Im Koalitionsvertrag haben sich die Unionsparteien und die SPD 2013 auf eine eindeutige Aussage geeinigt: „Extralegale, völkerrechtswidrige Tötungen mit bewaffneten Drohnen lehnen wir kategorisch ab.” Der Begriff der „extralegalen“ Tötung ist wohl eher politisch als völkerrechtlich und in Rücksichtnahme auf die USA entstanden. Was sagt er aber aus? Er unterstreicht die Ablehnung, Menschen – auch mutmaßliche Terroristen – außerhalb bewaffneter internationaler oder nichtinternationaler Konflikte gezielt, in aller Regel durch Drohnenangriffe zu töten. Für Nicht-Juristen: dass Menschen außerhalb aktueller Kriegsschauplätze jederzeit getötet werden können, wenn dies nach Bewertung des Angreifers dem eigenen Schutz oder der Terrorabwehr dient.

So handhaben es die Vereinigten Staaten seit dem 11. September 2001 und Israel in eingeschränktem Maße schon seit Beginn der 2000er Jahre. Der von George W. Bush ausgerufene „war on terror“ dauert seitdem an – und rechtfertigt aus US-Sicht nach wie vor jeden Drohnenangriff gegen al-Qaida und all jene, die sich unter deren Ägide subsumieren lassen. Zwar knüpft Präsident Barack Obama nicht an die Rhetorik seines Vorgängers an, in der Sache aber hat er die gezielten Luftschläge gegen Einzelpersonen in Pakistan, im Irak, im Jemen und in Somalia während seiner Präsidentschaft deutlich ausgeweitet.

Die Zahl der auf diese Weise getöteten Menschen kann man nur schätzen, da die US-Regierung keine Zahlen veröffentlicht. Immerhin will Präsident Barack Obama dies nun ändern. Jüngste Zahlen des Pentagon bezüglich des Drohnenangriffs in Somalia vom März 2016 sprechen beispielsweise von 150 getöteten „Kämpfern“. Verschiedene Nichtregierungsorganisationen haben Schätzungen vorgenommen. Demnach liegt die Zahl der durch das Drohnenprogramm Getöteten vermutlich längst im vierstelligen Bereich, darunter auch hunderte Zivilisten.

 

Aushöhlung des Kriegsvölkerrechts

Das Vorgehen der USA treibt das humanitäre Völkerrecht dabei in eine gefährliche, nur noch schwer steuerbare Richtung. Nach den Anschlägen vom 11. September wurde der ursprünglich für den zwischenstaatlichen Konflikt relevante Artikel 51 der UN-Charta zur Selbstverteidigung dahingehend ausgelegt, dass auch transnational handelnde Organisationen legal bekämpft werden konnten.

Inzwischen zeigt sich, dass diese Auslegung zu einer stetig zunehmenden räumlichen und zeitlichen Entgrenzung geführt hat. Grenzen verwischen, die ursprünglich die Grundintention des humanitären Völkerrechts sicherstellen sollten: Exzesse des Krieges zu verhindern und den Schutz der Zivilbevölkerung zu gewährleisten. Heute ist der Begriff des feindlichen Kombattanten, des Terroristen, nicht mehr an eine Uniform und ein Hoheitszeichen gebunden, sondern an die Interpretation und Definition von einzelnen Regierungen. Die objektive Bestimmung wird durch eine rein subjektive Wertung ersetzt. Aus Sicht der Vereinigten Staaten werden damit nicht nur alle Mitglieder von al-Qaida auf die Abschussliste gesetzt, sondern auch Personen, die sich in irgendeiner Form, sei es nur ein auffälliges Bewegungsprofil, al-Qaida oder dem „Islamischen Staat“ zurechnen lassen.

Demnach lebt auch die Zivilbevölkerung in den betroffenen Gebieten unter der ständigen Bedrohung und der Angst vor Drohnenangriffen und ihren Folgen. Der perfekte Nährboden für Terrorismus, den die USA eigentlich bekämpfen wollen.

Mögen auch im Einzelfall die erfolgten Tötungen nachvollziehbar und moralisch begründbar sein, so wird doch durch diese Praxis ein gefährliches Vorbild geschaffen: Die Mehrzahl der Terroranschläge findet heute nicht in den USA statt, sondern in Ländern wie Pakistan, Afghanistan, dem Irak, der Türkei, oder auch in Russland. Sollten jedoch einige dieser Länder mittelfristig versuchen, sich vergleichbare Fähigkeiten und Programme anzueignen, inklusive ihrer eigenen Definitionen mutmaßlicher Terroristen, droht ein globales Chaos. Gerade den Juristen in der US-Regierung muss bewusst sein, dass die USA so (noch) nicht-kodifiziertes „Völkergewohnheitsrecht” schaffen, welches im Ergebnis dazu führt, dass vergleichbare Einsätze anderer Staaten in der Zukunft als vom Völkerrecht gedeckt eingeschätzt werden müssten.

Unsere Stärke ist nicht nur die Liberalität unserer Gesellschaft. Unsere Stärke ist im Wesentlichen das Recht und der Rechtsstaat, welche unser Handeln bestimmen und allein unser Tun rechtfertigen dürfen. Daher dürfen wir uns nicht auf das Niveau von Terroristen herablassen und ganze Landstriche einer permanenten Bedrohung aussetzen. Das ist nicht nur juristisch zweifelhaft und strategisch-militärisch falsch, sondern untergräbt langfristig die Glaubwürdigkeit des Westens insgesamt in den Augen der Menschen in den betroffenen Regionen. Dieses Vorgehen schafft mehr Terroristen als es bekämpft.

 

Konsequente Ächtung extralegaler Tötungen

Aus diesem Grund ist es zwingend notwendig, dass sich der Bundestag gegen extralegale Tötungen positioniert und der Satz aus dem Koalitionsvertrag mit Leben gefüllt wird. Der juristischen Interpretation, nach der das Recht auf Selbstverteidigung räumlich und zeitlich völlig entgrenzt wird, muss widersprochen werden. Deutschland darf die Deutungshoheit über internationales Recht nicht allein anderen Staaten überlassen, sondern muss seine eigene Haltung dem deutlich gegenüberstellen. Hiermit gestalten wir nicht nur unsere eigenen sicherheitspolitischen Überzeugungen, wir übernehmen auch gleichzeitig Verantwortung auf internationaler Ebene.

Internationales Recht und sicherheitspolitisches Vorgehen kann dabei selbstverständlich nicht gegen die Vereinigten Staaten gestaltet werden. Um im gegenseitigen Dialog und Verhandlungen aber bestehen zu können, muss die deutsche Haltung zunächst klar formuliert sein. Der Deutsche Bundestag würde damit einen wichtigen Beitrag leisten hin zu einer Stärkung des humanitären Völkerrechts und der räumlichen und zeitlichen Einschränkung von Konflikten.