Rechtspopulistische Parteien gewinnen in Europa zunehmend an Einfluss. Die AfD konnte bei der Bundestagswahl mit über 20 Prozent zur zweitstärksten Kraft aufsteigen. In mehreren Ländern, darunter Italien, den Niederlanden und Österreich, sind sie bereits zur führenden politischen Kraft geworden. In aktuellen Umfragen sind rechtspopulistische Parteien schon jetzt die stärkste Parteienfamilie in Europa und dies wird sich in künftigen Wahlen vermutlich auch in den Parlamenten widerspiegeln. Gleichzeitig erleben Mitte-links-Parteien einen beispiellosen Niedergang: Die sozialdemokratischen Regierungschefs in der EU lassen sich mittlerweile an einer Hand abzählen.
Dies wirft zwei zentrale Fragen auf: Welche Gründe stehen hinter dem Aufstieg der Rechtspopulisten? Und wie können sozialdemokratische Parteien verlorene Wähler zurückgewinnen?
Der Erfolg rechtspopulistischer Parteien ist ein vielschichtiges Phänomen mit zahlreichen Ursachen. Ein entscheidender Faktor ist die sogenannte Repräsentationslücke. In meiner Studie Political Representation Gaps and Populism analysiere ich, inwieweit europäische Parteien die politischen Einstellungen der Bevölkerung tatsächlich widerspiegeln. Die Ergebnisse zeigen: Während dies bei ökonomischen Themen weitgehend gelingt, klafft insbesondere bei sozialen und kulturellen Fragen – etwa der Einwanderungspolitik – eine erhebliche Lücke zwischen den Positionen der Bevölkerung und nahezu allen etablierten Parteien.
Ein Beispiel: Der durchschnittliche Deutsche befürwortet eine restriktivere Einwanderungspolitik, als sie selbst die CDU/CSU lange gefordert hatte, zumindest bis Friedrich Merz die Position der Partei anpasste. Ähnliche Lücken zeigen sich in nahezu allen europäischen Ländern. In sozialen und kulturellen Fragen vertreten Parteien durchweg liberalere Positionen als ihre Wähler. Besonders bemerkenswert ist die Systematik dieser Lücke. Selbst Migranten mit demselben Bildungsstand wie Parlamentarier positionieren sich in Einwanderungsfragen häufig deutlich konservativer als die Abgeordneten.
Diese gesellschaftliche Realität widerspricht dem weit verbreiteten Bild einer polarisierten Gesellschaft, in der Migranten bei Einwanderungsfragen automatisch weiter links stünden als die einheimische Bevölkerung, und in der Frauen in Geschlechterfragen stets links von Männern stünden. Meine Studie zeigt: Der durchschnittliche Mann, die durchschnittliche Frau, der durchschnittliche Bürger und selbst der durchschnittliche Migrant sind sich oft einig, dass die meisten Parteien bei Themen wie Einwanderung und Geschlechterpolitik zu weit links stehen.
Seit Jahrzehnten besteht in vielen europäischen Ländern eine Diskrepanz zwischen den Positionen der etablierten Parteien und den politischen Präferenzen der Wähler.
Das Phänomen der Repräsentationslücke ist keineswegs neu. Seit Jahrzehnten besteht in vielen europäischen Ländern eine Diskrepanz zwischen den Positionen der etablierten Parteien und den politischen Präferenzen der Wähler – insbesondere in sozialen und kulturellen Fragen. Solange wirtschaftliche Themen dominierten, fiel diese Kluft kaum ins Gewicht. Doch mit der Flüchtlingskrise ab 2015 verschob sich der Fokus vieler Bürger. Migration und innere Sicherheit rückten ins Zentrum der politischen Wahrnehmung. Bereits damals betrachteten 75 Prozent der Deutschen Einwanderung als das größte Problem des Landes. Auch im Bundestagswahlkampf spielte das Thema eine zentrale Rolle: Mit 37 Prozent lag Migration/Flucht auf Platz 1 der wichtigsten Wahlkampfthemen.
Diese Entwicklung eröffnete Raum für rechtspopulistische Parteien, die als einzige politische Kraft Standpunkte rechts vom Durchschnittswähler vertreten. Während Mitte-links-Parteien ihre traditionellen Wähler zunehmend verloren, konnten Rechtspopulisten mit populären Positionen punkten, etwa zu Migration, Kriminalität und kultureller Identität. Auch ihre Standpunkte zu Quoten, zum Gendern, zu Entwicklungshilfe und Integration finden eine breite Unterstützung in der Bevölkerung.
