Sie haben kürzlich eine neue Auflage ihres wegweisenden Buches „Wohlstand ohne Wachstum“ herausgebracht. Was hat sie dazu bewogen? Was hat sich in der Postwachstumsdebatte seit 2009 verändert?

Einiges. Seit der Veröffentlichung des Buches haben wir – auch auf Grund der Finanzkrise – viel Neues über das Bankensystem und die Mechanismen der Weltwirtschaft gelernt. Wir haben aber auch erkannt, dass wir dringend einer neuen Vision der Ökonomie bedürfen. Dem wollte ich gerecht werden. Nicht so sehr die Argumente haben sich verändert als unser Verständnis dafür, was genau getan werden muss, um diese neue Form der Wirtschaft, und der Wirtschaftswissenschaften, zu schaffen. Eine „Wirtschaft die funktioniert“ ist keine ferne Utopie, sondern eine präzise und definierbare Sache. Das wollte ich in der zweiten Auflage betonen.

Erstaunlich ist aber, dass der Mainstream an vielen seiner alten Annahmen und Ideen nach wie vor festhält.

Sie sagen, wir brauchen eine neue Form der Wirtschaftswissenschaft. Ist es nicht erstaunlich, dass sich die VWL, also ihr eigenes Fach, so wenig geändert hat seit der Finanzkrise?

Es stimmt, dass sich die VWL nicht sehr verändert hat. Interessanterweise, denn es gab für sie ziemliche Herausforderungen, nicht zuletzt von den Studierenden selber. Zu den ermutigenden Erlebnissen nach der Veröffentlichung der ersten Auflage gehörte, dass Studierende auf mich zukamen und fragten „wo können wir diese Lehre herbekommen?“ Und manche von ihnen haben diese Frage weitergetragen, bis in ihre Fakultäten, zu ihren Professoren, und in die Wissenschaft selbst. Einige haben Bücher veröffentlicht, die das in Frage stellen, was sie die Hegemonie der neoklassischen Ökonomie nennen. Es gab also durchaus Veränderungen. Das Institute for New Economic Thinking [das der Investor George Soros gestiftet hat, Anm. d. Redaktion] zum Beispiel bietet jungen Ökonomen eine Plattform, wirklich Dinge anders zu machen, anders zu denken.

Erstaunlich ist aber, dass der Mainstream an vielen seiner alten Annahmen und Ideen nach wie vor festhält. Aber dabei geht ihm die Puste aus. Eine der wichtigsten Ideen, die seit der Krise entstanden sind, ist zum Beispiel, dass die entwickelten Volkswirtschaften nicht einfach die Wachstumsraten wiedererlangen werden, auf die man sich vor der Krise verlassen hat. Und das liegt nicht nur an der Krise, es liegt viel tiefer in der Struktur und der Funktionsweise unserer Volkswirtschaften. Diese Idee der sogenannten säkularen Stagnation hat sich sogar im Mainstream etabliert.

Die deutsche Wirtschaft wächst weiterhin vergleichsweise stark. Läuft es in Deutschland zu gut, als dass wir anfangen können anders zu wirtschaften? Gibt es eine Postwachstums-VWL in Deutschland?

Stimmt, es läuft recht gut in Deutschland. Aber die deutschen Reaktionen auf die erste Auflage meines Buches – und jetzt auch wieder auf die zweite – waren viel freundlicher als hier in Großbritannien: selbst die deutsche Regierung nimmt es ernster als die britische. Das Buch wurde Teil einer größeren Debatte in Deutschland, die es so im Vereinigten Königreich nicht gibt. Das hat mich überrascht, und ich habe keine abschließende Antwort, warum das so ist. Es liegt vielleicht an der Führungsrolle, die Deutschland in Europa spielt. Andererseits aber auch an einer intellektuellen Tradition, die im Vergleich zur angelsächsischen Welt kritischer ist. Deutschland hatte ja schon Jahrzehnte vor der Krise das Model einer sozialen Marktwirtschaft, das ja auch wiederum in gewissen Gegensatz zum angelsächsischen Model steht.

Es gibt keine Erde, auf der zehn Milliarden Menschen so leben können, wie US-Amerikaner heute.

Immer mehr Menschen sind der Ansicht, dass wir anders konsumieren, produzieren, investieren und arbeiten müssen, um auf diesem Planeten zu überleben. Auf der anderen Seite wird Donald Trump mit einer Botschaft gewählt, die genau das verneint. Gibt es hier einen Zusammenhang?

