Inwiefern ist Sklaverei ein globales Problem des 21. Jahrhunderts?
Trotz des Verbots durch internationale Menschenrechtsgesetze ist die Sklaverei nach wie vor eine der größten Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Schätzungen der Internationalen Arbeitsorganisation ILO zufolge leiden heute weltweit fast 21 Millionen Menschen unter Zwangsarbeit oder anderen modernen Formen der Sklaverei. Zwangsarbeit wurde erst kürzlich in der Textilindustrie, im Bau, in der Fischerei und in der Nahrungsmittelherstellung nachgewiesen. Kinderarbeit gibt es unter anderem in der Landwirtschaft, im Bergbau, im Bau und im Dienstleistungsbereich; viele Kinder müssen mit Fronarbeit Schulden ihrer Familien abgelten oder werden von Familienmitgliedern Dritter zur Arbeit gezwungen. Armut, Ungleichheit, Diskriminierung und Marginalisierung machen Menschen besonders leicht zu Opfern aller Formen der Sklaverei.
Zwar geraten immer mehr Menschen durch Menschenhandel und irreguläre Migration in die moderne Sklaverei, doch dasselbe Schicksal ereilt weltweit auch Millionen von Menschen in ihrem eigenen Land und ihrer eigenen Gemeinde infolge von Diskriminierung, Ausbeutung und Ungerechtigkeit, die sich auf Hautfarbe, Geschlecht, soziale oder ethnische Herkunft, Religion, Alter, Behinderung oder andere Umstände gründen. Die anhaltende Verbreitung der Sklaverei und ähnlicher Praktiken ist in der Tat eine globale Herausforderung. Um sie endgültig zu beseitigen, bedarf es größerer Anstrengungen.
Wie hat sich Sklaverei und die Definition der Sklaverei über die Jahre verändert?
Das Sklavereiabkommen von 1926 definiert Sklaverei als den „Zustand oder die Stellung einer Person, an der die mit dem Eigentumsrechte verbundenen Befugnisse oder einzelne davon ausgeübt werden“. 1956 wurde diese Definition vom Übereinkommen über die Abschaffung der Sklaverei, des Sklavenhandels und sklavereiähnlicher Einrichtungen und Praktiken auf Schuldknechtschaft, Leibeigenschaft, Zwangsehe, Verkauf der Ehefrau, Witwenvererbung und Verkauf von Kindern als Arbeitskräfte ausgeweitet. Zusätzlich definiert die IAO in ihrem Übereinkommen über Zwangs- und Pflichtarbeit (Nr. 29) Zwangsarbeit als Arbeit oder Dienstleistung, die von einer Person gegen ihren freien Willen unter Androhung von Strafe erzwungen wird.
Häufig ist Sklaverei verborgen oder unsichtbar, weil sie in Privathaushalten, auf kleinen Höfen und im informellen Sektor stattfindet.
Ein Großteil der modernen Sklaverei tritt in dieser Form auf. Häufig ist sie verborgen oder unsichtbar, weil sie in Privathaushalten, auf kleinen Höfen und im informellen Sektor stattfindet, und wird unter Drohungen, Zwang und Nötigung durchgesetzt. Die Versklavten sind wegen der Umstände, die zu ihrer Versklavung führen, der Einschränkung ihrer Bewegungsfreiheit, mangelnder Ausweispapiere und eines fehlenden Zugangs zum Justizsystem nicht in der Lage, sich Recht zu verschaffen. Weil die Opfer ihnen so schutzlos ausgeliefert sind, sind Sklaverei und sklavereiähnliche Praktiken oft nur schwer aufzudecken.
Ist moderne Sklaverei dabei nicht auch ein Geschlechterproblem?
Die Feminisierung der Armut hat dazu geführt, dass Frauen und Mädchen eher von Menschenhandel, Zwangsarbeit, sexueller Ausbeutung und anderen Formen der modernen Sklaverei bedroht sind. Frauen und Mädchen sind durch Ungleichheit und vielfältige Arten der Diskriminierung marginalisiert und werden daher schneller Opfer der Zwangsehe, der Kinderehe, der Ausbeutung im Haushalt und anderer Formen der Sklaverei. Der unverhältnismäßig hohe Anteil von Frauen an der Zwangsarbeit wird durch Schätzungen der ILO bestätigt, denen zufolge mehr als die Hälfte der 21 Millionen Menschen, die Zwangsarbeit verrichten, Mädchen und Frauen sind. In bestimmten Sektoren und Branchen (beispielsweise in der Landwirtschaft, beim Baumwollpflücken und bei Erntearbeiten, in der Textilindustrie, der Hausarbeit und der Pflege in privaten Haushalten und Institutionen) überwiegen die Frauen; dasselbe gilt für den informellen Sektor.
Erkennen die Staaten die Bedeutung des Problems?
Nach dem Sklavereiabkommen und dem Übereinkommen über die Abschaffung der Sklaverei müssen die Staaten den „Sklavenhandel verhindern und unterdrücken“ und „so bald als möglich auf die vollständige Abschaffung der Sklaverei in allen ihren Formen“ hinarbeiten. Auch die ILO verpflichtet ihre Mitgliedstaaten, die Vorgaben ihrer grundlegenden Konventionen einzuhalten. Das 2014 von der ILO verabschiedete Protokoll zum Verbot von Zwangsarbeit, das die Verpflichtung der Staaten für den Schutz der Opfer der Sklaverei ebenso vorsieht wie wirksame Maßnahmen zur Prävention und zum Schutz vor Zwangsarbeit, sollte ratifiziert werden. Zwar hat jedes Land Gesetze, die die Sklaverei verbieten und/oder unter Strafe stellen, doch ist die unzureichende Umsetzung noch ein gewaltiges Problem.
