court geschafft. Verflucht den Tag, an dem es geschah. Rauft euch die Haare. Aber dann tretet einen Schritt zurück, seht euch die gesamte Schlacht an und macht euch klar, dass Kavanaugh nur ein Baustein in einem größeren Plan der Konservativen ist. Sie wollen die politische Struktur in den USA grundlegend verändern, damit die Macht der weißen Männer auch dann noch bewahrt und beschützt wird, wenn sich die demographischen Verhältnisse in Amerika verändert und die Sitten und Gebräuche von dieser Macht entfernt haben. Für sie ist das nicht nur eine Frage politischer Passion und Prinzipien. Es ist schlicht und einfach eine Frage der Macht. Es geht darum, ob Menschen, die diese Macht lange innehatten, weiter an ihr festhalten können. Trump ist für diese Leute nur ein nützlicher Idiot, eine vorübergehende Skurrilität. Sie denken nicht in Wahlperioden, sondern in Generationen, und sie denken an die nächste Epoche.

Viele Linksliberale sind so abgehoben, dass sie den Bodenkrieg glatt übersehen. Natürlich ist es wichtig, nächsten Monat den Amerikanern, ja der Welt, zu beweisen, dass Trump und die Republikaner, die ihn fördern und schützen, im Widerspruch zu den amerikanischen Werten und zur amerikanischen Mehrheit stehen. So ließe sich das aufgestaute Bedürfnis der amerikanischen Mehrheit, gehört zu werden, stillen und erfüllen und zumindest teilweise Ordnung in das Chaos bringen. Aber Katharsis ist eine emotionale Reaktion, eine emotionale Therapie. Linksliberale dürfen es aber nicht bei Emotionen belassen, bei der rückständigen Begeisterung der Wählerschaft und ihrem Bedürfnis, sich in Kandidaten zu verlieben, um sie dann zu wählen. Sie müssen weit über die kommende Wahl hinaus blicken bis zu der Machtprobe, die uns bevorsteht.

Der ständige Ruf nach Richtern, die der „ursprünglichen Absicht“ der Verfassung gerecht werden, geht beispielsweise über Einzelfragen wie das Waffenrecht weit hinaus. Leonard Leo, Vizepräsident der erzkonservativen Federalist Society, von der Umfrageplattform Real Clear Politics als „konstitutionell originalistisch“ tituliert, erklärte im Juli gegenüber Fox News: „Jede Bestätigung eines Supreme-Court-Richters verändert etwas. In diesem Gericht herrschte häufig ein Patt. Am Ende zählt, dass sich das Gericht in eine originalistische und textualistische Richtung bewegt. Also hin zu der Vorstellung, dass Recht etwas bedeutet, dass es eine genau festgelegte Bedeutung hat. Das ist die Entwicklung, die der Präsident meiner Ansicht nach fortführen will.“

Die Gründerväter, eine Handvoll reicher mächtiger Weißer, wollten keine echte Demokratie in diesem Land, hatten sogar furchtbare Angst davor.

 

Wenn ich an Originalismus denke, also die Auslegung des Wortlauts der Verfassung nach seiner Bedeutung in ihrer Entstehungszeit, dann fällt mir ein: Viele Gründerväter besaßen Sklaven; in der Verfassung hielten sie fest, dass Schwarze keine vollwertigen Menschen sind; sie wollten Frauen und arme weiße Männer nicht wählen lassen. Die Gründerväter, eine Handvoll reicher mächtiger Weißer, wollten keine echte Demokratie in diesem Land, hatten sogar furchtbare Angst davor. Nun will eine Handvoll reicher mächtiger weißer Männer uns in diese Denkmuster zurückführen, verpackt in den populistischen Aufruf, „die Verfassung zu befolgen“, und maskiert als ultimative Form des Patriotismus. Wir müssen lernen, alles um uns herum, alles, was auf der politischen Bühne geschieht, durch diese Linse zu betrachten. Darum geht es bei den extremen Maßnahmen gegen die illegale Einwanderung und den Bestrebungen, auch die legale Migration massiv zu begrenzen.

Darum geht es, wenn die Green-Card-Lotterie verteufelt wird. Das Pew Research Center wies im August darauf hin, dass „im Fiskaljahr 2017, das am 30. September endete, die meisten Visa an Bürger afrikanischer Länder“ gingen, wohingegen Bewerber aus europäischen und asiatischen Ländern weniger Visa erhielten als zuvor. Die Dämonisierung der Green-Card-Lotterie dient nur dazu, die weiße Mehrheit in den USA so lange wie nur möglich vor allen statistischen Eventualitäten zu schützen.

 

Der massivste und gierigste Vorstoß ist der Ruf nach einer konstitutionellen Versammlung.

Genau dieses Ziel steht auch hinter dem organisierten Wahlrechtsentzug und den Kampagnen der konservativen Citizens United. Genau deshalb jubeln Konservative, wenn junge Linksliberale in die dicht besiedelten Großstädte ziehen. Denn dort, wo sie hinziehen, nimmt zwar das Gewicht der Einzelstimme für die Konservativen ab, doch dort, wo sie wegziehen, nimmt es zu. „Im Wahlkollegium in Wyoming hat die Einzelstimme 3,6-mal so viel Gewicht wie die Einzelstimme in Kalifornien“, so die Washington Post 2016. Weiter hieß es: „Das ist das extremste Beispiel, aber wenn man den Durchschnitt der zehn bevölkerungsreichsten Staaten nimmt und das Gewicht der Stimmen ihrer Bewohner mit dem in den zehn bevölkerungsärmsten vergleicht, so kommt man auf ein Verhältnis von 1 zu 2,5.“

Der massivste und gierigste Vorstoß aber ist wohl der Ruf nach einer konstitutionellen Versammlung. Eine Verfassungsänderung lässt sich auf zweierlei Art herbeiführen: mit einer Zweidrittelmehrheit sowohl im Repräsentantenhaus als auch im Senat oder aber mit der Einberufung einer verfassungsgebenden Versammlung durch zwei Drittel der Bundesstaaten. Diese zweite Methode wurde nie angewandt, erhält im Lager der Republikaner nun aber Auftrieb. Die Befürworter einer solchen Versammlung „haben die Unterstützung von 28 Bundesstaaten. Sie brauchen 34, um die in der Verfassung vorgesehene ‚Versammlung der Bundesstaaten‘ einzuberufen“, schrieb Charles Pierce im Januar im Esquire. Pierce fuhr fort: „Die Einberufung der Versammlung wird die Spaltung der Union entfesseln, die in einigen konservativen Kreisen geradezu ein Glaubenssatz ist. Rechtlich entsteht eine Wirtschaftsoligarchie, und jegliche politische Kontrolle der Konzernmacht wird höchstwahrscheinlich abgeschafft.“

Leute, Kavanaugh ist nur ein Soldat, wenn auch ein wichtiger, in einer größeren Schlacht. Hört auf, euch einzureden, dass ihr es mit einem Scharmützel zu tun habt. Es herrscht Krieg.

Aus dem Englischen von Anne Emmert.

(c) The New York Times 2018.