Es zeichnet sich immer deutlicher ab, dass die Nominierung Donald Trumps für die US-Präsidentenwahl wohl unvermeidbar ist – sein Sieg bei den Vorwahlen in New Hampshire hat nur mehr besiegelt, was schon lange abzusehen war. Bei den Demokraten geht deshalb allmählich die Angst um. Kein anderer Präsident der vergangenen Jahrzehnte war zum entsprechenden Zeitpunkt seiner ersten Amtszeit so unbeliebt wie Präsident Biden. Seine anhaltend schlechten Umfragewerte lassen im November ein Desaster befürchten. Selbst in den Mainstream-Medien wird der Ruf immer lauter, Biden solle seiner Partei zuliebe zurücktreten und einen anderen Kandidaten zu seinem Nachfolger machen.

Die pessimistische Stimmung der Demokraten lässt jedoch einige wichtige Punkte außer Acht. Erstens führt die zunehmende Polarisierung der Politik in den USA dazu, dass bei Präsidentschaftswahlen die Ergebnisse immer knapper werden, sodass die Kandidaten heute unabhängig von ihrer vermeintlichen Stärke oder Schwäche mit einer hohen Grundunterstützung rechnen können. Zweitens sind es bis zum Wahltag noch etwas mehr als neun Monate, und bis dahin kann noch viel passieren.

Zweifelsohne, Trump hält wieder Einzug in den Alltag vieler Amerikanerinnen und Amerikaner, die sich seit seinem Ausscheiden aus dem Amt von der Politik abgewandt haben. Biden hat jedoch die Chance, sich klar von seinem Vorgänger abzugrenzen und die Wählerschaft daran zu erinnern, warum sie ihn beim ersten Mal gewählt hat. Es gibt also durchaus noch eine Möglichkeit, die Wahl zu gewinnen, aber Biden wird seine bisherige Strategie deutlich ändern müssen.

Dass Biden 2020 die drei Blue Wall-Staaten Michigan, Pennsylvania und Wisconsin im industriell dominierten Mittleren Westen für sich gewinnen konnte, trug damals entscheidend zu seinem Wahlsieg bei. In diesen drei der fünf Bundesstaaten, die er Trump abgetrotzt hat, ist die Wählerschaft zwar älter und weißer, bescherte ihm aber auch den größten Stimmenvorsprung. Manche Kreise in der Demokratischen Partei sehen im Augenblick jedoch mehrere Südstaaten als die attraktiveren Ziele an, denn diese Staaten sind jünger und diverser. Mit anderen Worten: Sie machen sich mehr Gedanken über das, was für viele Beobachter die Zukunft der Partei darstellt.

Für die Wählerinnen und Wähler sind Wirtschaftsfragen ein weitaus wichtigeres Problem als die Demokratie.

Zur Liste der Südstaaten gehören Arizona und Georgia, die Biden 2020 ebenfalls für sich entscheiden konnte, wenn auch jeweils mit weniger als einem halben Prozentpunkt Vorsprung. Beide Staaten haben bei den Präsidentschaftswahlen von 2000 bis 2016 für die Republikaner gestimmt, sind also für die Demokraten nicht so verlässlich wie die „Blaue Wand“. Bidens Wahlkampfteam hat zudem angekündigt, auf dem Weg zum Wahlsieg 2024 Staaten wie Florida, North Carolina und Ohio gezielter ins Visier zu nehmen, obwohl alle drei Staaten bereits zweimal für Trump gestimmt haben.

So verlockend es auch sein mag, nach Süden zu blicken – Bidens Team sollte nicht den Blick für das große Ganze verlieren. Die Blue Wall ist ein bewährtes Terrain. Das erkannte sein Wahlkampfteam schon 2020 und schnitt die Kampagne auf diese Staaten zu. Wenn es Biden gelingt, die drei Blue Wall-Staaten zu gewinnen und gleichzeitig alle anderen Staaten, die ihm bereits gewogen sind, hinter sich zu bringen, wird er auf 270 Wahlmännerstimmen kommen – die für einen Sieg im Electoral College erforderliche Mindestzahl. Dann wäre ein Sieg in weiteren Staaten wie Arizona, Georgia und Nevada nur noch das Sahnehäubchen.

2019 wählte Biden als Ort für seinen Wahlkampfauftakt ein Gewerkschaftshaus in Pittsburgh, Pennsylvania, und signalisierte damit sein Engagement für die amerikanische Arbeiterschaft. In seiner Rede sprach er sich für mehrere Maßnahmen aus, die der Arbeiterschicht zugutekommen würden, und stellte in Aussicht, den US-weiten Mindestlohn auf 15 US-Dollar anzuheben, die Wettbewerbsverbotsklauseln für Arbeitnehmer im Niedriglohnsektor abzuschaffen und die Zulassungsbedingungen für bestimmte Arbeitsplätze zu lockern. Studien haben gezeigt, dass Kandidaten bei Wählerinnen und Wählern aus der Arbeiterklasse dann gut ankommen, wenn sie sich auf konkrete Themen konzentrieren und in wirtschaftspolitischen Fragen eine populistische Rhetorik pflegen. Der Erfolg von Kandidaten wie John Fetterman belegt dies sehr deutlich.