Seit der Finanzkrise hat es eine intensive Auseinandersetzung gegeben zwischen all denen die sagten: „diese alten Lösungen funktionieren nicht mehr“. Da gab es Podemos in Spanien, Syriza in Griechenland, die Occupy-Bewegung. Sie alle kritisierten die Ungerechtigkeit und das Versagen der politischen Eliten. Es gab einen Kampf um das Aufkommen einer populistischen Linken, und er fand vor allem in Griechenland statt. Syriza forderte den Autoritarismus der Troika heraus. Als Griechenland – trotz einem gegenteiligen demokratischen Votum – den Bedingungen der Eurozone schlussendlich aber zustimmte, zeichnete sich ein Wendepunkt ab. Die populistische Linke ging von nun an rückwärts und ließ eine politische Lücke entstehen. Die Legitimität des existierenden Systems war immer noch herausgefordert, aber es gab keinen Herausforderer mehr. Und der Aufstieg einer Person wie Trump ist fast schon pathologisch. Diese vermeintliche Gallionsfigur gegen die Eliten ist eine superreiche Person, die ihr Geld auf Kosten der ärmsten Menschen in der Gesellschaft gemacht hat. Wir haben, wenn man so will, den progressiven Kampf gegen Austerität und Ungleichheit verloren – und an seiner Stelle steht nun sowas wie ein autoritärer Prototyp. Es ist die dunkle Seite dessen, was wir als sozialen Fortschritt kreieren wollten. Aber es ist nicht das Ende des Spiels.

Forscher an der Universität von Lund haben kürzlich argumentiert, dass die beste Klimaschutzmaßnahme für einen Menschen im Westen sei, keine Kinder zu bekommen. Wie sehen Sie das? Was ist die Beziehung zwischen Postwachstumsökonomie und Demographie?

Die zwei Faktoren, die zu einem unnachhaltigen ökologischen Einfluss des Menschen auf die Erde führen, sind einerseits die Größe der Bevölkerung und andererseits ihr Wohlstand. Einerseits ist das also eine sehr offensichtliche Aussage, denn auch in den nächsten 50 Jahren werden die Menschen im Westen den größten ökologischen Fußabdruck haben und einen unverhältnismäßig hohen Anteil der Ressourcen auf der Welt konsumieren. Und dieses Konsumverhalten auf zukünftig zehn Milliarden Menschen zu übertragen ist einfach nicht möglich. Es gibt keine Erde, auf der zehn Milliarden Menschen so leben können, wie US-Amerikaner heute. Das ist eine Illusion.

Aber ist die Schlussfolgerung deshalb, in den entwickelten Ländern keine Kinder zu bekommen?

Eigentlich existiert das demographische Problem eher in den Ländern, wo Frauen keinen Zugang zu Verhütungsmitteln haben, und wo die Kindersterblichkeit höher ist. Dort wird es eine massive Explosion der Bevölkerung geben. Und in den entwickelten Ländern führt das Fallen der Geburtenrate seinerseits zu großen Problemen mit den Sozialsystemen. Ich verstehe schon, wo das Argument herkommt, aber die Aufforderung, keine Kinder zu bekommen läuft so sehr grundlegenden Aspekten des Menschlichen zuwider. Ich finde es keinen sehr guten Vorschlag.

Das bedingungslose Grundeinkommen ist wahrscheinlich nicht so effektiv wie seine Befürworter es gerne haben würden.

Einige europäische Länder erleben aktuell Debatten über das bedingungslose Grundeinkommen. Wie passt ein solches Konzept in ihre Vorstellung einer Postwachstumsökonomie? Flickt es nur an einem kaputten System herum, oder kann es doch mehr erreichen?

Generell bin ich ein Unterstützer eines bedingungslosen Grundeinkommens und ich sehe viele der guten Argumente dafür. Aber ich denke, es gibt gewisse Grenzen dessen, was wir uns davon erwarten können. Das bedingungslose Grundeinkommen ist wahrscheinlich nicht so effektiv wie seine Befürworter es gerne haben würden. Es wird als eines der Instrumente diskutiert, das nicht nur Menschen die Möglichkeit gibt, andere Entscheidungen über ihr Arbeitsleben zu treffen, sondern auch Ungleichheiten zu reduzieren. Ich habe selbst einige Arbeiten von einem ökonomischen Standpunkt aus dazu gemacht. Diese legen nahe, dass etwa eine Vermögenssteuer oder die Verbesserung von Arbeitsbedingungen effektivere Verteilungsergebnisse erzielen, als ein bloßes Grundeinkommen. Ich glaube aber dass es eine Idee ist, deren Zeit einfach gekommen ist.  

 

Die Fragen stellte Lukas Böhm.