Die Kriegsgefahr scheint weltweit zuletzt deutlich gestiegen zu sein. Sollten direkte Kriege zwischen den Großmächten vermieden werden können, würde der geopolitische Wettbewerb auf den Feldern Wirtschaft und Technologie ausgetragen werden. In der Ära der Globalisierung noch undenkbar, greifen heute alle großen Mächte zu protektionistischen Maßnahmen.

So hat die Biden-Regierung Exportkontrollen und Investitionsbarrieren verschärft. Die Strategie small yard, high fence („kleiner Hof, hoher Zaun“) zielt darauf ab, Chinas Aufschließen zur technologischen Weltspitze zu verlangsamen, indem kleine, klar definierte Sektoren wie Hochleistungshalbleiter durch Handelssanktionen abgeschottet werden.

Die amerikanischen Verbündeten in Asien und Europa fürchten zwar die potenziell verheerenden Auswirkungen einer vollständigen Entkopplung von China, haben sich aber auf eine Strategie zur Risikominimierung verständigt, um einseitige Abhängigkeiten zu reduzieren. Als Reaktion darauf hat China wiederum Exportbeschränkungen für Seltene Erden eingeführt und Importverbote gegen unbotmäßige Staaten verhängt. Zudem verschlechtert Peking kontinuierlich die Rahmenbedingungen für westliche Unternehmen auf dem heimischen Markt.

Nach der russischen Invasion in die Ukraine haben sich Europa und Russland wirtschaftlich weitgehend voneinander entkoppelt. Der Westen hat Sanktionen gegen Russland verhängt und droht Drittstaaten mit sekundären Sanktionen. Russland nutzt China und andere Unterstützer zur Umgehung westlicher Exportverbote. Um ihre Wirtschaften gegen mögliche Sanktionen abzusichern, wickeln die BRICS-Länder einen größeren Teil ihres jeweiligen bilateralen Handels in ihren eigenen Währungen ab.

Die Unterbrechung der Lieferketten während der Pandemie hat einen Paradigmenwechsel hin zu stärkerer Resilienz ausgelöst. Die digitale Automatisierung macht es zudem möglich, trotz höherer Lohnkosten Lieferketten in die Nachbarschaft der Industrieländer (near-shoring) zu verlagern. Die geopolitischen Risiken legen zudem nahe, die Lieferketten zu gleichgesinnten „Wertepartnern“ zu verlegen (friend-shoring).

Die Liste ließe sich fortsetzen, doch der Trend ist klar: Geopolitischer Wettbewerb führt zu geoökonomischen Umbrüchen. In ihrer Summe verändern diese Trends die Funktionsweise der Weltwirtschaft. Das Paradigma verschiebt sich von Effizienz zu Resilienz. Die Globalisierung hat ihren Höhepunkt überschritten. Das Ergebnis ist wohl weniger eine Deglobalisierung als eine Regionalisierung, möglicherweise verschärft durch die Errichtung von Handelsblöcken. Marktinteressen haben nun nicht länger Vorrang; das Primat der nationalen Sicherheitsinteressen ist zurück. Der Staat, lange an den Rand gedrängt, übernimmt wieder die Kontrolle. Unternehmen passen sich hastig an dieses neue Umfeld an. Man kann konstatieren: Das neoliberale Modell ist offiziell tot.

Jenseits taktischer Scharmützel haben die größten Wirtschaftsmächte damit begonnen, ihre Entwicklungsmodelle neu auszurichten. China ist sich des geopolitischen Gegenwinds auf den westlichen Märkten bewusst und versucht, auf eine duale Kreislaufwirtschaft umzusteigen. Der Schock über die strengen Covid-19-Maßnahmen und die Unsicherheit über die Zukunft haben jedoch zu geringeren Verbraucherausgaben geführt. Die schleppende Inlandsnachfrage hat bestehende Probleme im Fertigungssektor und auf dem Immobilienmarkt verschärft und trägt zu einer nur mühsam unterdrückten Bankenkrise bei. Die Bemühungen der Provinzregierungen, diese Situation durch günstige Kredite und Subventionen in den Griff zu bekommen, verschärfen die Überschuldung des Privatsektors sowie des Staates und könnten langfristig zu einer Stagflation führen, wie sie Japan erleben musste.

