Al Gore und der Milliardär Richard Branson, Gründer der Virgin Fluggesellschaft, starteten im Jahr 2007 einen Wettbewerb: 25 Millionen US-Dollar gab es für „kommerziell tragfähige Entwürfe, dauerhaft Treibhausgase aus der Atmosphäre zu entfernen.“ Die Aktion markierte den Höhepunkt des Hypes um Geoengineering, ein Sammelbegriff für verschiedenste Ideen, die globale Erwärmung technologisch „abzukühlen“. Die Gewinner des damaligen Wettbewerbs wurden in Alberta gekürt – unter Schirmherrschaft der kanadischen Teersand-Industrie. Schnell stellte sich heraus, dass Geoengineering wenig mehr ist als ein PR-Coup mit Al Gore. Dass die Debatte darum nun wieder aufbricht, ist absurd und besorgniserregend.
Für die Teersand-Manager ist Geoengineering eine „Du kommst aus dem Gefängnis frei“-Karte. Die Industrie, die Kanadas Urwälder in eine Art Mordor verwandelt, ist einer der größten CO2-Emittenten weltweit – und der vielleicht größte Fan von Geoengineering. Dieser Fanclub war lange relativ exklusiv. Zu den anderen Mitgliedern zählten Ölgiganten wie Shell („eine großartige Debatte“) oder Kohle-Konzernen wie RWE („wegweisend“ und „fortschrittlich“).
Geoengineering ist eine Phantomdiskussion. Nur wenn wir aufhören, skandalöse 6,5 Prozent des weltweiten Bruttosozialprodukts in direkte und indirekte Subventionen fossiler Energieträger zu stecken, wird der Klimawandel gestoppt.
In Deutschland freuten sich Kohle-Konzerne vor allem über CCS (Carbon Capture and Storage), die Möglichkeit CO2 bei der Verbrennung abzutrennen und unterirdisch zu speichern. David Reiner von der Universität Cambridge untersuchte CCS-Projekte auf der ganzen Welt und musste feststellen,dass die meisten frühzeitig endeten. CCS sei schlicht zu teuer. Im größten existierenden CCS-Projekt besteht die akute Sorge, dass die gespeicherten Treibhausgase wieder austreten. In Algerien wurde ein CCS-Projekt gestoppt, nachdem es Erdbeben ausgelöst hatte.
CCS steht in einer Reihe mehr oder weniger surrealer Ideen, wie das Weltklima manipuliert werden könnte: Wissenschaftler der University of Edinburgh hatten die Idee, riesige Schiffe zu entwickeln, die Meerwasser in Tropfenform in die Luft schießen. Das sollte Wolken aufhellen und mehr Sonnenstrahlen ins All zurückreflektieren. Die Kosten liegen bei mehreren hundert Millionen Euro. Vor allem ist aber unklar, wie sich ein solches Projekt auf Wetter und Klima auswirken würde.
Forscher aus Arizona wollten ebenfalls die Sonneneinstrahlung reflektieren: Ihre Idee war, 16 Billionen Silizium-Teilchen mit speziellen Kanonen ins All zu schießen. Die Auswirkungen auf Wetter und Klima sind bislang ebenso unklar wie die praktische Umsetzung.
Bereits in den 80er Jahren plante der Klimaforscher Wallace Broecker, große Mengen Schwefeldioxid mittels Flugzeugen in die Atmosphäre zu blasen. Etwa 20 Jahre später griff der Chemie-Nobelpreisträger Paul Trutzen die Ideen auf und schlug vor, 1,5 Millionen Tonnen Schwefelpartikel in die Atmosphäre zu injizieren. Der Effekt käme einem gigantischen Vulkanausbruch gleich und würde – das ist zumindest wahrscheinlich – das Klima abkühlen, aber auch die Ozonschicht zerstören. Die Folgen für regionale Klimazonen wären enorm, katastrophale Unwetter oder Dürren könnten eintreten. Bill Hare, Gründer und CEO von Climate Analytics nennt die Idee, Sonneneinstrahlung zu manipulieren „grundlegend unklug und grundlegend nutzlos“. „Wir verstehen die Auswirkungen nicht. Was wir verstehen, sagt uns, dass wir sehr besorgt sein müssen über diese Technologien.”
