Interview von Michael Bröning
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In einem kürzlich erschienenen Artikel für Foreign Affairs argumentieren Sie, dass die klassische Version der amerikanischen Außenpolitik nicht wiederbelebt werden kann. Der Untertitel des Textes lautet: „Warum sich die US-Außenpolitik niemals erholen wird – diesmal ist es anders“. Was genau ist diesmal anders?
Einige Dinge haben sich verändert. Eigentlich sind in den Vereinigten Staaten zwei Dinge geschehen, die es schwer machen, zum liberalen Internationalismus zurückzukehren. Da ist zum einen einfach die politische Polarisierung. Dieses Problem ist in den vergangenen 30 oder 40 Jahren entstanden, nur wirkte es sich früher nicht auf die Außenpolitik aus. Die amerikanische Außenpolitik war lange die letzte Domäne der Überparteilichkeit. Als ich 2016 an der Fletcher School of Law and Diplomacy war, organisierte ich eine Konferenzreihe zum Thema Außenpolitik im Wahlkampf. Was ich dabei bemerkenswert fand: wie freundlich die Leute aus den Wahlkampagnen, die jeweiligen Experten für Außenpolitik beider politischer Lager, miteinander umgingen. Sie waren unterschiedlicher Meinung, aber es gab ein wechselseitiges Vertrauen. Spätestens seit 2016 ist dieses Vertrauen zu einem gewissen Grad zerstört. Damit ist die Außenpolitik zunehmend zu einem Spielball der Innenpolitik geworden, was es schwer macht, sie ernsthaft zu betreiben.
Hinzu kommt, dass die Präsidenten immer extremeren Flügeln der Parteien angehören. Man könnte sagen, dass George W. Bush der konservativste Präsident in der Geschichte der Vereinigten Staaten war. Und auf Bush folgte Barack Obama, der liberalste Präsident, den wir je hatten. Nach Obama kam Donald Trump, der allerkonservativste. Das Pendel schlägt immer weiter aus.
Aufgrund der Polarisierung sind die Möglichkeiten, den Präsidenten in der Außenpolitik zu kontrollieren, immer geringer geworden. Der Kongress hat im Laufe der Jahrzehnte sowohl die Befugnis, Kriegserklärungen abzugeben, als auch die Befugnis, Verhandlungen über Handelspolitik zu führen, an den Präsidenten abgetreten. Im Jahr 1942 hat der Kongress zum letzten Mal offiziell eine Kriegserklärung abgegeben. Ein immer größerer Teil der Außenpolitik wird aus der Exekutive heraus betrieben, ohne jede Form der Billigung oder Aufsicht vonseiten des Kongresses. Nimmt man diese beiden Trends zusammen, dann könnte es durchaus sein, dass Trump bei den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2020 verliert und ihm jemand wie Bernie Sanders, Joe Biden oder wer auch immer nachfolgt.
Aber wird der nächste Präsident nicht aller Wahrscheinlichkeit nach versuchen, den liberalen Internationalismus wieder aufzubauen?
Sicher. Aber dabei gibt es ein Problem. Stellen Sie sich eine amerikanische Außenpolitik unter Bernie Sanders vor, vielleicht gefolgt von Senator Tom Cotton, auf den dann Alexandria Ocasio-Cortez folgt. Mit all der außenpolitischen Macht, die ein amerikanischer Präsident besitzt, wird jeder nachfolgende Präsident prinzipiell zurücknehmen, was der vorherige Präsident getan hat – so ähnlich wie Trump das mit Obama gemacht hat, etwa was das Atomabkommen mit Iran, das Klimaschutzabkommen oder die Öffnung gegenüber Kuba betrifft.
Also würden Sie sagen, dass selbst ein Wechsel im Weißen Haus die amerikanische Außenpolitik nur weiter aushöhlen würde? Es wäre ein weiteres Beben, welches das Haus erschüttert?
Genau. Wer eine umfassende Strategie verfolgen will, braucht die Fähigkeit, glaubwürdig Verpflichtungen einzugehen. Und die USA hat genau diese Fähigkeit schon fast verloren. In den Vereinigten Staaten gibt es etwas, das wir „Mexiko-Stadt-Politik“ nennen. Es bedeutet im Wesentlichen, dass amerikanische Hilfsorganisationen an multilaterale Organisationen und Nichtregierungsorganisationen, die Familienplanung einschließlich Abtreibung anbieten, dann Geld geben können, wenn ein Demokrat an der Macht ist. Wird ein Republikaner zum Präsidenten gewählt, wird diese Politik zurückgedreht und ein Verbot verhängt. Dies ist nur ein kleines Thema, welches schon seit der Regierung Reagan so praktiziert wird. Ich befürchte aber, dass sich künftig die gesamte Außenpolitik in diese Richtung entwickelt.
Es scheint so zu sein, dass ähnliche Prozesse der Machtverlagerung auf die Exekutive überall auf der Welt stattfinden – in Russland, in China, in Israel, in der Türkei. Welchen systemischen Effekt hat diese Entwicklung?