Obwohl es sich der Risiken protektionistischer Gegenmaßnahmen bewusst ist, steht Peking unter Druck, die Überkapazitäten in den Export zu lenken. Paradoxerweise führt Chinas Strategie, seine Wirtschaft gegen westliche Sanktionen zu immunisieren, indem es technologisch autark wird, zu einer Verschärfung der Überkapazitäten in den Industrien, die es mit aller Kraft fördert. Gelingt es Peking nicht, die Zuversicht seiner Verbraucher – etwa durch bessere Sozial- und Gesundheitsversorgung – zu stärken, könnte der Plan scheitern, die wachsenden Herausforderungen im Export durch höhere Inlandsnachfrage zu kompensieren. Der Übergang von einem Modell, das auf schnelles BIP-Wachstum durch staatlich getriebene Industrie- und Infrastrukturprojekte ausgerichtet ist, zu einer ausgewogeneren Wirtschaft ist eine Herausforderung, insbesondere wenn die derzeitigen Anreize durch das politische Gebot motiviert sind, die Kontrolle über den privaten Sektor zu behalten.

Auch in den Vereinigten Staaten markiert der Inflation Reduction Act die Rückkehr der Industriepolitik. Wie alle großen Volkswirtschaften leiden auch die USA unter schwächelnder Konsumnachfrage. Unabhängig davon, wer nächstes Jahr im Weißen Haus sitzt, wird die Skepsis gegenüber dem Freihandel und das Ziel, Arbeitsplätze für Amerikaner zu schaffen, weiter die Politik bestimmen. Aber nicht nur in den USA, sondern in den meisten OECD-Ländern bestimmen zunehmend Sicherheitsinteressen das wirtschaftliche Denken.

Dieser Wandel verändert die Erfolgsbedingungen für Entwicklung rund um den Globus. Sicherlich werden die Auswirkungen der geoökonomischen Umbrüche je nach geografischer Lage, geopolitischer Verwundbarkeit und Position in den globalen Wertschöpfungsketten unterschiedlich ausfallen. Für einige Rohstoffexporteure kann sich die Politisierung des Marktes durchaus als vorteilhaft erweisen. Andere hoffen darauf, vom geopolitischen Wettbewerb der Großmächte zu profitieren, indem sie sich beispielsweise als sicherer Standort für Lieferketten empfehlen.

Für diejenigen jedoch, die auf das bislang so erfolgreiche Entwicklungsmodell setzen, billigere Arbeitskräfte für eine exportgetriebene, nachholende Industrialisierung zu nutzen, dürfte der Pfad zur Entwicklung steiniger werden. Die Substitution menschlicher Arbeit durch Roboter, Algorithmen und Künstliche Intelligenz in entwickelten Volkswirtschaften untergräbt den komparativen Vorteil billiger Arbeitskräfte. Gleichzeitig machen die sinkende Verbrauchernachfrage und zunehmender Protektionismus den Export in die entwickelten Märkte schwieriger. Darüber hinaus gefährdet die geopolitische Instrumentalisierung des Technologietransfers und der Lieferketten die Fähigkeit der Entwicklungsländer, die Industrialisierungsleiter hinaufzuklettern.

Das Dumping von Chinas Überproduktion auf weniger entwickelten Märkten könnte zu einer Deindustrialisierung führen, wenn heimische Industrien Schwierigkeiten haben zu konkurrieren und zusammenbrechen. Das Navigieren in einer fragilen, fragmentierten und schockanfälligen Weltwirtschaft unterbricht Entwicklungspfade und verschärft Schuldenkrisen. In einer Welt, die von geoökonomischen Umbrüchen geprägt ist, wird eine auf billigen Arbeitskräften und Exporten basierende Aufholindustrialisierung schwierig sein. Das bedeutet, dass Entwicklungsmodelle dringend angepasst werden müssen.

Zur Vorbereitung dieser notwendigen strategischen Debatte ist eine gründliche Analyse der wahrscheinlichen Auswirkungen geoökonomischer Störungen sowie der Reaktionsfähigkeit des staatlichen und privaten Sektors erforderlich. Ein neues Entwicklungsmodell hat allerdings erst dann eine realistische Chance auf Erfolg, wenn es die Kräfteverhältnisse der nationalen politischen Ökonomie berücksichtigt. Denn jede Veränderung des Entwicklungspfades schafft Gewinner und Verlierer; daher ist Widerstand gegen Veränderungen seitens derjenigen zu erwarten, die zu verlieren drohen. Angesichts der einflussreichen Stellung vieler Status-quo-Kräfte in der politischen Ökonomie kann dieser Widerstand die Bemühungen zur Anpassung an das neue wirtschaftliche Umfeld zum Scheitern bringen. Dies erklärt, warum Länder, in denen die Eliten den Staat zu ihrem eigenen Vorteil übernommen haben, im Entwicklungsrennen oft zurückliegen. Daher darf die Suche nach einem neuen Entwicklungsmodell keine rein akademische Übung sein, sondern muss auch das Gleichgewicht der gesellschaftlichen Kräfte berücksichtigen.

