Dank der Arbeit des Verfassungsschutzes erhielt ein BND-Ausbilder im Oktober 2021 aufgrund seiner extremistischen Aussagen Hausverbot. Ein positives Ergebnis für den Verfassungsschutz. Doch nicht immer ist seine Arbeit von Erfolg gekrönt. Der öffentliche Eindruck der Behörde ist schlecht. Im Fall des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) boten die Verfassungsschutzämter 2011 von außen betrachtet zum Teil ein desolates Bild. Obwohl in diesem Kontext auch erhebliche Fehlleistungen durch Polizei, Justiz und nicht zuletzt durch politisch Verantwortliche zu beklagen waren, scheint das ohnehin dubiose Image der „Schlapphüte“ seitdem in der Öffentlichkeit nahezu irreparabel beschädigt zu sein. Die Unfähigkeit, den Terroranschlag auf einem Berliner Weihnachtsmarkt 2016 zu verhindern, obwohl der Verfassungsschutz – und vor allem die Polizei – das Umfeld des Täters Anis Amri im Blick hatten, bestätigte dieses negative Bild nur.

Bisweilen gilt das „Frühwarnsystem der Demokratie“ gar als Gefahr für die Demokratie – ein dramatischer Legitimitätsverlust. Von jeher sitzen die Ämter für Verfassungsschutz jedoch in einer imageschädigenden Falle: Wenn den Diensten Fehler unterlaufen, wird ihnen vorgeworfen, sie seien bis zur Lächerlichkeit ineffektiv. Haben sie Erfolge, heißt es hingegen, sie seien eine Bedrohung für die Bürgerrechte. „Der Verfassungsschutz“, den es in Wirklichkeit in dieser Homogenität nicht gibt, ist weiterhin für große Teile der Bevölkerung ein Mysterium. Entsprechend widersprüchlich sind daher die Erwartungen der Öffentlichkeit: Die Dienste sollen effektiv und effizient sein, aber nicht alles wissen. Sie sollen Insiderkenntnisse über extremistische Szenen haben, aber nicht Teil von ihnen werden. Daten sollen geschützt und möglichst bald gelöscht werden, aber vorliegen, wenn man sie braucht.

Bisweilen gilt das „Frühwarnsystem der Demokratie“ gar als Gefahr für die Demokratie – ein dramatischer Legitimitätsverlust.

Das Entsetzen darüber, dass der Sicherheitsapparat der Bundesrepublik eine rechtsextremistisch motivierte Mordserie jahrelang falsch einschätzte, hat auch zehn Jahre nach deren Aufdeckung noch immer nicht zu einer neuen Qualität nachhaltigen Handelns in den Verfassungsschutzbehörden geführt. Auch nach dem politisch motivierten Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke im Juni 2019 durch einen Neonazi wurde – wieder – von einer Zäsur gesprochen. Doch bildet sich diese Zäsur auch in den Verfassungsschutzbehörden ab?

Der Fall NSU war de facto eine Art rechtsextremistischer 11. September für die deutschen Verfassungsschutzämter. Doch pauschale Verurteilungen der Behörden sind fehl am Platz. Denn auch in der Causa NSU haben nicht alle Mitarbeiter aller Verfassungsschutzbehörden gleichermaßen „versagt“. Die nicht selten gehörten Vorwürfe, „der“ Verfassungsschutz sei auf dem „rechten Auge blind“ und verfüge über eine eigene, demokratieferne Mentalität, gehen an den tatsächlichen Problemen vorbei. Deutlich wurde auch, dass es sich nicht nur um typische Schwächen der viel gescholtenen Verfassungsschutzbehörden handelt. Vielmehr müssen allgemeine Strukturfehler deutscher Verwaltungen einerseits und die gestörte Diskussionskultur über primäre Staatsaufgaben wie die Gewährleistung von Sicherheit andererseits ins Auge gefasst werden.

Tatsächlich sind die hauptsächlichen Hemmnisse für eine robuste Sicherheitsstruktur auf dem Feld der politischen Kultur und der Mentalitäten angesiedelt. Der Verwaltungswissenschaftler Wolfgang Seibel, der sich penibel mit den Fehlleistungen der Sicherheitsbehörden im Fall NSU beschäftigt hat, weist pauschale Vorwürfe eines „strukturellen und institutionellen Rassismus“ der Behörden zurück. Seibel kommt zu dem Ergebnis, dass neben einem Behörden- vor allem ein Politikversagen zu beklagen sei. Er argumentiert, dass die „Flucht aus der Verantwortung auf Seiten einiger weniger Spitzenbeamter und Politiker ausschlaggebend war, die die von ihren Mitarbeitern erarbeiteten Vorschläge zur Erweiterung des Fahndungsansatzes und Effektivierung des Fahndungsapparates nicht aufgegriffen haben“. Effektivere Fahndungsanstrengungen und die dafür nötigen politischen Entscheidungen unterblieben aus „Scheu vor inneradministrativen und innerföderativen Konflikten“. Dies nennt Seibel „Standardpathologien formaler Organisationen“, die durch „distinktives Eliteversagen“ erheblich verschärft wurden.

Die hauptsächlichen Hemmnisse für eine robuste Sicherheitsstruktur sind auf dem Feld der politischen Kultur und der Mentalitäten angesiedelt.

Im Laufe der Zeit setzte sich demnach immer wieder (verwaltungs-)politisches Kalkül gegen fachliche Beurteilungen durch. Seibel spricht hier von einer „Selbstpolitisierung der Verwaltung“, deren Spitzen ja grundsätzlich aus politischen Erwägungen besetzt werden. Die Leiter von Verfassungsschutzabteilungen und Polizeien heißen daher auch „politische Beamte“. Sie werden von den Dienstherren – Politikern – eingesetzt und bei Missfallen ggf. auch sofort wieder abberufen.