Studien zeigen, dass die politische Ausrichtung einer Partei und ihre Inhalte der wichtigste Faktor für das Wahlverhalten ist. Trotz offensichtlicher Schwächen, etwa antidemokratischer Tendenzen, wählen viele Bürger lieber Rechtspopulisten als Sozialdemokraten, da Erstere bei zentralen Themen die populäreren Positionen vertreten. Solange sich daran nichts ändert, werden Rechtspopulisten politisch stark bleiben.
Für Sozialdemokraten liegt die Herausforderung darin, die Repräsentationslücke zu schließen. Theoretisch könnten sie dies auf drei Arten erreichen: erstens, indem sie ihre eigenen Positionen bezüglich sozialer und kultureller Fragen anpassen. Zweitens könnten sie versuchen, die Einstellungen der Wählerschaft zu beeinflussen. Oder drittens, indem es ihnen gelingt, die Bedeutung nicht-wirtschaftlicher Themen zu verringern.
Die zweite und dritte Option ist jedoch kaum realistisch. Einzelne Parteien haben nur begrenzten Einfluss auf die Themenagenda und die Überzeugungen der Bürger. Wenn Sozialdemokraten beispielsweise plötzlich aufhören würden, über Einwanderung zu sprechen, würde dies nicht dazu führen, dass das Thema an Bedeutung verliert. Vielmehr würde es weltfremd wirken – denn andere Parteien sowie (soziale) Medien würden die Debatte ohnehin weiterführen. Ebenso ist es sehr unwahrscheinlich, dass die Sozialdemokraten viele Menschen davon überzeugen können, einwanderungsfreundlicher zu werden. Das Bedürfnis nach weniger Einwanderung besteht in Europa seit Jahrzehnten und hat sich kaum verändert. Studien zeigen, dass Kampagnen zur Förderung einwanderungsfreundlicher Einstellungen kaum Wirkung entfalten.
Das Bedürfnis nach weniger Einwanderung besteht in Europa seit Jahrzehnten und hat sich kaum verändert.
Die einzige realistische Strategie ist daher eine gezielte Neupositionierung. Dabei sollten Sozialdemokraten populäre Positionen glaubhaft besetzen, ohne den Kern ihrer Werte aufzugeben. Dies bedeutet nicht, sich rechtspopulistischen Ideologien anzupassen, sondern die Bedürfnisse der Wähler ernst zu nehmen und pragmatische Lösungen zu bieten.
Dieses Thema betrifft nicht nur Einwanderung, sondern eine Vielzahl sozialer und kultureller Fragen wie Entwicklungshilfe oder Integration. Dabei stellt sich immer wieder die zentrale Frage: Wie sollten die Interessen der deutschen Bevölkerung gegenüber denen ausländischer Staatsbürger gewichtet werden? Parteien, die von der wahlberechtigten Bevölkerung unterstützt werden möchten, müssen deren Anliegen klar in den Vordergrund stellen.
Doch wie weit sollte diese Priorisierung reichen? Wie viel Geld sollte in Entwicklungshilfe investiert werden, statt in die Modernisierung heimischer Schulen? Wie viele Ressourcen sollen in die Unterbringung von Geflüchteten fließen, während gleichzeitig Mittel für die Sanierung der Infrastruktur benötigt werden? Auf solche Fragen gibt es keine eindeutigen Antworten – sie hängen stark von individuellen Werten und gesellschaftlichen Prioritäten ab. Doch genau hier liegt die entscheidende Chance für Sozialdemokraten: Indem sie die Präferenzen der Wähler ernst nehmen und sich glaubwürdig an ihren Erwartungen orientieren, könnten sie verlorene Wähler zurückgewinnen.
Dies bedeutet natürlich nicht, einem überzogenen Nationalismus Raum zu geben – für den es keine breite Mehrheit gibt. Stattdessen könnte die pragmatische und populäre Asylpolitik der dänischen Sozialdemokraten als Vorbild dienen. Gleichzeitig ist eine klare Abgrenzung zu den Rechtspopulisten essenziell. Zwar greifen diese oft reale Probleme auf, doch ihre Antworten sind häufig weder tragfähig noch besonders durchdacht.
Dies liegt teilweise an ihrer (noch) begrenzten Regierungserfahrung. Sozialdemokraten hingegen verfügen über ein größeres Maß an politischer Kompetenz – und müssen diese gezielt nutzen, um fundierte und praktikable Lösungen zu entwickeln. Der erste Schritt dazu ist die Bereitschaft, bestehende Herausforderungen – etwa im Bereich Migration – klar anzuerkennen, offen zu diskutieren und überzeugende Antworten zu präsentieren.
Sozialdemokraten hingegen verfügen über ein größeres Maß an politischer Kompetenz.