Vor diesem Hintergrund ist es etwas verwunderlich, dass Bidens Kampagnenteam für die Wiederwahl beschlossen hat, ein anderes Thema ins Zentrum zu stellen: den Erhalt der Demokratie. Die amerikanische Demokratie durch die Ära Trump hindurch zu retten und darüber hinaus zu bewahren, ist unbestritten von größter Bedeutung, zumal der ehemalige Präsident eine immer bedenklichere Rhetorik an den Tag legt. Biden muss aber auch das Wesentliche im Blick behalten. Für die Wählerinnen und Wähler sind Wirtschaftsfragen weiterhin ein weitaus wichtigeres Problem als die Demokratie. Laut jüngsten Umfragen stufen im entscheidenden Swing State Pennsylvania einige der Wählergruppen, die für Bidens Wiederwahl am wichtigsten sind – die Schwarze Wählerschaft, die Unabhängigen und junge Menschen –, die Themen „Wirtschaft“ und „Lebenshaltungskosten“ als die dringendsten Probleme des Landes ein.

Bidens Zustimmungsrate bei ethnischen Minderheiten ist durchweg niedriger als 2020.

Die Verteidigung der Demokratie ist natürlich wichtig, und die Wählerinnen und Wähler, denen dies ein Anliegen ist (neben anderen Themen, die die Gemüter erregen, wie das Thema Abtreibung), werden wahrscheinlich in großer Zahl für Biden stimmen. Aber um die Wahl für sich zu entscheiden, braucht Biden auch eine positive Botschaft und muss den Menschen vermitteln, was seine Regierung unternimmt, um die größten Probleme der Wählerschaft anzupacken.

Einer der kontraproduktivsten Impulse progressiver Politik ist es, die Voters of Color als monolithischen Block zu behandeln. Die Verlockung liegt auf der Hand: Um die Jahrtausendwende waren viele politischen Beobachter überzeugt davon, dass „Demografie Schicksal ist“. Man glaubte, die kontinuierlich wachsende nicht-weiße Bevölkerung in den USA sei für die Demokraten eine sichere Wählerschaft und werde ihnen eines Tages eine dauerhafte Mehrheit bescheren. Diese Annahme schien sich für viele Linke mit den beiden Wahlsiegen von Barack Obama und der nur knappen Niederlage von Hillary Clinton zu bestätigen: Über 90 Prozent der schwarzen Wählerinnen und Wähler und etwa zwei Drittel der hispanischen und asiatischen Wählerschaft unterstützten Obama und Clinton.

Aber heute gibt es in der amerikanischen Politik nur wenige scheinbar beständige Trends, die sich lange halten. Als Trump zur Wiederwahl antrat, verblüffte er die Politikexperten, als er sowohl in der afroamerikanischen als auch in der hispanischen Wählerschaft an Zustimmung gewann. Doch inzwischen sind zwei Jahre vergangen und beide Gruppen wie auch die asiatischen Wählerinnen und Wähler sind nach rechts gerückt. Einigen Hochrechnungen zufolge wird der Vorsprung der Demokraten bei den Voters of Color aus der Arbeiterschicht in diesem Jahr erneut schrumpfen. Jüngste Umfragen ergeben ein ähnliches Bild: Bidens Zustimmungsrate bei ethnischen Minderheiten ist durchweg niedriger als 2020. Laut einer Erhebung von USA Today und der Suffolk University waren im Januar lediglich 63 Prozent der schwarzen Wählerinnen und Wähler mit Bidens Amtsführung einverstanden, und etwa jeder Fünfte erwägt, dieses Jahr eine andere Partei zu wählen. Die Umfrage zeigte außerdem, dass Trump bei der hispanischen Wählerschaft inzwischen fünf Punkte vor Biden liegt – dabei konnte Biden diese Wählergruppe beim letzten Mal mit 23 Prozentpunkten Vorsprung für sich gewinnen.

