Lobbyismus gehört zur Demokratie. Wenn aber die Interessen einzelner Branchen bevorzugt Gehör finden, ist die Demokratie in Gefahr. Auch die Meinungsfreiheit wirkt nur dann demokratisch, wenn für alle die gleichen Spielregeln gelten. Die derzeit gültigen Regeln aber begünstigen einseitig finanzmächtige Akteure und sorgen entsprechend für demokratische Verwerfungen. Allein die Finanzbranche gibt für ihre Interessenvertretung nach Berechnung des Corporate Europe Observatory in der EU mehr als das 30-fache im Vergleich zu Nichtregierungsorganisationen, Verbraucherverbänden und Gewerkschaften zusammen aus.

Die Resultate dieser Einflussnahme sind allgegenwärtig. Trotz Pleite der US-Bank Lehman Brothers am 15. September 2008 und der damit verbundenen Finanzkrise dominiert die Finanzlobby weiterhin die Gesetzgebung. Ein Beispiel ist die Höhe des Eigenkapitals der Banken: Mangelndes Eigenkapital war ein Hauptgrund für die Krise, da Banken Verluste nicht abfangen konnten. Banken sollten daher ihr Geschäft zu mindestens 20 Prozent aus Eigenkapital finanzieren. So fordern es beispielsweise Stanford-Ökonomin Anat Admati und Martin Hellwig vom Europäischen Ausschuss für Systemrisiken. Auch Studien der Bank of England auf Grundlage historischer Erfahrungen legen diesen Wert nahe. Die EU aber sieht lediglich drei Prozent vor. Diese Bescheidenheit geht auch auf das Konto der Finanzbranche, die ein höheres Eigenkapital ablehnt. Schließlich sind Boni an die Eigenkapitalrendite gekoppelt – und die ist bei gleichem Gewinn umso höher, je stärker Finanzinstitute ihr Geschäft auf Kredit finanzieren.

Ähnlich sieht es mit der Finanztransaktionssteuer aus, der geplanten und viel diskutierten Steuer auf den Wertpapier- und Devisenhandel. Nur vier Tage des weltweiten Devisenhandels im Jahr würden ausreichen, um den tatsächlichen Welthandel zu finanzieren. Der Rest ist Selbstzweck – für die Finanzbranche gleichwohl lukrativ. Die Finanzlobby geht mit einer wahren Vielfalt an Mythen gegen die Steuer vor. Entsprechend wird deren Einführung seit Jahren verschleppt. Zudem sind Ausnahmen geplant, die den unproduktiven Handel nicht entschleunigen, sondern lediglich umlenken würden.

Deutschland sollte eine Lobbyabgabe einführen und damit eine Pionierrolle innerhalb der EU übernehmen.

 Der Lobbyismus der Finanzbranche ist also besonders stark. Zugleich ist die Politik hier übermäßig anfällig. Die Wirtschaftsmacht der Branche mag dabei ebenso eine Rolle spielen wie die – manchmal nur scheinbare - Komplexität im technischen Detail. Dem stehen eine unterfinanzierte Finanzaufsicht ebenso gegenüber wie Forschungsinstitute, die sich teils pragmatisch mit affirmativer Auftragsforschung durchschlagen. Zeit und damit Qualität sind in Wissenschaft wie im Journalismus Luxus geworden. Nichtregierungsorganisationen, die unter anderem wertvolle Kampagnenarbeit leisten können, sind ebenfalls oft klamm. Eine Lobbyabgabe kann die gemeinwohlorientierte Interessenvertretung wirksam stärken. Geben Unternehmen mehr Geld für Lobbying im einzelwirtschaftlichen Eigeninteresse aus, steigen damit auch die Beträge für die gemeinwohlorientierte Interessenvertretung. Eine deutlich bessere finanzielle Ausstattung von Finanzaufsicht, gemeinwohlorientierter Wissenschaft, unabhängigem Qualitätsjournalismus und Zivilgesellschaft wäre ein wesentlicher Baustein, um Gemeinwohlinteressen zu fördern.

Die Lobbyabgabe sollte von einem öffentlichen Träger eingezogen und verwaltet werden. Nur so lässt sich eine unabhängige Finanzierung gewährleisten. Sie wäre branchenübergreifend, für die überdimensionierte Finanzlobby allerdings besonders wichtig. Die Abgabe kann mit einem Freibetrag ausgestattet und progressiv gestaltet sein: für kleine und mittelständische Unternehmen weniger, für Großunternehmen mehr. Steuern und Abgaben sind traditionell national geregelt. Deutschland sollte entsprechend auf nationaler Ebene eine Lobbyabgabe einführen und damit eine Pionierrolle in der EU und international einnehmen.

Die Finanzierung etwa der Finanzaufsicht durch die Finanzbranche ist nicht neu: In Deutschland ist die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) komplett durch die Finanzbranche finanziert. Der Ökonom Joseph Stiglitz schlägt außerdem vor, das Lohnniveau der Finanzaufsicht an das der Finanzbranche zu knüpfen und mit einer Abgabe zu finanzieren. Das würde dem Abwandern von Expertise entgegenwirken. Qualifiziertes Personal ist schließlich eine Grundvoraussetzung für gute Arbeit. Es schützt davor, aus Unwissenheit und Zeitnot einseitigem Lobbyismus Tür und Tor zu öffnen. Darüber hinaus sollten auch Wirtschaftsprüfungsgesellschaften und Ratingagenturen öffentlich oder nicht-gewinnorientiert organisiert sein, um ihre Unabhängigkeit sicherzustellen.

Eine Lobbyabgabe wird der Demokratie zugutekommen. Die SPD sollte dafür streiten.

Lobbyismus, der Volkswirtschaften und dem Gemeinwohl schadet, ist mit unternehmerischer Freiheit nicht zu rechtfertigen. Volkswirtschaft und Gemeinwohl gehen vor. Das ist ein rechtlicher Grundsatz. Damit dieser Grundsatz Praxis wird, muss der Gesetzgeber handeln. Er muss die Schieflage der ungleichen Ressourcenverteilung und die daraus folgende Schieflage der Interessenvertretung aufheben. Zum Ausgleich für die Lobbyabgabe könnten Unternehmen bei Parteispenden sparen. Wenn sie zudem ihr eigenes Lobbying einschränken, fällt auch die Abgabe geringer aus.

Die Menschen wollen keine Politik für die Konzerne, die mehr und mehr an Einfluss über zentrale Lebensbereiche gewinnen. Deshalb sind viele in Form von Massenprotesten gegen geplante Handelsabkommen wie CETA und TTIP auf die Straße gegangen. Wenn Parteien, allen voran Volksparteien wie die SPD, das wieder ernster nehmen, ist ein wichtiger Beitrag zur Demokratie geleistet.

Eine Lobbyabgabe kann Verbesserungen in zahlreichen Politikfeldern anstoßen. Ihre Einführung ist bedeutend genug, um in der Großen Koalition dafür zu streiten. Die SPD sollte ein entsprechendes Konzept vorlegen. Eine Lobbyabgabe und stärkere Regulierungen des Lobbyismus werden auch der Finanzmarktreform zugutekommen – und der Demokratie.