Ein Gespenst geht mal wieder um in Europa, und dieses ist von der wahrlich garstigen Sorte: das Gespenst der De-Industrialisierung. Einige Ewiggestrige wollen es nun als Lösung verkaufen, unverdrossen gestrige Wege zu beschreiten. Klingt erstmal verlockend, ist aber der sichere Weg in den endgültigen Abgesang auf die europäische Industrie. Die Zukunft gewinnt man nur mit den Schlüsseltechnologien der Zukunft. Und die sind clean. Zugegeben, die Ausgangslage in Europa ist nicht gemütlich. Bestenfalls lässt sie sich mit „herausfordernd“ beschreiben. Europa muss sich über die beste Strategie klar werden – und das schnell. Denn einerseits setzt der Industrie die chinesische Konkurrenz nicht nur in Europa zu, sondern auch auf den Weltmärkten. Die Melange aus günstigeren Produktionskosten und massiver Subventionierung einerseits und Spitzentechnologie andererseits heizt die Überproduktion an. Und der abermalige Einzug Donald Trumps ins Weiße Haus verheißt weiteres Ungemach.

Erpressung könnte das Motto der Stunde werden. Und da sitzt Europa in strategischen Bereichen am kürzeren Hebel. Trump dürfte nicht nur Sicherheit in die Waagschale werfen, sondern auch Energie. Genauer: die Flüssiggas-Lieferungen der USA, mit denen Europa den Ausfall russischen Gases kompensiert. Als Gegenleistung könnte er ein Einschwenken Europas auf den Anti-China-Kurs fordern. Den aber hält Europa für überzogen. Und könnte ihm auch, mit Blick auf die eigene Ausgangslage, kurz- und mittelfristig schlicht nicht folgen. Denn China wiederum sitzt bei vielen Rohstoffen wie Seltenen Erden und verarbeiteten Vorprodukten am längeren Hebel und kann die Europäer mit Vergeltungsaktionen arg treffen. Was also hat Europa in die Waagschale zu werfen? Oder anders gesagt – womit könnte Europa in beide Richtungen den Einsatz erhöhen?

Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte. Schwieriger wird es, wenn alle drei im Clinch liegen. Die Spieltheorie empfiehlt hier dem schwächeren Part, in die Luft zu schießen, sich also erst mal rauszuziehen und die anderen ins Duell zu schicken. Also: China und die USA unter Trump duellieren sich und Europa guckt zu, wie sie sich gegenseitig fertig machen? Nun, so einfach dürfte es nicht werden. Denn Zeit, die hat Europa eben nicht.

Der künftige Wohlstand der Länder hängt davon ab, dass sie Teil der Lieferkette für saubere Energie sind.

Klar ist, dass bei der strategischen Antwort an Clean Tech  kein Weg vorbeiführt. Der künftige Wohlstand der Länder hängt davon ab, dass sie Teil der Lieferkette für saubere Energie sind. Verliert Europa hier den Anschluss, dann sind industrieller Abstieg und globaler Bedeutungsverlust vorprogrammiert. Passenderweise hat sich die neue EU-Kommission die Themen Innovation, Wettbewerbsfähigkeit und Resilienz ganz oben auf die Fahne geschrieben. Es gilt, die Innovationslücke zu den USA (und zunehmend auch China) zu schließen und die Abhängigkeit von China bei Rohstoffen und Technologie abzubauen. Dafür braucht es zuerst mal einen verlässlichen Rahmen rund um eine abgestimmte und vorausschauende Wettbewerbs-, Industrie- und Handelspolitik. Ohne eine überzeugende Strategie gibt es kein Cash des Privatsektors. Ohne Cash des Privatsektors gibt es keinen klimaneutralen Umbau. 

Was aber bedeutet Trumps lautstarker Abgesang auf Clean Tech für die USA selbst und welche Folgen ergeben sich für Europa? Hier gibt es zwei diametrale Deutungen. Ungeachtet aller medienwirksamen Schimpfkanonaden werde die Dynamik in der Entwicklung und Herstellung von Clean Tech-Produkten auch in den USA anhalten, so eine Sichtweise, die durchaus mehrheitsfähig scheint. Es dürfte politisch schwierig sein, Joe Bidens Investitionsprogramm, den Inflation Reduction Act (IRA), außer Kraft zu setzen, und ohnehin ist ein Großteil der Gelder bereits vergeben. Und auch die Chancen im geopolitischen Wettbewerb und auf dem Feld der Energiesicherheit sehen die Optimisten hier als Garanten. Dies gilt umso mehr, als dass gerade republikanisch regierte Bundesstaaten stark vom IRA profitieren. Investitionen in Höhe von 80 Milliarden  US-Dollar könnten in andere Länder verlagert werden. Zudem könnte die USA Verluste in Höhe von bis zu 50 Milliarden  US-Dollar bei den Exporten erleiden, so ein neuer Bericht. Hinzu kommt, dass amerikanische Unternehmen bei der Beschaffung von Komponenten vermehrt auf externe Zulieferer angewiesen wären – und wegen der angedrohten Zölle würden diese dann noch teurer.