Sie bringt Instabilität mit sich. Angenommen, Sie haben mit jemandem eine Vereinbarung getroffen – wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Einigung selbst dann von Dauer ist, wenn ein Schock auftritt? Wie baut man da Vertrauen auf? Um Trump gegenüber fair zu sein: Wie er in der Außenpolitik handelt, ist nicht illegal. Es ist nicht illegal, sich vom Atomabkommen mit Iran oder von dem Pariser Klimaabkommen zu verabschieden. Aber in gewisser Weise ist die Norm unterminiert worden, die immer gültig war, nämlich dass man nicht aus Abkommen aussteigt, die das eigene Land unterzeichnet hat. Sie haben Recht, das betrifft nicht nur Trump. Wladimir Putin hat den Internationalen Strafgerichtshof verlassen, auch afrikanische Staaten agieren so, es ist also kein rein amerikanisches Phänomen.
Wie kann Vertrauen gewährleistet werden?
Es gibt zwei Möglichkeiten, wie Sie versuchen können, Vertrauen zu fördern. Der eine Weg ist das Völkerrecht. Wenn Gesetzgeber beteiligt sind, nutzt man das Völkerrecht dazu, um Vereinbarungen festzuzurren und es schwer zu machen, sich von ihnen wieder zu verabschieden. Der andere Weg wird von Donald Trump und anderen wie Wladimir Putin bevorzugt: die persönliche Bindung zwischen Staatsführern. Aber das ist nicht nachhaltig.
Aus historischer Sicht könnte man argumentieren, dass wir zu einer Ultra-Personalisierung der Politik zurückkehren: zum Feudalismus, also persönlichen Beziehungen zwischen Monarchen.
Ja, solche Tendenzen gibt es, aber jetzt kommt noch ein populistisches Element dazu, nämlich wenn zum Beispiel Putin oder Erdogan behaupten, für das Volk zu sprechen. Und dann meinen Leute wie Trump, sie würden die verlassenen Bevölkerungsgruppen repräsentieren. Das Problem dabei: Nichts davon ist nachhaltig, es sei denn, diese Anführer bleiben jahrzehntelang an der Macht, aber eine solche Entwicklung wäre meiner Meinung nach für niemanden gut. Und selbst dann wäre das Ganze ungefähr so stabil wie der Molotow-Ribbentrop-Pakt. Wenn sich die Interessen ändern, gehen diese Vereinbarungen in die Brüche, weil sie nicht gesetzlich ratifiziert werden.
Sie haben Präsident Trump sehr unverblümt kritisiert. Einer Ihrer Threads über Trump wurde so populär, dass es hieß, sie hätten damit Twitter lahmgelegt. Sie sind dem Präsidenten gegenüber kritisch eingestellt, aber Ihre Kritik geht weit über Trump hinaus.
Ja, Trump ist ein Symptom und zugleich eine Ursache für das, was gerade passiert. Es gab Zeiten, in denen die außenpolitische Community zu einem Konsens kam, der sich als schwerwiegender Fehler herausstellte. Wenn man etwa auf Vietnam zurückschaut, oder in jüngerer Zeit auf den Irak-Krieg und die Finanzkrise 2008. Ein Grund für Donald Trumps Wahlsieg im Jahr 2016 war, dass er im Wahlkampf die Parole ausgab, wir sollten uns nicht auf außenpolitische Experten verlassen, denn „schaut Euch doch nur den Schlamassel an, in das sie uns hineingebracht haben!“. Er propagierte die Idee, dass ein amateurhafter Geschäftsmann den Job irgendwie besser hinbekäme.
Der deutsche Außenminister hat ein Bündnis der Multilateralisten vorgeschlagen mit dem Ziel, die internationale Ordnung zu stärken und zu schützen. Wie realistisch ist das?
Es gibt Dinge, die getan werden können und auch welche, über die verhandelt werden muss. Es ist zum Beispiel interessant, dass die Europäische Union Handelsabkommen mit Kanada und Japan unterzeichnet. Die Tatsache, dass die Transpazifische Partnerschaft (TPP) trotz des Rückzugs der USA vorangekommen ist, hat die Regierung Trump, glaube ich, offen gestanden, überrascht.
Letztendlich wird dies auf die Vereinigten Staaten Druck ausüben, sich irgendwann wieder auf das multilaterale Handelssystem einzulassen, denn derzeit werden die amerikanischen Unternehmen benachteiligt, etwa was den Handel mit Japan oder Korea und im Endeffekt auch mit der EU betrifft.
Es gibt auch einige interessante Punkte im Zusammenhang mit der Frage, was getan werden sollte, um die Welthandelsorganisation wiederzubeleben. Aus meiner Sicht muss Europa jedoch auf anderen Gebieten Entscheidungen treffen, und ich glaube nicht, dass es dafür schon bereit ist.
Es gibt zwei Hauptbereiche, in denen die Vereinigten Staaten in der Welt immer noch unübertroffen sind. Einer ist die Sicherheitspolitik, der andere betrifft die Finanzen. Und wir sehen in Bezug auf den amerikanischen Einsatz finanzpolitischer Staatskunst und auf das US-Militär, dass diese Dinge nirgendwohin führen.