Zwischen 2015 und 2022 wurden laut polizeilicher Kriminalstatistik in Deutschland fast 8 600 Fälle von Vergewaltigungen und ähnlichen sexuellen Übergriffen durch (ehemalige) Asylbewerber gemeldet. Diese Gruppe ist bei schweren Gewaltdelikten deutlich überrepräsentiert, selbst im Vergleich zu Europäern mit ähnlichen demografischen Merkmalen. Wissenschaftliche Studien bestätigen, dass Asylmigration die Kriminalitätsrate signifikant erhöhen kann. Es ist daher nachvollziehbar, dass sich viele Menschen seit der Flüchtlingskrise weniger sicher fühlen. Um das Vertrauen der Bevölkerung zurückzugewinnen, sollte die Asylpolitik so gestaltet werden, dass der Schutz der Bevölkerung eine höhere Priorität erhält.
Rechtspopulisten greifen diese Ängste häufig auf, tendieren jedoch dazu, Einwanderer pauschal als Belastung darzustellen. Ein vollständiger Einwanderungsstopp wäre jedoch weder realistisch noch im Interesse Europas. Viele Migranten – insbesondere aus anderen europäischen Ländern – leisten durch Arbeit einen positiven Beitrag zur Wirtschaft und zur Gesellschaft ihrer Zielländer. Eine ausgewogene Einwanderungspolitik muss daher berechtigte Sorgen ernst nehmen, ohne populistische Vereinfachungen zu übernehmen.
Die Einwanderer, die tendenziell einen negativen Nettoeffekt haben, sind meist Asylbewerber, die jedoch in den meisten europäischen Ländern nur einen geringen Anteil aller Einwanderer ausmachen. Eine verantwortungsvolle Einwanderungspolitik sollte daher vor allem die Migration über das Asylsystem deutlich einschränken und die Rückführung abgelehnter Asylbewerber konsequent vorantreiben – wie es etwa in Schweden bereits passiert. Gleichzeitig sollte die reguläre Migration außerhalb des Asylsystems nicht pauschal reduziert werden, da sie in der Regel einen positiven Beitrag leistet.
Der Aufstieg der Rechtspopulisten ist nicht unumkehrbar. Sozialdemokraten können diesen Trend stoppen, wenn sie entschlossen handeln und populäre Positionen glaubwürdig vertreten. Eine glaubhafte Neupositionierung braucht jedoch Zeit, und die Sozialdemokratie steht unter Druck. Ihre Wählerschaft ist im Durchschnitt älter, während sie gerade bei jungen Menschen wenig Zuspruch findet.
Eine glaubhafte Neupositionierung braucht jedoch Zeit, und die Sozialdemokratie steht unter Druck.
Mitte-links-Parteien sollten daher unverzüglich damit beginnen, populäre Positionen zu entwickeln, welche die bestehende Repräsentationslücke schließen. Diese sollten in ein kohärentes Narrativ eingebettet werden, das eine Rückbesinnung auf die Kernanliegen der Arbeiterschaft signalisiert – ganz nach dem Motto Back to the roots. Dadurch könnte ein Großteil jener Wählerschichten zurückgewonnen werden, die derzeit rechtspopulistische Parteien unterstützen.
Die Neupositionierung sollte durch Forschungsergebnisse untermauert werden, die als Grundlage und Rechtfertigung dienen, um die neue Ausrichtung glaubwürdig zu kommunizieren – ähnlich wie die Hinwendung der Sozialdemokratie zur Marktwirtschaft in der Vergangenheit. Um sich klar von Rechtspopulisten abzugrenzen, sollten Sozialdemokraten ihre Kompetenz in der Erarbeitung tragfähiger Lösungen betonen und die antidemokratischen Tendenzen sowie die geopolitische Nähe rechtspopulistischer Parteien zu autoritären Staaten wie Russland und China deutlich herausstellen.
Gleichzeitig sollten Sozialdemokraten bereits jetzt gezielt Positionen zu Themen besetzen, die eine Repräsentationslücke aufweisen und voraussichtlich an Bedeutung gewinnen werden. Zu diesen Bereichen zählen etwa Integration, Klimapolitik und Kriminalität. Hierbei kommt es darauf an, umsetzbare und effektive Maßnahmen zu entwickeln, welche die Interessen und Bedürfnisse der eigenen Bevölkerung klar in den Mittelpunkt stellen. Auch eine umfassende Neupositionierung in kulturellen Fragen – wie Quoten bei der Stellenbesetzung – ist unvermeidlich. Dabei bietet die stolze Geschichte der Sozialdemokratie in Kombination mit dem Potenzial ihrer Mitglieder eine einzigartige Chance: Eine klug gestaltete Neuausrichtung könnte die Sozialdemokratie wieder zur stärksten politischen Kraft in Europa machen.