Obwohl Staaten nun schon seit Jahrhunderten Botschaften betreiben, gerät dieses Diplomatie-Modell zunehmend unter Druck. Der Aufstieg der digitalen Kommunikation, die wachsende Macht nichtstaatlicher Akteure, die Zunahme globaler gegenüber bilateralen Fragen, die internationale Finanzkrise: Das alles bringt rund um den Globus massive Veränderungen mit sich und beeinflusst die Arbeitsweise von Staaten. Gelegentlich wird spekuliert, dass die Botschaft wie die Pferdekutsche in dieser neuen Ordnung keine Rolle mehr spielen werde. Und tatsächlich bringen die Kommunikationsrevolution, die Demokratisierung von Informationen, sicherheitspolitische Herausforderungen, die zunehmende Zentralisierung von Entscheidungen, Macht und Einfluss globaler Konzerne und nicht zuletzt die Verwüstungen, die die globale Finanzbranche in den letzten zehn Jahren heimgesucht haben, das traditionelle Diplomatie-Modell an seine Grenzen.
Diplomaten gelten mitunter als elitäre, altmodische und ineffektive Cocktail-Party-Löwen.
In Zeiten von Haushaltseinsparungen und einer kraftlosen Weltwirtschaft ist es teuer, rund um den Erdball ein Netzwerk dauerhafter, mit qualifizierten Diplomaten aus dem Heimatland besetzter Botschaften zu erhalten. Diplomaten haben nicht immer den besten Ruf: Sie gelten mitunter als elitäre, altmodische und ineffektive Cocktail-Party-Löwen. Außerdem sind sie häufig „male and pale“, männlich und weiß, und spiegeln daher nicht die moderne gesellschaftliche Vielfalt wider, weshalb ihnen die Gesellschaft im fremden Land oft unverständlich und fern bleibt. Oft sind sie nicht auf dem Stand der digitalen Technik, bedienen sich nur zögernd moderner Kommunikationsformen und haben somit auch eine gewisse Distanz zu weiten Teilen der modernen Gesellschaft.
Wenn sich moderne Staatschefs über Twitter und Facebook miteinander und mit einem großen Publikum austauschen können, ohne dass die Botschafter überhaupt ins Spiel kommen, liegt der verlockende Gedanke nahe, dass ein Land seine Diplomatie auch ohne Botschaften aus Stein und Mörtel recht wirkungsvoll betreiben kann. Staaten und ihre Botschaften besitzen kein Monopol mehr auf den weltweiten Informationsfluss: Die Massenkommunikation überschreitet Ländergrenzen, und Informationen sind über globale Nachrichtenagenturen und andere Quellen im World Wide Web frei zugänglich. Dazu kommt, dass große Konzerne, die mit ihrer Finanzkraft oft ganze Volkswirtschaften in den Schatten stellen, mit ihren gewaltigen Ressourcen, Informations- und Nachrichtenquellen offenbar recht gut auf die Dienste einer Botschaft oder eines Konsulats im Gastland verzichten können.
Diese Argumentation ist jedoch simplifizierend und vernachlässigt die vielfältigen Funktionen und Vorteile einer Botschaft und ihrer Diplomaten. Natürlich schaffen Handel, Immigration, Tourismus, das Internet und globale Pressedienste Verbindungen zwischen Nationen. Doch nach wie vor ebnet die Diplomatie die notwendigen Wege. Die Diplomaten pflegen die Beziehungen zur Regierung des jeweiligen Landes, können sich in den Machtverhältnissen orientieren, sammeln und interpretieren Informationen und helfen Bürgern und Unternehmen, sich in den örtlichen Gegebenheiten und Rechtsvorschriften zurechtzufinden. Dabei verlieren sie das nationale Interesse ihres Landes nie aus dem Auge. Peter Varghese vom australischen Außenministerium erklärte das in einer Rede im Jahr 2015so: „Ein Abonnement der Zeitschrift The Economist ersetzt nicht die australischen Augen vor Ort. Telefongespräche und Textnachrichten ersetzen nicht die Beziehungen, die Botschaften mit den Strippenziehern anderer Länder aufbauen.“
Gute Beziehungen zwischen Ländern gründen auf Vertrauen. Militärische und wirtschaftliche Stärke spielen eine Rolle, aber das Beispiel der Vereinigten Staaten und Chinas im Südchinesischen Meer illustriert, dass weder militärisches noch wirtschaftliches Gewicht diplomatische Erfolge garantieren. Vertrauen entsteht durch Beziehungen, die vor Ort über lange Jahre aufgebaut wurden. Stippvisiten von Staatschefs oder, wie bisweilen vorgeschlagen wird, von nicht fest stationierten Diplomaten können langfristig gewachsene Beziehungen nicht ersetzen. Die Botschaft ist eine wichtige Konstante.
