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Es war ein mit harten Bandagen ausgefochtener ideologischer Grabenkampf, als 1994 das Nordamerikanische Freihandelsabkommen (Nafta) in Kraft trat. Liberale Ökonomen jubelten angesichts der größten Freihandelszone weltweit und malten blühende Landschaften für Mexiko auf ihre Präsentationen für Investoren. Protektionistische Gegner fürchteten hingegen einen Tsunami, der sowohl den mexikanischen Bauern als auch den Arbeitern den Garaus bereiten würde – und im südlichen Bundesstaat Chiapas erhoben sich sogar die indigenen Zapatistenrebellen gegen Neoliberalismus und neokapitalistische Ausbeutung. Die Realität sah letztlich durchwachsener aus.
Nichts von dieser aufwühlenden Stimmung ist Anfang 2020 zu spüren, kurz vor dem Inkrafttreten des neuen Freihandelsabkommens – T-Mec nennen es die Mexikaner, USMCA die USA und Kanada. Als US-Präsident Donald Trump 2017 Nafta zur Disposition stellte, fiel Mexiko aus allen Wolken. Verständlicherweise, denn die Wirtschaft des Landes hängt zu einem überwiegenden Teil an Nafta. Über 80 Prozent der mexikanischen Exporte gehen gen Norden, und Mexiko erzielt dabei regelmäßig einen Handelsbilanzüberschuss. Zahlreiche Nebelkerzen wurden in den Verhandlungen gezündet, viel apokalyptische Tinte floss aus den Federn der Kommentatoren, heftige Klagen der Unternehmer über ungewisse Zukunftsaussichten waren zu vernehmen.
Nun, zweieinhalb Jahre später, gibt es einen Rekord: Waren im Wert von 614,5 Milliarden US-Dollar überquerten 2019 die Grenzen innerhalb der Freihandelszone – so viel wie nie zuvor. Der Freihandel hat damit dem Protektionismus von Trump und dem Erdrutschsieg des linksnationalistischen Präsidenten Andrés Manuel López Obrador in Mexiko getrotzt. Und T-Mec, so Analysten, wird die Fortsetzung der Erfolgsgeschichte garantieren. Es modernisiert ein in die Jahre gekommenes Abkommen – Nafta 4.0 also. In der Tat merzt das Abkommen einige Schwachstellen aus, etwa in Sachen Umweltschutz und Arbeiterrechte. Doch es hat auch Fallstricke, und wie schon bei Nafta wird T-Mec alleine Mexiko weder modernisieren noch ins Verderben stürzen, sondern viel wird letztlich von politischen Entscheidungen und Weichenstellungen abhängen.
Zu den Gewinnern des Abkommens zählen die Arbeiterinnen und Arbeiter sowie die Umwelt. T-Mec bewegte Mexikos Politiker 2019 zur Anhebung des Mindestlohns und zu einer längst überfälligen Reform des Arbeitsrechts.
Zu den Gewinnern des Abkommens zählen die Arbeiterinnen und Arbeiter sowie die Umwelt. T-Mec bewegte Mexikos Politiker 2019 zur Anhebung des Mindestlohnes und zu einer längst überfälligen Reform des Arbeitsrechts. Es beerdigt das noch aus der Zeit nach der mexikanischen Revolution vor 100 Jahren stammende Modell korporativer Gewerkschaften, die zunächst ein verlängerter Arm der Parteipolitik waren, korrupt und intransparent, und seit der Öffnung durch Nafta häufig Unternehmerinteressen dienten.
Nun bekommt Mexiko ein modernes Gewerkschaftsrecht. Wiederholte Verletzungen von arbeits- und umweltrechtlichen Standards können einem Panel vorgelegt werden; die Beweislast liegt beim Angeklagten, und es besteht für die Länder keine Möglichkeit mehr, ein solches Panel zu blockieren. Dies war ein Anliegen der US-Gewerkschaften und der Demokraten, ohne deren Zustimmung T-Mec nicht durch den US-Kongress gekommen wäre. Sie verlangten sogar, US-Inspektoren in mexikanische Betriebe entsenden zu können – wogegen sich Mexiko aber verwahrte. Nun verbleibt es bei entsprechenden Gesandten an der US-Botschaft in Mexiko.
Mexikos Industriearbeiter hoffen außerdem auf Lohnerhöhungen, denn laut T-Mec müssen in spätestens sieben Jahren 40 Prozent der Komponenten eines Fahrzeugs aus Standorten stammen, bei denen die Arbeiterinnen und Arbeiter mindestens 16 US-Dollar pro Stunde verdienen, acht Mal mehr als derzeit üblich. Trump hingegen geht davon aus, dass US-Firmen ihre Produktion ohne den Vorteil der mexikanischen Niedriglöhne zurück in die USA verlegen. Bislang ist davon jedoch wenig zu spüren.
Auf Druck der USA muss Mexiko künftig härter gegen Produktpiraterie vorgehen. Das könnte dazu dienen, der Mafia einen wichtigen Einkommenszweig streitig zu machen. Es setzt aber auch viele Arbeitsplätze im informellen Sektor aufs Spiel.