Ein Grund für diesen Abwärtstrend dürfte sein, dass die Mehrheit der nicht-weißen Wählerinnen und Wähler sich als ideologisch gemäßigt versteht und daher zu den extremeren Positionen auf der Linken eher auf Abstand geht. Möglicherweise verlieren aber auch Themen, wegen denen sie in der Vergangenheit stabil für die Demokraten gestimmt haben – wie zum Beispiel die Unterstützung für die Einwanderung unter Hispanics –, für Teile dieser Wählerschaft inzwischen an Bedeutung, sodass sie für den Gedanken, die Republikaner zu wählen, stärker aufgeschlossen sind. Unabhängig davon kann Biden sich keiner dieser Wählerstimmen sicher sein, und das ist seinem Kampagnenteam offenbar bewusst. Dementsprechend hat es eine neue Kampagne gestartet, die speziell auf die Schwarze und hispanische Wählerschaft abzielt. In den kommenden Monaten wird das Wahlkampfteam nicht-weiße Amerikaner als Zielgruppe umwerben, die es zu überzeugen gilt und mit der kommuniziert werden muss, denn diese Gruppe ist keine sichere Bank, auf die ohnehin Verlass ist und die nur mobilisiert werden muss.

Es zeigt sich, dass es den demokratischen Kandidaten nicht unbedingt schadet, wenn sie sich gegen den linken Flügel ihrer Partei stellen.

Ein Ereignis, dessen Bedeutung im Wahlkampf 2020 unterschätzt wurde, waren die Proteste im August desselben Jahres, die sich gegen die Erschießung eines Afroamerikaners durch die Polizei in Kenosha, Wisconsin, richteten und in Gewalt umschlugen. Ein Großteil der Linken zögerte, die Ausschreitungen und Plünderungen zu verurteilen, und prominente Medien mit einer großen liberalen Leserschaft ließen sogar Stimmen laut werden, die dieses Verhalten verteidigten. Biden ließ sich jedoch nicht beirren: Er verurteilte die Gewalt aufs Schärfste und sagte: „Ich möchte hierzu in aller Deutlichkeit sagen: Das ist Gesetzlosigkeit, schlicht und einfach. Und wer so etwas tut, sollte strafrechtlich verfolgt werden.“

Bidens Haltung brachte Trump um ein potenzielles Streitthema und zeigte auch den Unabhängigen und Republikanern, die sich von Trump abgewandt hatten, dass Biden den extremen Tendenzen in seiner eigenen Partei entgegenzutreten wusste. Möglicherweise wird er dieses Jahr einen ähnlichen Schritt tun müssen. Laut einer Umfrage von Morning Consult stieg der Anteil der Amerikanerinnen und Amerikaner, die die Demokratische Partei „zu liberal“ finden, von 40 auf 47 Prozent. Der Anteil derjenigen, die die Republikaner für „zu konservativ“ halten, blieb hingegen mit 38 Prozent unverändert.

Um seine Unabhängigkeit deutlich zu machen, könnte Biden in der Debatte um Israel und Palästina die Demokratische Partei weiterhin auf Distanz zu einigen der radikalsten Stimmen der Linken bringen. Er könnte zum Beispiel Protestierende, die den Verkehr blockieren, oder diejenigen, die Veranstaltungen in Gotteshäusern stören, öffentlich verurteilen oder sich mit mehr Nachdruck für die Sicherung der Grenzen einsetzen. Seine Regierung erreicht bei der Zahl der Verhaftungen an der Grenze zwar ein Rekordniveau und schiebt immer mehr Einwanderer ab, die keine Papiere haben, aber trotzdem sank die öffentliche Zustimmung zu seinem Umgang mit der Einwanderung – laut Umfragen auch ein Top-Thema für die Wählerschaft – in letzter Zeit auf einen historischen Tiefstand.

Es zeigt sich, dass es den demokratischen Kandidaten nicht unbedingt schadet, wenn sie sich gegen den linken Flügel ihrer Partei stellen. Senator Fetterman sprach sich dafür aus, dass die Demokraten mit den Republikanern verhandeln sollten, um Amerikas Südgrenze zu sichern, steht im Konflikt zwischen Israel und der Hamas eindeutig auf Israels Seite und erklärte gar, er teile in dieser Frage nicht die typischen „progressiven“ Überzeugungen. In einer Umfrage der Quinnipiac University gaben kürzlich satte 80 Prozent der Demokraten in Pennsylvania an, dass sie mit Fettermans Amtsführung zufrieden seien, nur zehn Prozent lehnten diese ab. Pennsylvania sagt wie eine Art USA im Kleinen viel über das Land insgesamt aus. Biden ist also möglicherweise gut beraten, Fettermans Vorbild zu folgen.

Diese Wahl wird wohl in jedem Fall knapp ausfallen, und Biden darf sich nicht viele Fehler erlauben. Seine Umfragewerte sind miserabel, aber noch bleibt ihm Zeit, das Ruder herumzureißen und eine weitere Trump-Präsidentschaft zu verhindern. Um das zu schaffen, muss er jedoch eine kluge Strategie entwickeln und gezielt umsetzen.

Dieser Artikel erschien zuerst im US-Onlinemagazin  Persuasion.

Aus dem Englischen von Christine Hardung