Was haben zwölf Millionen europäische Haushalte, Europas Chemieindustrie und die deutsche Landwirtschaft gemeinsam? Richtig, es sind die hohen Treibhausgas-Emissionen. Alle drei Bereiche haben in den vergangenen fünf Jahren mehr als 50 Millionen Tonnen Treibhausgase ausgestoßen – nicht gemeinsam, wohlgemerkt, sondern jeder für sich. Dass diese Emissionen die Klimakrise dramatisch verschärfen, liegt auf der Hand, und immerhin wird darüber in der Öffentlichkeit und auf politischer Ebene seit Jahren diskutiert.
Weitaus weniger bekannt ist aber, dass sich schon bald ein Klimasünder ähnlichen Kalibers dazugesellen dürfte: die europäische Halbleiterindustrie, deren Ausbau von der EU und einigen Mitgliedstaaten massiv vorangetrieben wird. Mit ihren energieintensiven Prozessen, umweltschädlichen Chemikalien und ihrem hohen Wasserverbrauch droht sie zu einem echten Hindernis auf dem Weg Europas in eine grüne Zukunft zu werden. Die gute Nachricht: Auch in der Chipindustrie ist es möglich, technologischen Fortschritt konsequent mit Umwelt- und Klimaschutz zu verbinden. Damit das gelingt, müssen wir allerdings unverzüglich und vorausschauend handeln – und einen sehr genauen Blick auf die Besonderheiten der Halbleiterfertigung werfen.
Mehr als vier Jahre ist es her, dass der damalige EU-Kommissar für den Binnenmarkt Thierry Breton auf der Hannover Messe erstmals öffentlich die strategische Relevanz von Halbleitern hervorhob und massive Investitionen in die europäische Halbleiterfertigung ankündigte. Seitdem ist viel passiert. Besonders das im europäischen Chip-Gesetz festgeschriebene Ziel, bis 2030 mindestens 20 Prozent der globalen Halbleiterfertigung in Europa stattfinden zu lassen, ist in den Köpfen hängen geblieben und wird zu jedem symbolischen Spatenstich aufs Neue kontrovers diskutiert.
An Begründungen, warum dieser massive Ausbau nötig ist, mangelt es nicht. Da fallen zum einen oft Schlagworte wie Stärkung der technologischen Wettbewerbsfähigkeit und der wirtschaftlichen Sicherheit in geopolitisch dynamischen Zeiten. Immer wieder ist auch die Rede davon, dass die Halbleitertechnologie ein Schlüssel für die sogenannte Green Transition sei; allerdings beschränkt sich die Förderung hier vor allem auf kleinere Forschungs- und Entwicklungsprojekte.
Der Ausbau der Halbleiterfertigung wird wegen seiner hohen Emissionen der europäischen Klimaneutralität im Wege stehen.
All das mag zutreffen, doch über einen der wichtigsten Aspekte wird auffallend wenig gesprochen: Der Ausbau der Halbleiterfertigung wird wegen seiner hohen Emissionen der europäischen Klimaneutralität im Wege stehen, wenn wir nicht jetzt die Weichen für eine grünere Produktion stellen. Je länger das Problem politisch ausgeblendet wird, desto größer wird es, zumal es sich nicht von heute auf morgen lösen lässt.
Was tief an der Wurzel fehlt, ist eine europäische Halbleiterstrategie mit umsetzbaren Zielen, die Umwelt- und Klimapolitik von vorneherein konsequent mitdenkt. Europa wird es nicht gelingen, der erste klimaneutrale Kontinent zu werden und technologische Wettbewerbsfähigkeit zu stärken, wenn beides – die sogenannte twin transition – nicht zusammen betrachtet wird. Eine Strategie, die beides gleichermaßen im Blick behält, würde der technologischen Wettbewerbsfähigkeit nicht nur nicht schaden, sondern Europa im besten Fall sogar einen Standortvorteil verschaffen.
Doch wie kann das gelingen? Blicken wir zunächst einmal auf die Besonderheiten des Fertigungsprozesses. Halbleiter sind winzig, technisch hochkomplex und werden vielfältig eingesetzt, je nach Funktion in unserer digitalisierten Welt – ein moderner Prozessor im Smartphone hat wenig mit dem Leistungshalbleiter zum Laden eines E-Autos gemeinsam. Als Basistechnologie hängt das Überleben zahlreicher Sektoren von ihnen ab; zugleich sind Chips der Motor des technologischen Fortschritts.
Die Stärken des europäischen Halbleiterökosystems sind ähnlich komplex und vielfältig. Europäische Unternehmen sind vielfach Marktführer oder haben sogar Monopolstellungen – in den Zulieferermärkten zum Beispiel im Bereich Maschinen und Fertigungsanlagen sowie Chemikalien. Wenn es darum geht, den Einsatz von Wasser oder Energie zu reduzieren oder alternative Chemikalien zu entwickeln, die einen geringeren ökologischen Fußabdruck haben, ist das Potenzial dementsprechend groß.
Europa könnte mit grüneren Fertigungstechnologien vorangehen und so zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen.