Zwar hat jedes Land Gesetze, die die Sklaverei verbieten, doch ist die unzureichende Umsetzung noch ein gewaltiges Problem.
Die wirksame Durchsetzung der Gesetze hängt auch davon ab, dass die Institutionen finanziell ausreichend ausgestattet und die Vertreter der Aufsichtsbehörden gut ausgebildet sind, dass die Überwachung effektiv durchgeführt wird und dass sich die Opfer an die Justiz wenden können und Hilfe erhalten. Ich muss auf Ländermissionen noch eruieren, wie weit es mit dem Bewusstsein einzelner Regierungen gediehen ist, doch man kann wohl allgemein sagen, dass in den letzten Jahren viele Akteure der Zivilgesellschaft auf moderne Formen der Sklaverei aufmerksam gemacht wurden und dass die staatliche Überwachung der Einhaltung von Menschenrechtsprinzipien in der Wirtschaft an Bedeutung gewonnen hat.
Welche Rolle kommt Verbrauchern und Unternehmen im Kampf gegen die Sklaverei zu? Inwiefern sind sie Teil des Problems?
Zwangsarbeit und Sklaverei sind ein gutes Geschäft: Der ILO zufolge werden mit Zwangsarbeit jährlich 150 Milliarden US-Dollar erwirtschaftet. Die Opfer der Ausbeutung durch Zwangsarbeit und Sklaverei im Haushalt, in der Landwirtschaft und in anderen Wirtschaftsbereichen wie im Bau, in der Industrie, im Bergbau und in der Versorgungswirtschaft erarbeiten Schätzungen zufolge jährlich 51 Milliarden US-Dollar.
Unternehmen, auch multinationale Konzerne, sind verpflichtet sicherzustellen, dass in ihrer Lieferkette Zwangsarbeit, Fronarbeit, Kinderarbeit und anderen Formen der Sklaverei nicht vorkommen. Die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte gelten weltweit und fordern von der Wirtschaft, die Menschenrechte zu achten, zu schützen und zu befördern.
Die Verbraucher haben großen Einfluss: Wenn sie Waren, die unter Zwangsarbeit produziert wurden, nicht kaufen, so wirkt sich das entscheidend auf die Beseitigung dieser Praktiken aus.
Die Verbraucher haben großen Einfluss: Wenn sie Waren, die unter Zwangsarbeit und anderen Formen der Sklaverei produziert wurden, nicht kaufen, so wirkt sich das entscheidend auf die Beseitigung dieser Praktiken aus. Sie können Unternehmenspraktiken, die nicht mit den Menschen-und Arbeitsrechten vereinbar sind, hinterfragen und Unternehmen beeinflussen, die die Sklaverei noch billigend hinnehmen. Bei den Verbrauchern wächst das Bewusstsein für ethisch produzierte und fair gehandelte Produkte. Verbraucher, Organisationen der Zivilgesellschaft, Gewerkschaften, Arbeitgeberorganisationen, religiöse und politische Führungspersönlichkeiten und andere Akteure können die Staaten für die Überwachung der Wirtschaft und die Beseitigung der Sklavenarbeit in allen Branchen und Sektoren zur Rechenschaft ziehen.
Der Menschenrechtsrat hat Sie im Mai 2014 zur Sonderberichterstatterin ernannt. Was sind Ihre Schwerpunkte für die kommenden Jahre? Wie können die Staaten dabei helfen, die Herausforderungen durch die Sklaverei zu bewältigen?
Ein wichtiger Schwerpunkt meines Mandats ist die Beseitigung der Kindersklaverei in allen Formen und Manifestationen, z.B. Zwangsarbeit, Ausbeutung im Haushalt, Fronarbeit und die schlimmsten Formen der Kinderarbeit. Darüber hinaus will ich die Kinderehe in den Mittelpunkt stellen, die oft in Ausbeutung und Missbrauch durch gefährliche Arbeit und häusliche Sklaverei mündet. Da die vom internationalen Menschenrecht geforderte freie und vollständige Einwilligung beider Ehepartner vor der Eheschließung fehlt, handelt es sich dabei nach dem Übereinkommen über die Abschaffung der Sklaverei aus dem Jahr 1956 um eine sklavereiähnliche Praxis.
Die Forderung, alle Formen der Kindersklaverei abzuschaffen, damit alle Kinderrechte, auch das Recht auf Bildung, gewahrt werden, ist ein Kernpunkt meines Mandats. Ein anderer Schwerpunkt ist das Auffinden und die Beseitigung von Zwangsarbeit, insbesondere der schlimmsten Formen der Kinderarbeit in den globalen Lieferketten sowie die Verbesserung der staatliche Überprüfung inländischer und globaler Unternehmen, die in die jeweilige Rechtsprechung der Staaten fallen, auf ihrem Gebiet aktiv sind oder ihre Bürgerinnen und Bürger beschäftigen.
Befasst bin ich außerdem zunehmend mit der großen Zahl von Wanderarbeiterinnen, die in Südostasien in Haushalten arbeiten und in Schuldknechtschaft geraten, und mit der Diskriminierung nach Herkunft (beispielsweise in Südasien und Westafrika), die sich in Zwangsarbeit, Ausbeutung im Haushalt, Fronarbeit und schlimmsten Formen der Kinderarbeit manifestiert.
Der Erfolg meines Mandats hängt jedoch von der politischen und finanziellen Unterstützung durch die Staaten und von der Akzeptanz meiner Besuchsanfragen in den Ländern ab. Ich bin dankbar, dass alle Staaten bislang kooperativ waren und danke auch der Friedrich-Ebert-Stiftung für die Gelegenheit, die Ziele meines Mandats hier darzulegen.