Für Europa stellt sich die Frage: Ist es bereit, sich tatsächlich auf solche harten Maßnahmen einzulassen? Europa hat die Fähigkeit, dies zu tun, würde ich sagen. Zusammengenommen ist die Wirtschaft der EU in etwa so groß wie die der Vereinigten Staaten. Aber das würde eine ganz andere Strategie und einen ganz anderen Sozialpakt unter den EU-Mitgliedsstaaten erfordern, den es derzeit nicht gibt.
Um den Advocatus Diaboli zu spielen: Sind wir nicht vielleicht zu kritisch? War es nicht Barack Obama, der sagte: „Mach keinen verrückten Mist“?
Mach keinen dummen Mist, ja.
Nun, es gibt eine lange Liste von Dummheiten, die dieser Präsident hätte begehen können, einschließlich der Invasion in den Iran, die er bisher aber noch nicht gemacht hat. Sollten wir ihm das nicht zugutehalten?
Kommen Sie im nächsten Monat damit noch einmal zu mir. Sie haben Recht, auf der einen Seite ist es eine angenehme Überraschung, dass es bisher keinen Atomkrieg gab und dass wir keinen globalen wirtschaftlichen Zusammenbruch hatten.
Und, wenn ich das hinzufügen darf, schließlich haben Sie ein ziemlich cooles Buch über dieses Thema geschrieben: Auch die Zombie-Apokalypse ist ausgeblieben.
Ja. Es gab auch keine Zombie-Apokalypse. Aber was wichtig ist: Was die Zombie-Apokalypse angeht, vergessen die Leute, dass ich mich in dem Buch als Optimist zeige. Ich schreibe, dass Zombie-Filme viel zu pessimistisch sind. In ihnen wird immer der menschliche Einfallsreichtum unterschätzt. Bei einem wirklichen Zombie-Ausbruch ginge bei uns alles klar. Mit Blick auf das Hier und Jetzt bin ich viel pessimistischer. Sie haben Recht: In gewisser Hinsicht könnten die Dinge im Vergleich zu meinen Ausgangserwartungen viel schlimmer sein. Aber auf der anderen Seite dauert Trumps Amtszeit noch fast zwei Jahre, es könnte alles noch viel schlimmer kommen. Wir sehen, wie die Trump-Regierung den Druck auf Venezuela, Nordkorea und den Iran erhöht. Ganz zu schweigen von einer möglichen ernsthaften Eskalation des Handelskrieges mit China. Zunehmend beunruhigend ist auch, dass nicht klar ist, wie viel Einfluss Donald Trump auf diese Dinge überhaupt hat.
Es scheint so zu sein, dass Experten eine Rolle spielen, nur dass es sich um die falschen Experten handelt.
Tja, es sind bestimmt keine Mainstream-Experten. Das sind Leute wie John Bolton und Mike Pompeo. In der Tat ist es gefährlich, wenn ein Präsident nicht nur in auswärtigen Angelegenheiten ungeschult ist, sondern auch zu stolz ist zuzugeben, dass er nicht genug darüber weiß. Sagen Sie über Barack Obama oder George W. Bush, was Sie wollen – keiner von beiden hatte vor seiner Wahl viel außenpolitische Erfahrung, aber sie waren sich dessen bewusst, wählten ihre Berater sorgfältig aus und waren manchmal auch bereit, nicht auf sie zu hören.
Trump hat so wenig Ahnung, dass seine Mitarbeiter ermutigt werden, bestimmte Dinge zu tun, weil sie wissen, dass er ihre Arbeit nicht kontrollieren wird. So kann Bolton den Druck auf Venezuela erhöhen und versuchen, einen Putsch zu organisieren, womit er eindeutig gescheitert ist. Oder Pompeo kann versuchen, die Spannungen mit Iran eskalieren zu lassen.
Letztendlich wird so die Glaubwürdigkeit der Regierung verringert. Denn Trump merkt dann auf einmal: Warte mal, wir könnten uns bald in einem Krieg befinden, das wollte ich nicht, was machen wir jetzt? Trump ist gleichzeitig vorhersehbarer und weniger glaubwürdig geworden, weil er ständig diese wüsten Drohungen verkündet, aber sie nicht immer durchhält. Eigentlich hält er sie meistens nicht durch. Die Gefahr ist, dass es eine Situation geben könnte, in der er wirklich glaubwürdig drohen möchte, aber niemand seine Drohung ernst nimmt.
Passiert nicht gerade genau das?
Ja, der Handelskrieg ist ein Beispiel dafür. Die Chinesen dachten, Trump würde nachgeben. Genauso lief es mit Nordkorea: Der Gipfel von Hanoi funktionierte deshalb nicht, weil Kim Jong-un dachte, dass Trump letztlich nur verhandeln, aber keine wirklich gute Vereinbarung erzielen wollte. Auch deshalb ist Trump so frustriert: Er versteht nicht, warum niemand seine Drohungen ernst nimmt. Dabei ist der Grund dafür, dass er zu viel droht.