Die Fragen stellte Alexander Isele.

Am 25. Oktober 2021 beendete im Sudan ein Militärputsch den Demokratisierungsprozess, der 2019 nach einer Revolution gegen die 30 Jahre währende islamistische Militärherrschaft begonnen hatte. Wie ist aktuell die Lage im Sudan?

Das sudanesische Volk leistet nach wie vor starke Gegenwehr, es lehnt jede Art von Militärherrschaft im Lande kategorisch ab. Ich würde sagen, der Putsch ist nach einem Jahr am starken Willen der Sudanesen gescheitert. Das Regime ist keinen Schritt vorangekommen und steht isoliert da. Durch den offenen Widerstand, innere Spaltungen im Lager der Putschisten und den Druck vonseiten internationaler Geldgeber – die Unterstützung aus dem Ausland wurde unmittelbar nach dem Putsch eingestellt – ist eine Situation entstanden, in der nun verschiedene Szenarien denkbar sind. Eine Möglichkeit wäre eine politische Einigung mit dem Ziel, den Putsch zu beenden und die Demokratisierung wieder auf den Weg zu bringen. Andere Szenarien wären ein weiterer Militärputsch, ausgelöst durch die inneren Spaltungen im Putschlager, ein Bürgerkrieg oder die Fortsetzung des Widerstands bis zum Sturz des Militärregimes.

Vor einer politischen Einigung gilt es allerdings noch einige Schwierigkeiten zu überwinden.

Das Militärregime hat vergangene Woche mit der Zivilgesellschaft eine Rahmenvereinbarung für den Übergang zu einer Zivilregierung und Wahlen im Jahr 2024 getroffen. Wie beurteilen Sie diese Vereinbarung?

Wir arbeiten auf ein politisches Abkommen hin, mit dem die Militärherrschaft beendet, der Demokratisierungsprozess wiederaufgenommen und eine mit Mandat und Macht ausgestattete Zivilregierung etabliert werden kann. Außerdem muss ein umfassender Transitional Justice-Prozess eingeleitet werden, die Probleme zu bearbeiten und zu lösen und dem Sudan eine Zukunft zu eröffnen. Außerdem müssen wir eine echte Reform des Sicherheitssektors auf den Weg bringen. Im Sudan gibt es diverse Armeen und bewaffnete Gruppierungen. Ziel einer Militärreform muss daher eine nationale Armee sein. Das alles wird in den aktuellen Verhandlungen besprochen. In einer zweijährigen Übergangsphase, die in Parlamentswahlen mündet, sollten alle diese Reformen eingeleitet und umgesetzt werden. Da einige Reformen mehr Zeit in Anspruch nehmen, wird dieser Prozess nach den Wahlen weitergehen. Aber die Grundlage für die Reformen sollte in der Übergangsphase geschaffen werden.

Vor den Wahlen soll eine neue Verfassung verabschiedet werden. Wie wichtig ist eine neue Verfassung für die Zukunft des Sudan?

Der Prozess dahin ist sehr wichtig. In der Übergangsphase soll eine vorläufige Verfassung gelten, gleichzeitig aber die endgültige Verfassung erarbeitet werden. Dieser nationale Dialog sollte noch vor den Wahlen in einer Verfassungskonferenz partizipatorisch abgeschlossen werden. Nach den Wahlen werden die Abgeordneten ein Referendum vorbereiten, damit das sudanesische Volk über die neue Verfassung abstimmen kann.

Drei Millionen Sudanesen sind derzeit als Flüchtlinge im eigenen Land vertrieben, für 15 Millionen der 45 Millionen Menschen im Sudan ist die Nahrungsmittelversorgung nicht gesichert, und auch die Sicherheitslage hat sich verschlechtert. Welche Prioritäten sollte eine Übergangsregierung Ihrer Meinung nach setzen?

Die Übergangsregierung muss sich mit all den Bereichen befassen, die sich seit dem Putsch im letzten Jahr verschlechtert haben. Um die Menschen zu retten, die jetzt Hunger leiden, und die Lage zu stabilisieren, hat die Lösung der wirtschaftlichen Probleme oberste Priorität. Wegen der negativen Auswirkungen des Putsches auf die Landwirtschaft konnten Teile der Ernte nicht eingebracht werden. Um dieses Problem muss man sich umgehend kümmern. Wichtig ist auch, sofort nach der Einsetzung einer Zivilregierung die internationale Zusammenarbeit wiederaufzunehmen.

Deutschland und viele andere internationale Akteure haben nach dem Putsch ihre Entwicklungshilfe ausgesetzt. Was erwarten Sie von der internationalen Gemeinschaft?

Für den Übergang zur Demokratie brauchen wir von der internationalen Gemeinschaft und besonders den westlichen Staaten umfangreiche Hilfs- und Schutzmaßnahmen. Natürlich ist wirtschaftliche und finanzielle Hilfe notwendig, wir müssen über Entschuldung und eine Normalisierung der Beziehungen zu den globalen Finanzinstitutionen reden. Die entsprechenden Entscheidungen müssen in Washington und den Hauptstädten Europas getroffen werden. Für die institutionellen Reformen braucht der Sudan auch fachliche Unterstützung, also Hilfe bei der Vorbereitung von Wahlen und der Ausgestaltung der Transitional Justice-Übergangsperiode. Beides kann nur in einem freien und fairen Umfeld gelingen, in dem man sich darauf verlassen kann, dass man korrekte Informationen erhält.

Darüber hinaus braucht es politische Unterstützung, denn in der Region und in der Welt gibt es allerlei Störkräfte, die einen demokratischen Sudan ablehnen. Sämtliche Unterstützungsmaßnahmen werden von Anfang an benötigt. Da die Zivilregierung vor großen Aufgaben steht und massive Probleme bekommt, wenn sie nicht schnell liefert, muss die internationale Gemeinschaft schon für Hilfe bereitstehen.

Aus dem Englischen von Anne Emmert