Dementsprechend gibt es keine Universallösung. Jedes Land muss einen maßgeschneiderten Ansatz entwickeln, der seinen spezifischen Bedingungen entspricht. Dennoch können einige Leitprinzipien bei diesen Überlegungen hilfreich sein.

Geopolitischer Wettbewerb bietet Chancen. Die Risikominimierungs- und Diversifizierungsstrategien westlicher Länder bringen Investitionen in Länder, die als freundlich wahrgenommen werden. Auch die Verlagerung von Produktionskapazitäten chinesischer Unternehmen in südostasiatische Länder bringen Investitionen und Arbeitsplätze. Allerdings kann die Wahl eines Partners für Infrastrukturprojekte – sei es in den Bereichen Konnektivität, Telekommunikation oder Energie – Einfluss auf Investitionen aus, Handelsbedingungen mit und Marktzugänge zu anderen Ländern haben. Neigt ein Land zu stark einer Seite zu, wird es oft als selbstverständlich angesehen und verliert Manövrierfähigkeit. Daher verfolgen die meisten Länder in der Indopazifik-Region, von einigen Ausnahmen abgesehen, Strategien des Ausgleichs, um nicht Partei ergreifen zu müssen.

Offenheit für Geschäfte mit allen Seiten reicht nicht aus; Länder müssen auch als verlässlich neutral angesehen werden, um als sichere Optionen für robuste Lieferketten in Betracht gezogen zu werden. Die Wahrnehmung ist dabei entscheidend. Alle Schritte, selbst wenn sie ausschließlich durch Geschäftsinteressen motiviert sind, werden heute durch eine geopolitische Linse betrachtet. Rhetorik, die sich an ein inländisches Publikum richtet, kommt bei internationalen Investoren womöglich anders an. Länder müssen ihre Haltung sorgfältig abwägen und ihre Kommunikation fein abstimmen, um diese Wahrnehmungen zu steuern.

Die entscheidende Frage ist, ob strukturelle Trends Länder dazu zwingen können, gegen ihre eigenen Interessen für eine Seite Partei zu ergreifen. Geopolitische Ereignisse können die wirtschaftliche Entwicklung erheblich beeinflussen, und umgekehrt können geoökonomische Störungen Länder dazu zwingen, sich strategisch stärker zu einer Seite hinzuorientieren. Im Falle eines größeren Konflikts im Indopazifik würde der Druck auf viele Länder, sich für eine Seite zu entscheiden, massiv steigen. Selbst Länder, die nicht direkt in Territorialstreitigkeiten oder militärische Konflikte verwickelt sind, würden mit Störungen ihrer Lieferketten konfrontiert sein. In einem Szenario des Kalten Krieges könnte die technologische Zweiteilung Pfadabhängigkeiten schaffen, die Länder dazu zwingen, ihre Lieferketten und ihre Infrastruktur auf Kosten der anderen auszurichten. Für überschuldete Entwicklungsländer ist der Preis für Rettungsaktionen oder Restrukturierungen oft die geopolitische Parteinahme für den Kreditgeber.

Die entstehende Weltordnung wird unübersichtlicher sein als die des letzten Kalten Krieges. Die großen Volkswirtschaften von heute sind eng miteinander verflochten. Sofern es nicht zu einem heißen Weltkrieg kommt, wären die Kosten einer vollständigen wirtschaftlichen Entkopplung unerschwinglich. Sofern die künftige US-Regierung den Systemwettbewerb mit China nicht dramatisch verschärft, dürfte der Großteil der Weltwirtschaft auch weiterhin eng miteinander verwoben bleiben. Dennoch könnte die neue Weltwirtschaft stärker fragmentiert und regionalisiert sowie anfälliger für Krisen und Schocks sein. Alle Länder müssen daher ihre Widerstandsfähigkeit stärken und sich rasch an das neue Umfeld anpassen. Ein besseres Gleichgewicht zwischen Angebots- und Nachfragepolitik macht Volkswirtschaften resilienter gegen geoökonomische Disruptionen. Zudem erleichtert ein nationaler Konsens über die außenpolitische Ausrichtung die Orientierung im komplexen geopolitischen Wettbewerb.