Wie man der Presse in den letzten Wochen und Monaten entnehmen kann, soll der Schengen-Raum bereits „tot“ sein. Auch wenn das seinen Totengräbern nicht gefallen mag, ist Schengen durchaus lebendig. Den Beweis dafür findet man in der Tatsache, dass die Mitgliedstaaten und die europäischen Institutionen alle Möglichkeiten des Schengener Abkommens nutzen, um seinen Fortbestand zu sichern.

Mit der Schaffung eines Raumes ohne Personenkontrollen an den Binnengrenzen wurden im Schengener Grenzkodex auch die Bedingungen festgelegt, unter denen die Mitgliedstaaten Grenzkontrollen vorübergehend wiedereinführen dürfen, falls eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit besteht. Diese können geplant (sportliche oder politische Großereignisse) oder im Notfall (Attentate) wiedereingeführt werden. Bei der ersten Kategorie dürfen die Kontrollen keinesfalls länger als sechs Monate andauern, bei der zweiten zwei Monate.

 

Lange Zeit wurden die Kontrollen nur für kurze Fristen von bis zu 30 Tagen wiedereingeführt, mittlerweile werden sie für längere Zeiträume angewandt.

Lange Zeit wurden die Kontrollen nur für kurze Fristen von bis zu 30 Tagen wiedereingeführt, mittlerweile werden sie für längere Zeiträume angewandt, denn terroristische Anschläge und die Flüchtlingskrise können eine Bedrohung der öffentlichen Ordnung oder inneren Sicherheit darstellen, die als „anhaltend“ eingeschätzt wird. So haben Deutschland und Österreich zum ersten Mal das volle Potenzial des Schengener Abkommens ausgeschöpft, als sie von September bis November 2015 die Notfall-Kontrollen wiedereinführten und auf der Grundlage des „Verfahrens der geplanten Kontrollen“ fortsetzten, zunächst für die Dauer von drei Monaten – ihre Verlängerung auf insgesamt sechs Monate steht jedoch außer Zweifel.

Doch damit nicht genug. Im Mai 2016 werden diese beiden Staaten die maximale Dauer der erlaubten Kontrollen von acht Monaten (zwei plus sechs Monate) erreicht haben. Nun gibt es im Schengener Abkommen seit 2013 einen „Notfallmechanismus“, nach dem Personenkontrollen für einen Zeitraum von bis zu zwei Jahren wiedereingeführt werden können. Er greift in Ausnahmesituationen, wenn ein oder mehrere Mitgliedstaaten nicht mehr in der Lage sind, die Außengrenze des Schengen-Raums zu sichern, und dieses Defizit das Funktionieren des Schengen-Systems gefährdet. Die Wiedereinführung der Kontrollen wird – nach einer Evaluierung durch nationale Expertinnen und Vertreter der Europäischen Kommission – vom EU-Ministerrat empfohlen beziehungsweise genehmigt.

 

Nur eine Änderung des Abkommens kann einen „Ausschluss“ Griechenlands bewirken.

Genau diese Regelung wenden die europäischen Institutionen gerade an. Wenn die Evaluierung sich auf die Kontrollen an der griechischen Außengrenze bezieht, dann muss die Regelung es Deutschland und Österreich erlauben, die Kontrollen an den Binnengrenzen auch über den Mai hinaus fortzusetzen. Mit anderen Worten, der Notfall-Mechanismus wird ausgelöst, damit die Grenzkontrollen stets im Rahmen des Schengen-Rechts stattfinden. Deshalb erweist sich, nebenbei bemerkt, jede Behauptung, mit dieser Regelung werde Griechenland aus dem Schengen-Raum „ausgeschlossen“, als untauglich. Nur eine Änderung des Abkommens kann einen solchen „Ausschluss“ bewirken.

Schengen wird dann am Ende sein, wenn seine Mitgliedstaaten durch einen Rechtsbruch die Wiedereinführung der Kontrollen an den Binnengrenzen beschließen.

Man sollte sich aber keine Illusionen machen: Schengen wird dann am Ende sein, wenn seine Mitgliedstaaten durch einen Rechtsbruch die Wiedereinführung der Kontrollen an den Binnengrenzen beschließen, das heißt, wenn sie dazu nicht oder nicht mehr befugt sind. Indem die Mitgliedstaaten und die europäischen Institutionen den Mechanismus aktivieren, der es den Staaten erlaubt, Grenzkontrollen für die Dauer von maximal zwei Jahren wiedereinzuführen, setzen sie sich in Wirklichkeit für das Überleben von Schengen ein.