Alle existierenden Geoengineering-Technologien leisten entweder keinen signifikanten Beitrag zum Klimaschutz, bergen katastrophale Risiken oder beides.
Forscher des Alfred-Wegner-Instituts aus Bremerhaven machten sich mit sechs Tonnen Eisen auf ins Südpolarmeer. Der Plan: den Klimawandel mit Algen bekämpfen. Sie binden CO2 und sinken dann auf den Meeresboden ab. Mit dem Eisen wollten man diese Algen großflächig düngen. Es kam aber nicht zur erhofften Vermehrung: Am meisten nutzte das Experiment dem Flohkrebs, der alle Algen fraß, bevor ein nennenswerter Effekt fürs Klima herauskam.
Alle existierenden Geoengineering-Technologien leisten entweder keinen signifikanten Beitrag zum Klimaschutz, bergen katastrophale Risiken oder beides. Dennoch erlebt Geoengineering eine kleine Renaissance in der Klima-Debatte. Das Ziel des Pariser Klimaabkommens, die globale Erwärmung auf 1,5 Grad zu beschränken, erzeugt extrem großen Handlungsdruck. Spätestens 2020 müssen die globalen Emissionen sinken.
Insbesondere der anstehende Report des Weltklimarats (IPCC) zum 1,5-Grad-Ziel befeuert die Debatte: Leaks des bisherigen Entwurfs deuten darauf hin, dass das 1,5-Grad-Ziel inzwischen überschritten wird und dann nur mit negativen Emissionen die Temperaturkurve wieder nach unten korrigiert werden kann.
Bereits der letzte Report des IPCC erwähnte Geoengineering: Verschiedene Szenarien beinhalteten BECCS (Bioenergy with Carbon Capture and Storage). Die Idee ist, Treibhausgase zu binden, indem man schnellwachsende Bäume oder andere Pflanzen großflächig kultiviert und diese im Anschluss verbrennt, vorausgesetzt das CO2 ließe sich abtrennen und unterirdisch mittels CCS lagern. Grund dafür ist schlicht, dass sich die Technologie und ihre negativen Emissionen besonders gut in Szenarien zukünftiger Emissionen einbauen lassen – unabhängig von der praktischen Umsetzbarkeit.
Ist Geoengineering also die Ultima Ratio, weil die Zeit drängt? Bei allen Unsicherheiten bezüglich dieser Technologien ist zumindest eines gewiss: Sie sind bestenfalls ungenügend ausgereift, um einen nennenswerten Beitrag zum Klimaschutz zu leisten. Und gerade weil die Zeit drängt, dürfen wir keinen Scheinlösungen aufsitzen.
Peter Riggs ist einer der führenden Experten zu „natürlichen Klimalösungen“. Das sind Maßnahmen wie Aufforstung, die ebenfalls negative Emissionen erzeugen. Für den 1,5-Grad Report des IPCC hat er analysiert, welchen Beitrag diese leisten können und sieht neben zahlreichen positiven Effekten einen klaren Vorteil gegenüber Technologien wie BECCS: „Natürliche Klimalösungen“ sind bereits heute – und somit rechtzeitig – verfügbar.
Geoengineering ist eine Phantomdiskussion. Sie lenkt ab von den zentralen Herausforderungen: Nur wenn wir aufhören, skandalöse 6,5 Prozent des weltweiten Bruttosozialprodukts in direkte und indirekte Subventionen fossiler Energieträger zu stecken, wird der Klimawandel gestoppt. 100 Prozent erneuerbare Energien brauchen kein CCS. Deutschland produziert so viel Stromüberschuss, dass es seine 20 ältesten Braunkohlekraftwerke sofort stilllegen könnte.
Geoengineering wird auf absehbare Zeit nicht mehr sein können als ein Feigenblatt in der PR-Strategie der Kohle- und Ölkonzerne. Wer daran noch einen Zweifel hat, sollte einen Blick auf die Think Tanks und Lobby-Gruppen werfen, die sonst bei jeder Gelegenheit den Klimawandel leugnen: Das ultra-konservative Cato Institute oder die Koch Brothers sind begeisterte Unterstützer von Geoengineering. Sie stehen wirklich nicht in dem Verdacht, sich um den Klimawandel zu sorgen.