Ein weiteres Argument setzt auf die geopolitische Schiene: Selbst Trump werde erkennen, dass man China dieses strategische Feld im Rest der Welt nicht einfach überlassen sollte. Fest steht, dass die US-amerikanische  Clean Tech-Präsenz in Schwellenländern bislang als ausbaufähig gilt. Wer China nun ziehen lasse, der würde auf lange Zeit nur die Rücklichter sehen.

Neben unmittelbaren Gefahren für die eigenen Exporte in die USA birgt Trumps Wahlsieg auch großes Potenzial für China.

Der Kollateralschaden für die Volksrepublik dürfte so oder so übersichtlich sein. Das erklärt auch die betonte Gelassenheit, die man in Peking angesichts von Trumps Wahlsieg bislang an den Tag legt. Zwar sieht die eigene ökonomische Ausgangslage angesichts von Wirtschaftsflaute, Konsumverzicht, hoher Arbeitslosigkeit bei den Jungen und wachsender Verschuldung auch nicht rosig aus. Aber Clean Tech und die Ausweitung von Export und Produktion in anderen Teilen der Welt gelten gerade wegen dieser Probleme als Königsweg, der noch intensiver zu beschreiten ist. Neben unmittelbaren Gefahren für die eigenen Exporte in die USA birgt Trumps Wahlsieg auch großes Potenzial für China. Dies gilt insbesondere längerfristig, und bei langfristiger Planung hat China traditionell die Nase vorn.

Wo in Europa Förderprogramme und Innovationstöpfe von einem Tag auf den anderen gestutzt werden und die Wirtschaft durch diesen Kurs inzwischen hochgradig verunsichert und entsprechend investitionsabgeneigt ist, da folgt die Volksrepublik weit mehr als nur den bekannten Fünfjahresplänen. Clean Tech inklusive Rohstoffe und Vorprodukte ist bereits ein scharfes Schwert Chinas in der internationalen Handelspolitik. Und es ist auf dem besten Weg zum scharfen geopolitischen Schwert. Dies gilt umso mehr, wenn zur Wirtschaftspolitik die internationale Klimadiplomatie dazukommt, was sich derzeit massiv andeutet. Wo die USA ausfallen, da will Peking verstärkt als verlässlich und engagiert auftreten. Für die Europäer ist auch das nicht ohne Risiko – fallen die USA aus, dann könnten sie schnell als Bad Guys  der internationalen Klimaverhandlungen dastehen, wenn die gewünschten Zusagen ausbleiben.

Hier scheinen die Befürchtungen durchaus größer als die Hoffnungen. Die Stimmen, die dem einstigen und noch immer in Teilen Clean Tech-Vorreiter gute Möglichkeiten attestieren, von einem Ausfall der USA zu profitieren, sind leise geworden. Angesichts der Bedeutung der USA sowohl für Exporte als auch als Produktionsstandort europäischer Firmen ist das einerseits verständlich. Andererseits ist Wirtschaft zuvorderst Psychologie. Und da würden etwas mehr Zuversicht und Kampfgeist durchaus guttun. Günstige und sichere Energie befeuert Wirtschaft und Wohlstand – daran wird sich auch künftig nichts ändern. Nur, die Quelle ist zunehmend eine andere. Die Zukunft gehört Solar- und Speichertechnologien, denn angesichts rasant fallender Preise wird der Kostenabstand zur fossilen Energie immer größer. Da kann Trump drillen, so viel er will.

Chinas geostrategischer Blick auf saubere Technologien lässt sich nur mit eigenem Engagement ausbalancieren.

Ehrgeizig und konsequent sollte sich Europa jetzt zeigen und einen Fahrplan vorlegen, der fairen Klimaschutz ebenso ermöglicht wie saubere Investitionen zu Hause und bei den Partnern sowie industrielle Wettbewerbsfähigkeit weltweit. Dazu gehört auch die Mobilisierung von Kapital für saubere Energie in den Ländern des Globalen Südens. Denn für Europa gilt hier dasselbe wie für die USA: Chinas geostrategischer Blick auf saubere Technologien lässt sich nur mit eigenem Engagement ausbalancieren.

China hat einen Plan. Die USA haben markige Slogans. Und die EU? Braucht nun beides. Und noch dringender: Geschlossenheit. Sonst könnten die Opponenten sie zum Frühstück verspeisen. Teile und gib die Richtung vor – das beherrschen sowohl China als auch Trump sehr gut. Und auch beim kostspieligen Umbau der Volkswirtschaft führt kein Weg an einer konzertierten Aktion vorbei. Ein großer Wettbewerbsvorteil sowohl Chinas als auch der USA ist die schiere Größe ihrer Märkte. Hier muss Europa das gesamte Gewicht seines Binnenmarktes in die Waagschale werfen. Es ist Zeit, sich am Riemen zu reißen – und zwar am gemeinsamen.

Eine kürzere Version dieses Artikels erschien in englischer Sprache bereits auf euractiv.