Viele Staaten investieren wieder in ihre diplomatischen Netzwerke
Das Lowy Institute for International Policy untersuchte im Rahmen eines umfangreichen Forschungsprojekts, dessen Ergebnisse Anfang 2016 veröffentlicht wurden, die diplomatischen Netzwerke aller 42 OECD- und G20-Länder. Dieser Global Diplomacy Index aktualisiert eine frühere, 2009 bis 2011 durchgeführte Studie. Wir haben festgestellt, dass zwar die Hälfte der 42 Staaten in den vergangenen zehn Jahren ihren diplomatischen Fußabdruck verkleinert hat, andere Länder jedoch expandiert haben, darunter China, Brasilien, Deutschland, die Türkei, Korea, Mexiko, Argentinien, Indonesien, Chile, Südafrika, Saudi-Arabien und Australien.
Viele Staaten investieren wieder in ihre diplomatischen Netzwerke, weil sie Botschaften und andere Auslandsposten offenbar für nützlich halten. Einige Länder (wie Australien) hatten nach der Finanzkrise wegen Umstrukturierungen und Haushaltskürzungen ihre diplomatischen Netzwerke zunächst verkleinert, richten jetzt aber neue Auslandsposten ein oder machen alte wieder auf. Das Auswärtige Amt in Berlin unterlag in der Zeit zwischen 2010 und 2015 starken Budgetkürzungen, doch das Haushaltsvolumen von 4,8 Milliarden Euro im Jahr 2016 liegt fast 50 Prozent über den 3,3 Milliarden Euro von 2012; Deutschland hielt sein großes diplomatisches Netzwerk aufrecht. Das britische Foreign and Commonwealth Office (FCO) musste zwischen 2010 und 2015 jährlich 100 Millionen Pfund einsparen und fast 10 Prozent seines britischen Personals einsparen. Es gilt zwar noch ein Einstellungsstopp, doch das Foreign Office hat zusätzliches Personal in wichtige Botschaften entsandt und 15 Auslandsposten neu eröffnet oder verstärkt. Australien hat seit 2015 sechs neue diplomatische Vertretungen eingerichtet; das ist der größte Ausbau seit mehreren Jahrzehnten.
Dieser Ausbau wäre schon allein durch die Ausweitung der Konsulatsarbeit gerechtfertigt. Da aufgrund der niedrigen Preise und im Zuge der Globalisierung die internationale Reisetätigkeit stark zugenommen hat, erreicht die Zahl der Reisen mit einer ständig wachsenden Zahl von Zielen jährlich neue Rekorde. Wenn Bürger Probleme haben, ist ihre Botschaft oder ihr Konsulat oft der erste und letzte Ansprechpartner. Bei größeren Krisen können schnelle Eingreiftruppen zu Hilfe gerufen werden, doch der Großteil der täglichen Konsulatsarbeit baut auf die Ressourcen, die Ortskenntnis und die Kontakte eines Konsulats.
Mögliche Defizite ihrer Botschaften und Diplomaten haben die Ministerien stets im Auge. Es gibt zwar noch viel zu tun, doch die Botschaft ist und bleibt ein wichtiges Instrument internationaler Beziehungen.
3 Leserbriefe
Auch die für das Image eines Landes vitale Kulturarbeit funktioniert nur zum Teil digital. EU-Vertretungen als Ersatz funktionieren nicht, weil noch in den EU-Mitgliedsstaaten unterschiedliche Sprachen gesprochen werden.