Weniger begeistert sind die großen Unternehmen. Die Klauseln seien unvorteilhaft für Mexiko und bedienten die Interessen bestimmter Lobbies in den USA, kritisierte beispielsweise das Zentrum für Private Wirtschaftsstudien (CEESP). Der Vorsitzende des Unternehmerverbandes Coparmex, Gustavo de Hoyos, bescheinigte seiner Regierung „wenig Verhandlungsgeschick“. Große Firmen hatten ihre Produktionsketten unter Ausnutzung der jeweiligen Standortvorteile auf die drei Nafta-Länder verteilt. Mexiko stach durch Billiglöhne, niedrige Steuern und laxe Umweltgesetze hervor.
Ein Teil der Auto-Komponenten wurde von chinesischen Zulieferern gefertigt – auch das dürfte unter dem neuen Vertrag weniger werden, der fortan den Regionalanteil auf 75 Prozent anhebt. Trump will damit den Einfluss Chinas zurückdrängen. Dem dient auch eine Klausel, die den Vertragspartnern das Recht einräumt, den Staat „hinauszuwerfen“, der mit einer „Nicht-Marktwirtschaft“ einen Freihandelsvertrag schließt (Art. 32.10).
Auf Druck der USA muss Mexiko künftig auch härter gegen Produktpiraterie vorgehen. Das könnte zum einen dazu dienen, der Mafia einen wichtigen Einkommenszweig streitig zu machen. Es setzt aber auch viele Arbeitsplätze im informellen Sektor aufs Spiel. Sorgen machen sich auch die Landwirte. T-Mec stellt zwar den Ländern frei, ob sie gentechnisch verändertes Saatgut zulassen. Es verpflichtet sie aber zur Einhaltung des UPOV-Abkommens, auch Monsanto-Gesetz genannt, das das Patentieren von Pflanzen zulässt und den Konzernen das Recht einräumt, dafür periodisch von den Bauern Lizenzgebühren zu verlangen (Art. 20.1).
Nichts sagt der Vertrag zum Thema Klimawandel oder Menschenrechte. Diese Punkte wollte Kanada einfügen, stieß aber auf den erbitterten Widerstand Trumps.
Auch andere Punkte sind wenig vorteilhaft für Mexiko. Trump setzte beispielsweise die sogenannte Sunset-Klausel durch. Der Vertrag hat eine befristete Laufzeit von 16 Jahren; alle sechs Jahre – statt wie von Trump gefordert alle zwei – müssen die Verhandlungspartner bekunden, ob sie diese verlängern wollen oder nicht.
Erstmals gibt es ein Kapitel zur Kooperation in der Korruptionsbekämpfung, Mechanismen zur Förderung des Mittelstandes und ein Kapitel zum elektronischen Handel. Steuern auf digitale Produkte wie Bücher, Musik oder Streamingdienste sind darin untersagt. Kaum verändert wurden die Normen zur Konfliktlösung mit Investoren, die von Kritikern als „zu investorenfreundlich“ gebrandmarkt werden. Nichts sagt der Vertrag zum Thema Klimawandel oder Menschenrechte. Diese Punkte wollte Kanada einfügen, stieß aber auf den erbitterten Widerstand Trumps.
Das Kapitel „Energie“ wurde auf Drängen der mexikanischen Regierung völlig aus dem Vertragswerk ausgenommen. Dabei hätte das Land Experten zufolge gerade hier profitieren können von strategischen Allianzen des bankrotten staatlichen Ölkonzerns Pemex mit technologisch versierten, finanzstarken privaten Partnern. López Obrador steht jedoch auf dem Standpunkt, das Land müsse energiepolitisch souverän bleiben. Statt günstiges Fracking-Öl und Gas aus den USA zu importieren, soll Mexiko selbst mehr fördern und eine Raffinerie bauen.
Mexiko habe alles in allem wenig Spielraum gehabt, so der Universitätsprofessor Gustavo Flores-Macías in der Zeitung „El Financiero“. Unter diesen Umständen sei T-Mec das politisch Mögliche, so der ehemalige Außenminister Jorge Castañeda. Mexiko nehme sich außerdem damit im bevorstehenden US-Wahlkampf aus dem Schussfeld von Trump, betont Marco Oviedo, Chefanalyst für Lateinamerika beim Finanzhaus Barclays. „T-Mec schafft Rechtssicherheit, aber auch die mexikanische Regierung muss für ein investitionsfreundliches Klima sorgen“, warnt der Wirtschaftsanalyst Carlos González Tabares.
Die Umstände sind den Experten zufolge alles andere als günstig mit einer Wirtschaft in der Rezession. T-Mec beendet die Unsicherheit über den Fortbestand der Freihandelszone und wendet damit ein Katastrophenszenario ab. Wohlstand und Rechtsstaat in Mexiko aber sind damit nicht zwangsläufig in greifbarere Nähe gerückt.