Europa könnte mit grüneren Fertigungstechnologien vorangehen und so zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Emissionen in der europäischen Produktion würden reduziert und in der Folge würde sich langfristig ein globaler Wettbewerbsvorteil entwickeln. Das alles wird nicht von heute auf morgen passieren. Alternativen für Ewigkeitschemikalien und fluorierte Gase werden sogar noch ein Jahrzehnt auf sich warten lassen, wenn wir jetzt handeln. Hierfür braucht es deutlich höhere Investitionen in Forschung und Entwicklung und in die richtige Infrastruktur.
Europäische Unternehmen sind außerdem marktführend in den Bereichen Sensorik, Automobilchips und Leistungshalbleiter, um nur einige Beispiele zu nennen. Vor dem Hintergrund der amerikanisch-chinesischen Technologierivalität und des KI-Booms wurde zuletzt viel über „modernste“ und „cutting-edge“-Chips mit kleinsten Strukturbreiten gesprochen, die zum Beispiel neue Smartphone- oder Servergenerationen leistungsfähiger machen. Doch gerade bei diesen Chips handelt es sich in den meisten Fällen nicht um Wegbereiter des grünen Wandels.
Dafür sind vielmehr Halbleiter mit größeren Strukturbreiten unersetzlich, die sich nicht wegen ihrer Rechenleistung, sondern aufgrund unterschiedlichster physikalischer Eigenschaften auszeichnen. Ein Beispiel sind Leistungshalbleiter auf der Basis von Galliumnitrid (GaN), die anstelle von Silizium unter anderem in Wechselrichtern für Photovoltaikanlagen oder der Ladeinfrastruktur für elektrische Fahrzeuge zum Einsatz kommen. Trotz hoher Markt-Eintrittsbarrieren holen chinesische Unternehmen in diesen Bereichen immer weiter auf.
Damit Europa hier auch langfristig wettbewerbsfähig bleibt und seine Führungsposition weiter ausbauen kann, braucht es verstärkte politische Aufmerksamkeit und zielgerichtete Investitionen, die über kleine Forschungs- und Entwicklungsprojekte hinausgehen. Dass dieser Fokus bislang fehlt, zeigt der jüngste Fall des belgischen Unternehmens BelGaN: Obwohl dieses junge Unternehmen mit seiner GaN-Technologie einen wichtigen Beitrag zur Elektromobilität und zur Energiewende leisten könnte, musste es Anfang August Insolvenz anmelden.
Wettbewerbsfähigkeit und ökologische Nachhaltigkeit schließen sich nicht aus.
Die zweite Säule des EU Chips Act, die Subventionierung der Halbleiterfertigung, die es in Europa so bisher nicht gab, ist der wichtigste Treiber für den Ausbau der Chipproduktion, einzelne Bauvorhaben werden mit zweistelligen Milliardenbeträgen unterstützt – viel Zuckerbrot, wenig Peitsche. Hier gibt es die bisher ungenutzte Möglichkeit, diese hohen Subventionen an Minimal-Anforderungen zu knüpfen, um Unternehmen zu möglichst nachhaltiger Fertigung zu verpflichten. Dieser Ansatz könnte zum Beispiel den kontinuierlichen Ausbau lokaler erneuerbarer Energien umfassen. Auch könnte festgeschrieben werden, dass der hohe Wasserverbrauch durch einen festgelegten Anteil an Wasserrecycling ausgeglichen wird. Denkbar wäre auch, dass ein bestimmter Anteil der Investitionen in die Erforschung und Entwicklung nachhaltigerer Halbleiter fließen muss.
Auch wenn es wie eine Binsenweisheit klingt: Um das Nachhaltigkeitsproblem in der Chipfertigung zu lösen, ist ein ganzheitlicher Ansatz nötig, der Aspekte der wirtschaftlichen und nationalen Sicherheit, geopolitische und ökonomische Abhängigkeiten, das Ziel der Wettbewerbsfähigkeit und den Umwelt- und Klimaschutz gleichermaßen in den Blick nimmt. Nur so lassen sich politische Initiativen entwickeln, die nicht einem Teil der Ziele zuwiderlaufen. Ein Beispiel ist das Green CHIPS Program des Bundesstaats New York, das öffentliche Finanzierung daran knüpft, dass sozial-ökologische Standards eingehalten und nachhaltige Fertigung gefördert wird. In Europa hingegen kollidiert der Ausbau der Halbleiterfertigung mit dem Vorhaben, Ewigkeitschemikalien wie PFAS zu verbieten. Diese fehlende Koordination ließe sich überwinden, indem internes Wissen nicht nur erweitert, sondern auch mit anderen geteilt wird.
Angesichts einer Vielzahl internationaler Krisen waren die politischen Maßnahmen der letzten Jahre oft reaktiv und einseitig auf wirtschaftliche Sicherheit ausgerichtet. Das mag im Einzelfall verständlich gewesen sein, hat aber dazu geführt, dass das Klima- und Umweltproblem im Chipsektor massiv vernachlässigt wurde. Es ist höchste Zeit, dass sich das ändert. Jetzt ist Weitsicht gefragt. Eine langfristig angelegte Halbleiterstrategie, die auf Europas „grünen“ Stärken aufbaut und klare Rahmenbedingungen für eine nachhaltigere Produktion schafft, kann die Kosten der Green Transition senken und Europa als Technologie- und Klimaschutzvorreiter positionieren. Wettbewerbsfähigkeit und ökologische Nachhaltigkeit schließen sich nicht aus – doch um beides zu verbinden, müssen die Weichen schon jetzt gestellt werden.