Mit Selbstpolitisierung ist gemeint, dass Mitarbeiter die Einstellungen anderer Behörden und insbesondere der politischen Ressortverantwortlichen vorausnehmen. Das ist geradezu Voraussetzung dafür, eine herausgehobene Stelle in einer deutschen (Verfassungsschutz-)Behörde zu erlangen. Die sich daraus ergebene Kosten-Nutzen-Kalkulation berücksichtigt fachliche Belange nur ganz am Rande. Wie Seibel vollkommen zutreffend feststellt, sind „drohender Druck der Öffentlichkeit und damit drohender Legitimations- oder sogar Amtsverlust […] für Politiker und Spitzenbeamte Mobilisierungsfaktoren schlechthin“.

Ist in einem Fall also beispielsweise die Opfergruppe nicht dazu geeignet, eine breite Reaktion der Öffentlichkeit und somit der Presse und der Entscheider hervorzurufen, bleibt alles dem üblichen rechtspositivistischen persönlichen und politischen Opportunitätskalkül unterworfen. Mit anderen Worten: Wenn der Kern und die Motivation der Arbeit nicht die fachlich grundierte Bekämpfung des politischen Extremismus ist, sondern politische Opportunitäten und die Abwehr persönlicher Verantwortung, wird es auch in Zukunft in den Verfassungsschutzämtern wieder zu Fehlleistungen kommen. Auf die Frage, ob er einen Lernerfolg aus dem Versagen bei den NSU-Ermittlungen sehen würde, sieht Seibel kaum Hoffnung – „jedenfalls solange in der öffentlichen Wertung der Akzent ausschließlich darauf gelegt wird, dass es sich um Behördenversagen im engeren Sinn und nicht auch um politisches Versagen gehandelt hat.“

Wenn der Kern der Arbeit nicht die fachlich grundierte Bekämpfung des politischen Extremismus ist, wird es auch in Zukunft in den Verfassungsschutzämtern zu Fehlleistungen kommen.

Ein Teil der oben beschriebenen Defizite lässt sich allerdings auch bei bestem politischen Willen nicht auf Knopfdruck abstellen. Auch haben sich die internationalen Rahmenbedingungen der inneren Sicherheit seit 2001 deutlich geändert. An folgenden sechs Punkten muss Deutschland ansetzen, um den Verfassungsschutz zu reformieren.

Erstens: Die deutschen Inlandsdienste leiden wie alle Sicherheitsbehörden unter einer erstickenden juristischen Überregelung. Dem Beispiel zahlreicher europäischer Partner folgend müssten adäquate, weit gefasste Aufgabenbeschreibungen erstellt werden.

Zweitens: Juristische Überregelung und bürokratische Effizienzverluste sind Zwillinge. Die zunehmende Beschäftigung der Behörden mit sich selbst, Protokoll- und Berichtspflichten, Datenschutzaufwendungen und die parallel zu ihnen aufwachsenden personellen Wasserköpfe müssen radikal reduziert werden. Hier liegen die eigentlichen Potenziale von „Zentralisierung“ und „Priorisierung“: im Verzicht auf Strukturen, die zur Aufgabenerfüllung nichts beitragen.

Drittens: Fehlleistungen und Misserfolge verweisen auch auf ein „distinktes Elitenversagen“ (Seibel). Politische und administrative Spitzen der Behörden haben, statt sachbezogenen Ermittlungen ihren Lauf zu lassen, durch Antizipation des politisch Erwünschten zum Misserfolg der Tataufklärung im Fall NSU beigetragen. Ein zukunftsfähiger Verfassungsschutz bedarf einer konsequenten politischen Führung, die eine sachkundige und wenn nötig kritische Amtsleitung fördert.

Ein zukunftsfähiger Verfassungsschutz bedarf einer konsequenten politischen Führung.

Viertens: Der „Nachrichtendienstleister der Demokratie“ muss die Entstehungsbedingungen, gesellschaftlichen Ursachen und politischen bzw. „zivilgesellschaftlichen“ Treiber von Extremismus untersuchen und in die Gesellschaft übersetzen (need to share). Geheimes Sammeln von Wissen für den Aktenschrank (need to know) war gestern. Diese Aufgabe erfordert den Ausbau fachlich differenzierter, interdisziplinärer Analysekompetenz. Sie steht und fällt mit der Qualität des Personals. Soll das analytische Niveau vieler Partnerdienste erreicht werden, müssen der „rotierende“ Verwaltungsjurist und der „verwendungsbreite“ Generalist Auslaufmodelle werden.

Fünftens: Der Zwang zur regelhaften „Rotation“ muss beendet und Fachkarrieren ermöglicht werden. Neben der „Verwendungsbreite“ muss es auch eine „Verwendungstiefe“ geben. Dies schließt auch eine eigene Verfassungsschutzausbildung mit ein, die als separater Studiengang an den (Fach-)Hochschulen für öffentliche Verwaltung versiertes Personal – analog zur Polizeiausbildung – hervorbringt.

Sechstens: Auch ein analytisch arbeitender Verfassungsschutz kommt nicht ohne nachrichtendienstliche Mittel aus. Es liegt in der Natur seiner Arbeitsgegenstände, dass manche Erkenntnisse zu ihnen unvollständig bleiben müssen und eine vorgespiegelte Fassade nicht durchdringen sollen. Zivilgesellschaftliche „Initiativen“ und investigativer Journalismus sind in einer wehrhaften Demokratie dazu keine Alternative, allenfalls eine Ergänzung.